Dass im Juni wieder einmal Tausende Menschen in Warschau gegen das Abtreibungsverbot in Polen protestiert haben, ging durch alle Medien. Nicht nur in Warschau, in vielen polnischen Städten gingen mehrheitlich Frauen auf die Straße, um gegen die herrschende Gesetzeslage zu protestieren.
Das Abtreibungsverbot machen sie auch dafür verantwortlich, dass eine 33-jährige schwangere Frau sterben musste. Grund war eine Sepsis, die durch den Tod ihres 20 Wochen alten Fötus in ihrem Bauch zustande kam.
Die Frauen werfen dem polnischen Präsidenten Andrzej Duda vor, Frauen in Zwangssituationen zu bringen, die sie im Zweifel mit dem Leben bezahlen müssen.
Ausweg für viele Polinnen: Abtreibung in Deutschland
Was weniger bekannt ist, weil hier auch eine hohe Dunkelziffer herrscht: Viele polnische Frauen reisen nach Deutschland, um hier eine Abtreibung zu vollziehen.
Dr. Mario Kleinke, der in Frankfurt (Oder) eine Praxis für Frauenheilkunde betreibt, berichtet, dass viele Frauen aus Polen zu ihm kommen. „Das sind aber in der Mehrzahl Frauen, die in Deutschland eine Versicherung haben und die oft pendeln, weil sie bei Zalando, in Hotels oder bei Amazon beschäftigt sind“, so Kleinke.
Schwieriger wären Beratungen natürlich bei Frauen, die nicht versichert sind und somit auch keine legale Möglichkeit für eine Abtreibung hätten. Einen Anstieg dieser Fälle konnte Kleinke in den letzten Jahren nicht beobachten.

Deutsch-polnisches Projekt „Tante Barbara“
Doch längst nicht alle polnischen Frauen wählen in der Situation, in der sie eine Schwangerschaft nicht fortführen wollen, den offiziellen Weg. Hier kommt „Tante Barbara“ ins Spiel, eine inoffizielle Beratung für Schwangere, die auf polnisch Ciocia Basia heißt.
„Tante Barbara“ ist eine anonyme telefonische Beratung für polnische Frauen, die in ihrer Situation nicht weiterwissen. Unter einer Handynummer antworten je nach Zeitpunkt verschiedene Beraterinnen, die Nummer gibt es auf Facebook und auf Flugblättern, die an verschiedenen Orten in Polen verteilt werden.
Um Frauen auf Dörfern zu erreichen, kleben die Aktivistinnen von „Tante Barbara“ sogar Aufkleber mit der Hotline an Laternenpfähle und Damentoiletten. Die Frauen am Handy erklären dann den Anruferinnen, wie die Vorschriften und Gesetze genau aussehen und welche Möglichkeiten in ihrer Situation bestehen.
Im Ernstfall geht die Hilfe sogar so weit, dass eine Begleitung in Deutschland organisiert wird, um die Betroffene zum obligatorischen Beratungsgespräch zu begleiten und auch zu dolmetschen – längst nicht alle Polinnen sprechen Deutsch oder Englisch.
Finanzierung durch Spenden
Für diese Dienste haben die Aktivisten von „Tante Barbara“ ein kleines Budget, das sie durch Spenden erhalten haben. Die Kosten sind nicht unerheblich: eine Abtreibung in der günstigsten Version kostet in Deutschland ab 400 Euro aufwärts, wenn Komplikationen dazukommen, kann es schnell auf 2000 Euro hochgehen.

Bisweilen organisiert „Tante Barbara“ auch ungewöhnliche Hilfsaktionen: So flog im Juni 2015 eine Drohne mit zwei Packungen mit Abtreibungspillen von Frankfurt (Oder) nach Slubice – der Grenzschutz konnten sie nicht aufhalten. Das war aber eher als PR-Aktion geplant.
Abbrüche im Zweifelsfall mit gefährlichen Hausmitteln
Für Polinnen der Mittelschicht, die gebildet sind, ist eine Abtreibung meist ohne Netzwerke und fremde Hilfe möglich. Doch gerade ärmere Frauen, die sich eine Reise ins Ausland nicht leisten können, greifen nicht selten zu gefährlichen Hausmitteln, um eine Schwangerschaft zu beenden. Das ist eine hochriskante Angelegenheit.
So sieht man auf vielen Demonstrationen in Polen Frauen mit Kleiderbügeln aus Draht in der Hand: Ein drastisches Symbol für die ungeeigneten und gefährlichen Mittel, mit denen sich manche Frau in ihrer Not hilft.
Die Abtreibung wurde in Polen Mitte der 1990er-Jahre verboten. Nach dem Ende des Sozialismus schlug Polen den Weg der Kriminalisierung der Abtreibung ein, um ein neues nationales Selbstverständnis einzuläuten – weg von der freien Handhabung im Sozialismus, hin zu konservativen katholischen Werten. Und nebenbei noch als Dankeschön für den polnischen Papst, der ja die Solidarnosc-Bewegung unterstützt hatte.
Die Soziologin Elzbieta Korolczuk, die in Warschau unter anderem zu Frauenbewegungen forscht, merkt an, dass die meisten Abtreibungen in Polen durch Medikamente vorzeitig beendet werden. „Abtreibungstabletten sind effizienter“, sagt sie, „und beliebter.“
Dass eine Abtreibung in Deutschland nicht strafbar ist, hat sich noch nicht unter allen Polinnen herumgesprochen. In Polen ist die Gesetzeslage dagegen so hart, dass selbst ein Schwangerschaftsabbruch nach einer Vergewaltigung vom Staatsanwalt genehmigt werden muss.

