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Superreich und superarm: Welchen Einfluss Milliardäre wie Musk tatsächlich auf die Gesellschaft haben

Die Gesellschaft hat sich daran gewöhnt, dass die heutige Reichtumsspitze aus Milliardären besteht. Was aber bedeuten diese Vermögensdimensionen wirklich?

Superreich: Cover der Biografie über Elon Musk, geschrieben vom Journalisten Walter Isaacson
Superreich: Cover der Biografie über Elon Musk, geschrieben vom Journalisten Walter IsaacsonZUMA Wire/imago

Neulich stellte in Deutschland eine Lehrerin ihren Schülern die Aufgabe: „Wie viele Jahre müsste ein Lehrer arbeiten, bis er so viel Geld hätte wie der reichste Mensch der Welt? Was schätzt ihr?“

Die Schüler schätzten – rechnen war wohl zu schwer – 20 bis 250 Jahre. Die richtige Antwort ist: knapp fünf Millionen Jahre – allerdings nur, wenn der Lehrer nichts von seinem Geld ausgibt. Geht man davon aus, dass er mindestens die Hälfte seines Lohns zum Leben braucht, dann sind es sogar zehn Millionen Jahre.

Das Vermögen des reichsten Menschen, Elon Musk, betrug am 15. Januar 2024 rund 230,2 Milliarden US-Dollar (zum Vergleich: Die Steuereinnahmen des deutschen Staates beliefen sich 2022 auf 337 Milliarden Dollar). „Verdientes“ Geld? Von wegen. Die obige Rechnung führt deutlich vor Augen, dass es niemals normale Arbeit ist, die Menschen so reich macht – ausgenommen die Arbeit, die man braucht, um sein Geld richtig anzulegen.

Die Pandemie als Goldrausch

Weltweit spitzt sich die Ungleichverteilung dramatisch zu. Mittlerweile besitzt das reichste 1 Prozent der Welt knapp 50 Prozent des gesamten weltweiten Vermögens. Corona war dabei ein zusätzlicher Beschleuniger. Laut der Entwicklungshilfeorganisation Oxfam haben die zehn reichsten Menschen der Welt ihr Vermögen allein während der Pandemie insgesamt auf 1,5 Billionen Dollar verdoppelt, während gleichzeitig knapp fünf Milliarden Menschen weltweit ärmer geworden sind und jeder zehnte Mensch hungert.

„Für Milliardäre glich die Pandemie einem Goldrausch“, sagt der Oxfam-Referent Manuel Schmitt. Die Regierungen hätten Milliarden in die Wirtschaft gepumpt, von denen jedoch ein Großteil bei den ohnehin Vermögenden hängengeblieben sei. Für jeden pro Kopf erzielten US-Dollar Vermögenszuwachs in den ärmeren 90 Prozent der Weltbevölkerung hat ein Milliardär im Schnitt 1,7 Millionen US-Dollar hinzugewonnen.

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Ein verzerrtes Bild in der Gesellschaft

Wie geht die demokratische Gesellschaft damit um? Viel mehr im öffentlichen Bewusstsein als die leistungslosen Einkommen der Superreichen sind Einzelfälle von Sozialhilfeempfängern, die den Staat ausnutzen. Beanstandet und für ungerecht gehalten wird von der Gesellschaft auch, wenn jemand bekanntermaßen 20.000 Euro im Monat verdient. Heißt es aber, dass irgendjemand im Jahr eine Milliarde kassiert, löst das oft eher ehrfürchtiges Erstaunen oder neiderfüllte Anerkennung aus. Warum? Vermutlich liegt die Ursache darin, dass wir uns so hohe Vermögen nicht vorstellen können.

