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Tod der Queen: „Es fühlt sich so an, als wäre meine Großmutter gestorben“

Der Tod von Queen Elizabeth II. versetzt das Königreich in Schockstarre. Warum hat diese Frau den Menschen so viel bedeutet? Eine Spurensuche in London. 

Trauernde stehen vor Schloss Windsor. 
Trauernde stehen vor Schloss Windsor. dpa/Adam Davy

Es ist ein trüber Tag in London. Leichter Nieselregen, eine kühle Brise. An der U-Bahn-Station läuft ein Mann mit einer Zeitung unter dem Arm über die Straße. Das Motiv auf der Titelseite: Queen Elizabeth II., die Monarchin, sieben Jahrzehnte Regentschaft. „Thank you“, steht unter einem Porträt der Queen im Seitenprofil. Am Wegrand spielt ein Straßenmusiker mit Gitarre eine Ballade.

Queen Elizabeth II. ist am Donnerstagnachmittag im Alter von 96 Jahren im Kreise ihrer vier Kinder und Enkel im schottischen Schloss Baltmore verstorben. Vor dem Palast hat sich ab 16 Uhr Ortszeit eine Menschenmenge angesammelt, obwohl es stürmte und regnete. Kurz vor Bekanntgabe der Todesnachricht klärte der Himmel kurz auf, zwei Regenbogen strahlten über den Himmel in London, über den Buckingham-Palast bis hin zum Trafalgar Square.

Viele Wartende interpretierten den himmlischen Gruß als Zeichen, dass ihre Königin den Weg zu ihrem Philip angetreten ist. Ein bittersüßer Moment. Kurz darauf ging ein Raunen durch die Menge, als der Union Jack auf halbmast gefallen ist. An diesem Platz sammeln sich am „D-Day+1“ die Trauernden. Einige weinen, liegen sich in den Armen, andere legen farbenfrohe Blumensträuße vor die Gitter des Palastes, Lilien, Sonnenblumen, Rosen. Sogar handschriftliche Botschaften sind an den Sträußen angebracht. „Thank you for being our Queen, we miss you“, lese ich auf einer Nachricht.

Frau wartet mit Blumenstrauß in der Schlange zum Buckingham-Palast.
Frau wartet mit Blumenstrauß in der Schlange zum Buckingham-Palast.Stella Tringali

Die Schlange reicht bis zum Marble Arch

Um die Mittagszeit strömen immer mehr Menschen hin zum Palast, die U-Bahn-Stationen sind verstopft. Die Polizei muss eingreifen, es wird eine lange Schlange gebildet, damit jeder die Möglichkeit bekommt, direkt am Tor „Goodbye“ zu sagen.

Die Schlange reicht bis zum Marble Arch, es wird nicht gedrängelt. Regenschauer wechseln sich mit strahlender Sonne ab. Seit den Morgenstunden pilgern Menschen aus allen Regionen des Vereinigten Königreiches zu dem Platz vor dem Palast. Ein Land trauert.

Trauernde vor dem Palast, die Flagge auf halbmast
Trauernde vor dem Palast, die Flagge auf halbmastStella Tringali

Amy und Charlotte, Mutter und Tochter, sind nach der Todesnachricht aus Leicester angereist. Charlotte weint bitterlich, ihre Tochter nimmt sie in den Arm. Sie halten beide jeweils einen Strauß Lilien in der Hand, eine Grabblume. Charlotte ist 68 Jahre alt, ihr ganzes Leben lang gab es nur eine Queen. „Ich habe die Queen geliebt, sie war eine von uns“, sagt sie. Für sie war sofort klar, dass sie nach London fahren müssen, um Abschied zu nehmen. Es kullern Tränen über ihre Wangen, sie zückt ein Taschentuch. „Wir sind noch immer schockiert, obwohl es schon länger bekannt war, dass die Königin gesundheitliche Probleme hat. Und in diesem hohen Alter ist man auf alles vorbereitet, aber trotzdem sind beide tief betroffen, als sie von der Nachricht hören.