Krankenhäuser können einen Schwangerschaftsabbruch verweigern
Die offiziellen Zahlen besagen, dass rund 2000 Polinnen im vergangenen Jahr einen Schwangerschaftsabbruch vornahmen. Die Dunkelziffer dürfte um ein vielfaches höher sein.
Doch auch wenn der Schwangerschaftsabbruch in Polen vom Gesetz her möglich wäre, können Krankenhäuser ihn verweigern. Das macht die sogenannte Gewissensklausel möglich.
Bei alldem muss man bedenken, dass der Einfluss der katholischen Kirche in Polen auf den Abbruch einer Schwangerschaft sehr hoch ist. Schon vor Jahren machte die katholische Kirche in Polen erheblich Druck, um das Abtreibungsrecht zu verschärfen.
Entscheidungsmacht der katholischen Kirche
Meist sind es dabei Männer, die sich in fundamentale Belange der Frauen einmischen. So sagt der polnische Dominikaner Pawel Guzynski: „Die katholische Kirche war schon immer der Ansicht, dass das menschliche Leben heilig ist. Dafür sprechen religiöse und philosophische Argumente. Das religiöse Argument lautet: Du sollst nicht töten.“
Diese Ansicht ist nicht neu, neu ist aber, dass Bischöfe in Polen die rechtskonservative Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) im Wahlkampf in dieser Sache unterstützen. Die Politiker in Polen wissen sehr wohl, dass die Mehrheit der Polen gegen eine Verschärfung des ohnehin schon strengen Abtreibungsrechtes ist.
Während in Deutschland legal bis zum dritten Monat abgetrieben werden darf (entspricht der 14. Schwangerschaftswoche, wobei bei medizinischer Indikation die Abtreibung auch nach der zwölften Woche nach der Empfängnis erlaubt ist, Anm. d. Red.), ist in Polen die Abtreibung nur erlaubt, wenn das Leben der Schwangeren in Gefahr ist oder eine Vergewaltigung vorliegt.
Abbruch auch bei Erkrankung des Fötus nicht zulässig
Wenn der Fötus unheilbar erkrankt ist, ist in Polen eine Abtreibung neuerdings illegal. Die Geschäftsstelle von Pro Familia e.V. in Frankfurt (Oder) teilt indes schriftlich mit, dass keine Presseanfragen beantwortet werden.

Einen Grund teilt Pro Familia nicht mit und fügt schon fast bösartig ungefragt an, dass entsprechende Anfragen auch in der Zukunft nicht beantwortet würden. Das Thema ist brisant, auch andere potenzielle Gesprächspartnerinnen zeigen sich zugeknöpft.
Constanze Hach, die als Fachärztin für Gynäkologie und Geburtsmedizin im Familienplanungszentrum Balance in Berlin arbeitet, zeigt sich gesprächsbereit. „Zu uns kommen Frauen aus allen Teilen Polens und wir bieten ihnen Behandlungen zu möglichst niedrigen Preisen an“, sagt sie.
Sie arbeitet eng mit „Tante Barbara“ zusammen, hat aber keinen Einfluss darauf, wie die Kosten dort konkret auf die jeweilige Frau umgeschlagen werden.
Die meisten Frauen, so hat es Hach beobachtet, kommen eher in der späteren Phase der Schwangerschaft, also innerhalb der gesetzlich festgelegten 13+6 Wochen. Und bei Balance kommen praktisch nur operative Behandlungen zum Tragen, für die medikamentöse Art fehle ja die Betreuung in Polen.
Und, was für Hach noch wichtig zu erwähnen ist: „In letzter Zeit kommen vermehrt Frauen, die wegen festgestellter Fehlbildungen des Fötus abtreiben wollen.“