Dazu eine Veranschaulichung der Zahl eine Milliarde im Vergleich zu einer Million: Wer eine Million einzelne Geldstücke zählen will, braucht dafür 35 Tage, wenn er acht Stunden täglich jede Sekunde eine Münze zählt. Wer dagegen eine Milliarde Geldstücke zählen will, bräuchte dafür 96 Jahre. Und um eine Milliarde Euro auszugeben, müsste man, wenn man 99 Jahre lebt und das Geld schon bei der Geburt erhalten hat, jeden Tag 27.674 Euro ausgeben – ein anstrengendes Leben.

Soviel zu den Dimensionen, um die es hier geht. Ebenfalls aufschlussreich ist es, den Vermögensanstieg der Superreichen auf einen Tag bezogen auszurechnen. Dann kommt man zum Beispiel zu dem Ergebnis, dass Elon Musk im letzten Jahr täglich (!) um circa 261 Millionen Dollar reicher geworden ist, rund 239 Millionen Euro. Das sind 9,9 Millionen Euro pro Stunde.

Der politische Faktor

Die heutigen Krösusse sind reicher, als es Könige in der Weltgeschichte jemals waren. Gesellschaftlich werden sie jedoch so behandelt, als würden sie sich nur für Luxus interessieren, ohne Bedeutung für die Demokratie – als sei nicht alleine ihre Existenz ein politischer Faktor. Dass dies freilich irrig ist, führt ein Bericht von Elon Musks Biografen Walter Isaacson deutlich vors Auge. Demnach ließ Musk sein Satellitennetzwerk Starlink, das einzige seiner Art, das die Russen mutmaßlich nicht hacken können, im September 2022 rund um die Krim abschalten. Er verhinderte dadurch, dass die Ukraine die Schwarzmeerflotte der Russen mit satellitengestützten Unterwasserdrohnen versenken konnte, weil er befürchtete, dass dieser Angriff einen dritten Weltkrieg auslösen würde. Musk bestätigte die Geschichte im Wesentlichen.

Start einer „Falcon 9“-Rakete des Raumfahrtunternehmens SpaceX zur „Starlink 6-31“-Mission. Gesehen vom Indian River in Cocoa, Florida, USA. SpaceX wurde von Elon Musk gegründet.
Start einer „Falcon 9“-Rakete des Raumfahrtunternehmens SpaceX zur „Starlink 6-31“-Mission. Gesehen vom Indian River in Cocoa, Florida, USA. SpaceX wurde von Elon Musk gegründet.Malcolm Denemark/Florida Today/AP

Was wir hier erfahren ist höchst bedenklich: Dass Elon Musk als Privatperson entscheiden kann, wie und zu welchem Zweck Waffen eingesetzt werden und dass er diese ungeheure und unkontrollierte Macht offenbar genutzt hat, um aktiv ins Kriegsgeschehen einzugreifen.

Unbegrenztes Wachstum

Wenn man einmal von dieser Machtproblematik absieht, mag jedem Milliardär und jeder Milliardärin ihr absurder Luxus gegönnt sein – wenn sie denn ihr Geld ausgeben würden. Denn solange Geld wieder ausgegeben wird, wird es dem Wirtschaftskreislauf zurückgeführt und kommt somit auch anderen zugute. Aber in der Realität gibt es dabei ein Problem: Die Superreichen können nur einen Bruchteil ihrer Erträge verkonsumieren. Auch wenn man noch so verschwenderisch lebt, kann man täglich nur schwer mehrere hunderttausend Euro oder – wie im Falle von Elon Musk – gar 239 Millionen Euro ausgeben.