„Man wusste, dass der Tag kommt, aber nicht wie schnell“, sagt Charlotte. Amy teilt sogar ihren Geburtstag mit der Queen, sie hat sie von Beginn an vergöttert. „Es war eine starke Frau, zu der wir aufschauen konnten, fast schon wie eine Großmutter“, erzählt sie. „Es fühlt sich an, als wäre meine Oma gestorben.“ Beide glauben, dass die Briten die Trauerzeit brauchen, um den Verlust zu verarbeiten. Dem neuen König geben sie eine faire Chance: „Er wird anders sein, aber er hatte eine lange Zeit, sich auf seine Regentschaft vorzubereiten“, sagen sie.

Sie wurde über Grenzen hinweg geliebt

„Charles ist in einer anderen Zeit aufgewachsen und hat seine Meinungen immer sehr öffentlich geäußert“, führt Charlotte weiter aus. „Er sollte seine Sichtweisen nicht immer in die Öffentlichkeit posaunen, dann wird das schon werden.“ Außerdem käme nach Charles schon William, das sei ein guter Mann, schmunzelt sie.

Ein älterer Herr mit Zeitung und einer einzelnen roten Rose im Arm fällt mir auf. Er ist in eine Uniform gekleidet, seine Abzeichen sind poliert. Derek aus dem Südosten von London war in den 1950er-Jahren bei der Royal Air Force und ist am Morgen zum Buckingham-Palast gefahren, um seiner Königin die letzte Ehre zu erweisen. Er hat mit 16 Jahren miterlebt, wie sie zur Königin gekrönt worden ist. „Es hat geregnet“, lacht er. Er habe damals im Westend gefeiert. Gestern war er an ebendiesem Ort, dem Westend, und saß in einem Restaurant, als ihn die Todesnachricht erreichte.

„Ich wusste, dass sie krank war, aber sie war so eine Konstante über die Jahre in einer sich verändernden Welt, dass es einfach ein komisches Gefühl ist, sie nicht mehr dazuhaben, sie war immer da, wenn wir Halt brauchten“, erklärt Derek. Es gefällt ihm, dass so viele Menschen aus aller Welt und aus ganz Großbritannien anreisen und gemeinsam getrauert wird. „Sie wurde über Grenzen hinweg geliebt, die ganze Welt hat eine Königin verloren“, sagt er stolz und zeigt in die Menge. Er habe ihr wie viele andere einen Blumengruß mitgebracht. Eine einzelne rote Rose aus seinem eigenen Garten.

Eine Ära geht zu Ende

Queen Elizabeth II. war ebenfalls das Oberhaupt des Commonwealth of Nations, ein Verbund ehemaliger Kolonien. Trent aus der neuseeländischen Stadt Hamilton steht in der Mitte des Platzes und schaut durch die schwarzen Gläser seiner Sonnenbrille zum flatternden Union Jack. Er ist vor fünf Wochen nach London gezogen, seine Wohnung ist 20 Minuten Fußweg entfernt. „Gestern habe ich gedacht, dass sie nicht sterben wird“, sagt er. „Ich hatte bei der Arbeit die Website der BBC geöffnet und als die Eilmeldung kam, sie sei gestorben, war ich vor allem wütend auf mich, dass ich nicht zum Palast gegangen bin, um diesen historischen Moment live mitzuerleben.“

Er hat deshalb am Abend recherchiert und gelesen, dass viele Briten heute ihre Blumen niederlegen wollen und eine große Zahl an Trauernden erwartet wird. Heute Morgen ist er direkt zum Palast gelaufen, um das Spektakel zu sehen. Obwohl sein Heimatland Teil des Commonwealth ist, fühlt er sich nicht so verbunden mit dem Königshaus wie andere Trauernde. Die Distanz sei einfach zu groß, aber trotzdem fühlt er mit, er witzelt, dass er damit gerechnet habe, dass sie ihn überlebt. „Man hatte das Gefühl, sie kann einfach nicht sterben“, sagt er.

Seine Mutter ist ein großer Fan der Royals, für sie sei es, als wäre ihre Mutter gestern gestorben, sie hat mit 65 Jahren nie eine andere Queen kennengelernt. Für Trent ist die kommende Zeit aber vor allem eins: spannend. „Es ist verrückt, bei einem so historischen Ereignis in London zu sein, ich bin gespannt, was die Zukunft bringt.“

70 Jahre Queen Elizabeth II. – eine Ära geht zu Ende. Für die Briten ist nicht nur eine Queen gestorben, sondern ein Familienmitglied.

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