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Vor zehn Jahren wurde der Berlin-Prozess ins Leben gerufen, ein Forum, das die Westbalkanstaaten (Albanien, Bosnien und Herzegowina, Kosovo, Montenegro, Nordmazedonien und Serbien) sicherheits- und umweltpolitisch, wirtschaftlich und sozial näher an die Europäische Union (EU) heranführen soll. Im Vorfeld des 10. Jubiläums, das am 14. Oktober in Berlin mit einem Gipfel begangen wird, gibt es eine Reihe von Entwicklungen, die den weiteren Lauf dieser Initiative beeinflussen könnten.
Sicherheitspolitisch hatte sich die Lage in Kosovo letztes Jahr so verschlechtert, dass Washington diplomatisch intervenierte. Im September 2023 starben bei einem Angriff serbischer Paramilitärs drei Angreifer und ein kosovarischer Polizist. Als der serbische Präsident Aleksandar Vučić Militärverbände gen Kosovo in Bewegung setzte, schritten die USA ein. Der serbische Aufmarsch beinhalte ein „beispielloses“ Aufgebot von Artillerie und Panzern und sei „destabilisierend“, so der Sprecher des Nationalen Sicherheitsrates. Nach US-Außenminister Antony Blinkens telefonischer Intervention zog Belgrad seine Truppen zurück. Die Aufstockung der Nato-Schutztruppe Kfor von 4000 auf 5000 und verstärkte Grenzpatrouillen beruhigten die Situation.
In Bosnien und Herzegowina ist die Lage so gespannt, dass Washington direkt eingriff: am 20. August traf der Direktor des Auslandsnachrichtendienstes CIA, William Burns, überraschend in Sarajevo ein, um, laut einem US-Diplomaten gegenüber Radio Free Europe/Radio Liberty, mit Regierungsvertretern die „beunruhigende sezessionistische Rhetorik und Aktivitäten“ Milorad Dodiks zu besprechen. Dodik ist Präsident des serbisch dominierten Landesteils, der Republika Srpska, der seit Jahren mit Abspaltung der Region droht.

Doch eine im Juni in Belgrad stattgefundene Strategiekonferenz – geführt von Vučić und Dodik unter dem Motto „Allserbische Versammlung: Serbien und Republika Srpska – Ein Volk, eine Versammlung“ – hatte Washington alarmiert. Ziel der Versammlung war die Umsetzung des strategischen Ziels der „Serbischen Welt“, also „einen politischen und staatlichen Raum“, in dem alle Serben leben sollten, wie es Vize-Premier Aleksandar Vulin definiert. Thema der Gespräche Burns’ waren „die territoriale Integrität und Souveränität Bosnien und Herzegowinas“, so der US-Beamte.
Dodik habe „niemals“ vorgehabt, die Republika Srpska abzuspalten
Des CIA-Direktors Blitz-Besuch war erfolgreich, denn nach seinem Treffen mit Dodiks Vertrauter, der serbischen Vertreterin im Staatspräsidium, Željka Cvijanović, schrieb Dodik auf X (vormals Twitter), er habe „niemals“ die Absicht gehabt, die Republika Srpska abzuspalten. Oppositionsführerin Jelena Trivić nannte ihn daraufhin einen „Feigling“. Somit hatte Burns’ Besuch durchschlagendere Wirkung als Dutzende EU-Versuche der letzten Jahre.

Ein Sprecher des Auswärtigen Amts kritisierte die „Allserbische Versammlung“ scharf: „Da gab es auch eine ‚Allserbische Erklärung‘, und die finden wir, gelinde gesagt, sehr besorgniserregend und schädlich für Bosnien und Herzegowina, für Serbien und für alle Länder des westlichen Balkans.“ Im April hatte der Nato-Oberkommandierende für Europa, US-General Christopher Cavoli, vor von Russland unterstützten serbischen separatistischen Bestrebungen gewarnt, die die Lage in Bosnien und Herzegowina und Kosovo weiter verschärfen könnten. Am 9. Januar hatten serbische Regierungsmitglieder an einer verfassungswidrigen Paramilitärparade zum Gründungstag der Republika Srpska teilgenommen. Zuvor flogen US-F-16-Kampfflugzeuge in einer „show of force“ über Nordbosnien. Die US-Botschaft ließ verlauten, dass „das Engagement der USA zur Wahrung der territorialen Integrität Bosnien und Herzegowinas angesichts von … Sezessionsbestrebungen“ erfolgte.
Im Mai versuchten Dodik und Vučić eine deutsch-ruandische UN-Resolution zu verhindern, die den 11. Juli zum Srebrenica-Genozid-Gedenktag machte. US-Botschafter Michel Murphy warnte Dodik im Juni unmissverständlich, er „bedroht die Interessen der USA in Bosnien und Herzegowina, indem er die Sezession“ der Republika Srpska verfolge. Umweltpolitisch hat das von Kanzler Olaf Scholz initiierte Memorandum zur Lieferung serbischen Lithiums an die EU die Gemüter vieler in Serbien erhitzt, denn diese fürchten erhebliche Auswirkungen. Massendemonstrationen der Zivilgesellschaft wurden von Regierungsseite per se als vom Ausland gesteuert abqualifiziert. Moskau warf der CIA Putschabsichten gegen Vučić vor. Bürgerrechtler Boban Bogdanović kritisierte Scholz und warf ihm „Machtmissbrauch“ vor: „Er hat einen riesengroßen Fehler mit dem Lithium-Deal gemacht, mit der Unterstützung Vučićs, genauso wie es die EU damals mit Putin gemacht hat.“ Der Deal hätte auch Außenminister Annalena Baerbocks Anstrengungen unterminiert, „Rechtsstaatlichkeit und EU-Standards“ für Serbien einzufordern.

Die Bundesregierung als Gastgeber des Berlin-Prozess-Gipfels und die EU stehen nun vor der Herausforderung, die Krisen auf dem Westbalkan in den Griff zu bekommen. Dazu könnte eine umfassende Demokratisierung, inklusive Rechtsstaatlichkeit und Pressefreiheit, gehören. Dass nicht nur Belgrad in allen drei Punkten erhebliche Defizite vorweist, ist unstrittig. Ein Schritt zur regionalen Vertrauensbildung wäre die Anerkennung des Srebrenica-Gedenktags. Da weder das serbische Volk noch Serbien genannt werden und die Schuldfrage individualisiert ist, könnte Belgrad diese UN-Resolution ohne Gesichtsverlust anerkennen.
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Vertrauensbildende Maßnahmen zur Festigung gutnachbarschaftlicher Beziehungen könnten Abrüstung beinhalten. Serbien verfügt über mehr Militärtechnik als alle ehemaligen jugoslawischen Teilrepubliken zusammen. Hier könnte ein regionaler Rüstungswettlauf stattfinden. Die OSZE hat viel erreicht und könnte an die regionalen Abrüstungserfolge nach dem Dayton-Abkommen anknüpfen (Annex 1-B „Regional Stabilization“). Die vom französischen Präsidenten Emmanuel Macron beschlossene Lieferung von zwölf Rafale-Mehrzweckkampfflugzeugen an Serbien vergrößert dessen militärische Vormachtstellung. Zur Vertrauensbildung könnte auch beitragen, wenn Belgrad das seine Nachbarn ängstigende Projekt der „Serbischen Welt“ als Nachfolgeplan von Slobodan Miloševićs „Großserbien“ einmotten würde. Wie Bundeskanzler Scholz auf der Münchner Sicherheitskonferenz sagte: „Ohne Sicherheit ist alles andere nichts.“