Was machen die Superreichen also mit ihren nicht ausgegebenen Kapitalgewinnen? Sie legen sie wieder gewinnbringend an beziehungsweise lassen es einfach „angelegt“ liegen, was sie noch reicher macht … und andere ärmer. Über diesen Automatismus der Geldvermehrung sagte der Milliardär Edgar Bronfman einmal: „Aus 100 Dollar 110 Dollar zu machen, ist Arbeit. Aus 100 Millionen Dollar 110 Millionen zu machen, ist unvermeidlich.“

Milliarden leistungslos dem Volk weggenommen

Die Meldungen, um wie viel Geld die Superreichen ihr Vermögen gesteigert haben, lösen keine gesellschaftlichen Unruhen aus. Sie werden scheinbar ganz nebenbei aufgenommen, wie ein olympischer Wettkampf um die Reichtumsspitze, bei dem wir staunend mitfiebern dürfen. Dass wir uns an solche hohen Vermögen schon gewöhnt haben, ohne eine genaue Vorstellung von ihren Dimensionen und „Nebenwirkungen“ zu haben, mag ein Grund dafür sein.

Ein anderer ist, dass Superreichtum im Westen tendenziell als Indiz für die Freiheit angesehen wird, potenziell selbst reich werden zu können. Die westliche Gesellschaft identifiziert sich so sehr mit der Errungenschaft der Demokratie, dass sie scheinbar nicht merkt, dass wir uns wirtschaftlich in vielerlei Hinsicht an feudalistische Zeiten angenähert haben. Denn in der kapitalistischen, sogenannten Leistungsgesellschaft werden die größten Pfründe ebenfalls leistungslos erworben und vererbt.

Vielleicht würde die Bevölkerung anders reagieren, wenn die Presse zu den Reichtums-Rankings einmal schreiben würde: „Soundsoviel Milliarden hat das reichste 1 Prozent wieder leistungslos dem Volk weggenommen“ – denn genau darum geht es; die enormen Vermögenszuwächse der Superreichen speisen sich primär ja nicht aus Wirtschaftswachstum. Oder wenn in den Wirtschaftsnachrichten einmal gefragt werden würde, ob der Sinn von Unternehmen darin bestehen soll, Rendite für reiche Privatanleger zu erwirtschaften, die mit dem Unternehmen nichts zu tun haben; und ob es nicht besser wäre, die Gewinne an diejenigen auszuzahlen, die sie auch erwirtschaftet haben.

Der Bundestag berät über den Haushalt für das laufende Jahr.
Der Bundestag berät über den Haushalt für das laufende Jahr.Michael Kappeler/dpa

Der Lichtblick: Die Vermögenssteuer

Wie sieht es mit der Besteuerung des Superreichtums aus? Elon Musk entrichtete unfassbarerweise jahrelang einen Steuersatz von circa drei Prozent, während Lehrer in den USA bis zu 24 Prozent Einkommenssteuern zahlen. Erst vor kurzem lösten ZDF-Journalisten landesweite Empörung aus, als sie zutage brachten, dass Superreiche durch das Ausnutzen von Steuerschlupflöchern oft auf einen Steuersatz von sogar nur 1 Prozent kommen – alles Zustände, die dazu führten, dass idealistische Millionäre sogar Organisationen wie „Taxmenow“ oder „Patriotic Millionaires“ gründeten, in denen sie im Namen der Gerechtigkeit selbst fordern, höher besteuert zu werden.

In den USA scheint es nun einen Lichtblick in der Thematik zu geben. Joe Biden hat letztes Jahr angekündigt, die Superreichen stärker zu besteuern. Der Steuersatz für sie soll demnach bei 25 Prozent liegen. Zwar hätte Elon Musk selbst bei einer Vermögenssteuer von 99 Prozent immer noch ein zweifelhaftes Privatvermögen von über 2 Milliarden Dollar. Aber solange wir keine gesetzlichen Obergrenzen für Privatreichtum eingeführt haben sowie keine Stellschrauben, die leistungsloser Geldvermehrung entgegenwirken, ist eine solche Besteuerung der Superreichen ein wichtiger Anfang.

Alrun Vogt studierte Politikwissenschaft mit dem Schwerpunkt soziale Gerechtigkeit und Geschichte. Sie ist freie Journalistin und Autorin des Buches „Wirtschaft anders denken“ (Oekom 2016).

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