Open Source

Und Olaf Scholz ist ein Indigener aus Norddeutschland

Der Streit um das Wort Indianer ist sinnlos. Gedanken über eine Begriffsverwirrung und falsche Rücksichtnahmen.

Olaf Scholz gibt sich im März 2012 beim Festakt 850 Jahre Bergedorf als Hamburgs Bürgermeister die Ehre. 
Olaf Scholz gibt sich im März 2012 beim Festakt 850 Jahre Bergedorf als Hamburgs Bürgermeister die Ehre. Lars Berg/imago

Dies ist ein Open-Source-Beitrag. Der Berliner Verlag gibt allen Interessierten die Möglichkeit, Texte mit inhaltlicher Relevanz und professionellen Qualitätsstandards anzubieten.


Alle Jahre wieder poppt die Diskussion über das Wort „Indianer“ auf, zu deren unfreiwilligem Hauptdarsteller nun Udo Lindenberg wurde. Reumütig Abbitte leisten musste 2021 bereits die ehemalige Berliner Grünen-Chefin Bettina Jarasch, als sie vom „Indianerhäuptling“ sprach, dem Berufswunsch ihrer Kindheit. Im letzten Jahr sang Florian Silbereisen einen Hit von Klaus Lage, zensierte dabei aber die Zeile „Erinnerst du dich, wir ham Indianer gespielt“. Jetzt will das aus Steuergeldern reich beschenkte Berliner Humboldt-Forum, das meistbesuchte Museum Deutschlands, das „I-Wort“ aus einem Satire-Lied auf die DDR-Diktatur Erich Honeckers tilgen.

Damit hat Udo Lindenberg vielleicht eine Premiere geschafft: Sein Song „Sonderzug nach Pankow“ gilt nun in gleich zwei politischen Systemen als anstößig! Doch diese Zensur ist Unsinn auf noch mehr Ebenen, als man denkt.

Die deutsche Sprache bietet einen eindeutigen Begriff

Während sich hierzulande vor allem Europäer stellvertretend für Indianer über das Wort „Indianer“ empören, dürfte den allermeisten indigenen Amerikanern diese deutsche Bezeichnung völlig unbekannt sein.

Das ist bedauerlich, denn während im Englischen („indians“), Spanischen („indios“) und Französischen („indiens“) das Wort für „Inder“ sachlich falsch auch für die amerikanischen Ureinwohner benutzt wird, bietet die deutsche Sprache hier einen ungewöhnlich eindeutigen Begriff: „Indianer“ können nicht aus Indien, sondern nur vom amerikanischen Doppelkontinent stammen.

Andere „Alternativen“ sind genauso unlogisch: „Indigene“ beispielsweise leben auch außerhalb Amerikas – Olaf Scholz beispielsweise ist so einer, ein Indigener aus Norddeutschland. Und bei den aus mehreren Worten zusammengesetzten Umschreibungen konnte man sich nicht einmal innerhalb des englischen Sprachraums auf einen allgemeingültigen Terminus einigen: Einige wollen Indianer in den USA „Native Americans“ nennen, in Kanada hingegen ist eher die Rede von „First Nations“. Doch auch „First Nations“ gibt es außerhalb Amerikas. Und ob die Benennung „Native Americans“, also „Eingeborener aus dem Erdteil, der nach dem italienischen Sklavenhalter Amerigo Vespucci benannt ist“ wirklich einen „antikolonialen Mehrwert“ bietet – darüber lässt sich streiten.

Der altbekannte Indien-Irrtum

Obwohl auch der deutsche Begriff „Indianer“ aus dem altbekannten Indien-Irrtum von Christopher Kolumbus entstanden ist – er bleibt alternativlos gut und wertvoll, weil eindeutig und positiv besetzt. Denn vielleicht nirgendwo auf der Welt haben die Indianer dank Karl May ein so gutes Image wie hier in Deutschland.

Das Humboldt-Forum wird von der untergehenden Sonne angestrahlt, während Passanten vorbeigehen.
Das Humboldt-Forum wird von der untergehenden Sonne angestrahlt, während Passanten vorbeigehen.Paul Zinken/dpa

Manche monieren außerdem, man möge doch gefälligst nur die Selbstbezeichnungen anderer Völker verwenden. Ganz abgesehen davon, dass es gar keine Sammelbezeichnung für die amerikanischen Ureinwohner in einer indianischen Sprache gibt – wollen wir dieses Fass wirklich aufmachen? Da käme gerade auf uns Deutsche sehr viel Arbeit zu, wenn wir bei den Finnen darauf pochen wollten, dass sie uns nicht alle pauschal als „Sachsen“ bezeichnen mögen und wenn wir die Russen darauf hinweisen, dass es uns Bauchschmerzen bereitet, wenn sie uns weiterhin „die Stummen“ nennen.

Sklavenhändler als Freiheitskämpfer gefeiert

Überraschend ist, dass das Humboldt-Forum in Sachen Kolonialismus plötzlich überhaupt so viel Fingerspitzengefühl beweisen möchte. Schließlich reden wir hier immer noch von demselben Museum, dass in seiner Ethnologischen Sammlung die vermeintlichen Freiheitskämpfer Buschiri und Mirambo wegen ihres Kampfes gegen die deutsche Kolonialmacht in Ostafrika als „antikoloniale Widerstandshelden“ feiert. Dass diese „Freiheitskämpfer“ in Wirklichkeit Sklavenhändler waren, befand das Humboldt-Forum für so unwichtig, dass ihm diese Tatsache nicht einmal ein Nebensatz auf den entsprechenden Hinweisschildern im Museum wert war.

Simon Akstinat arbeitet als Fotograf und Autor. Er veröffentlicht Bücher und Hörbücher mit geschichtlichem Schwerpunkt.

Das ist ein Beitrag, der im Rahmen unserer Open-Source-Initiative eingereicht wurde. Mit Open Source gibt der Berliner Verlag allen Interessierten die Möglichkeit, Texte mit inhaltlicher Relevanz und professionellen Qualitätsstandards anzubieten. Ausgewählte Beiträge werden veröffentlicht und honoriert.