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Oki Doki: Vor 75 Jahren starteten im RIAS die „Schlager der Woche“

Die Kultsendung wurde im Besonderen von Moderator Lord Knud geprägt, spielte zudem eine nicht unwesentliche Rolle im Ost-West-Konflikt.

Moderator Lord Knud beim RIAS, Autogrammkarte
Moderator Lord Knud beim RIAS, AutogrammkarteRIAS

Die etwas Jüngeren unter den Alten in Ost und West verbinden diese Kultsendung des RIAS (Rundfunk im amerikanischen Sektor) mit dem Namen eines angeblich Adligen: Lord Knud. Von 1968 bis 1985 moderierte er jeden Freitag- und Montagabend die „Schlager der Woche“, die im Juli 1947 – vor 75 Jahren – ihren Anfang genommen hatten. Die zwei Jahrzehnte vor Knud sind nahezu in Vergessenheit geraten, und den letzten Moderator umgibt eine nicht immer gerechtfertigte Verklärung.

Das Adelsprädikat hatte sich Knud Kuntze zugelegt, weil er als Bassist zur populären Beat-Gruppe The Lords gehörte. Ein tragischer Autounfall beendete 1964 diese Karriere. Knud verlor bei dem Unglück sein rechtes Bein und ging als Diskjockey zum RIAS. Ein Ereignis, das für Eingeweihte seine Gemütslage lebenslang zu bestimmen schien.

Allseits beliebte Häschen-Witze

Es war nicht sein öffentliches Bekenntnis zu Haschisch und Drogen, das er gern in der Grolmannstraße im Künstlerlokal des Boxers Franz Diener zelebrierte. Auch nicht die frauenfeindlichen Sprüche in seinen Sendungen oder seine national-konservative Haltung, die ihn allzu oft für die politischen Thesen von Franz-Josef Strauß Stellung nehmen ließ. „Der Programmchef drückte beim Lord oft ein Auge zu“, erinnert sich RIAS-Legende Nero Brandenburg.

Dieser RIAS-Programmchef hieß Herbert Kundler und war Programmdirektor und zeitweise amtierender Intendant des RIAS. Ein hundertprozentiges Radiogenie, dessen Luzidität und Ideenreichtum die hohe Qualität des RIAS-Programms garantierte. In seinem großartigen Buch „Eine Radiostation in einer geteilten Stadt“ hat er dazu einen Überblick gegeben. Doch was kaum jemand wusste: Kundler schrieb fast alle Texte für die Sendungen von Knud Kuntze – von „Evergreens a Go Go“ bis zu den „Schlagern der Woche“. Daher stammten die kessen Bemerkungen zu Erich Honecker und seine allseits beliebten Häschen-Witze („Hat du Möhren?“). Kundler ließ grüßen und kaum jemand wusste es.

Als die Berliner CDU im heißen Wahlkampf um die Neue Ostpolitik von Willy Brandt Knud Kuntze 1971 im guten Glauben an seinen Erfindungsreichtum für eine Wahlparty engagierte, mussten die Organisatoren dem Radiostar sehr bald das Wort entziehen, weil er an diesem Abend zu viel politischen Unsinn verkündete.

Gutes Verhältnis zu Persönlichkeiten wie Udo Jürgens

Meinen persönlichen Strauß mit Lord Knud focht ich 1975 im Umfeld des Berliner Presseballs aus, als mich der Journalisten-Verband als vermutlich „Linken“ beauftragte, für den Ball-Almanach einen satirisch-ironischen Beitrag über den erkennbar rechts-konservativen Knud zu schreiben. Natürlich kritisierte ich auf kollegiale Weise seine Haltung zur Frauenemanzipation und zu den politischen Ansichten von CSU-Strauß. Knuds Reaktion waren in seiner nächsten Sendung rassistische Ausfälle gegen mich, die sich auf meinen Familiennamen und meine braune Hautfarbe bezogen.

Ich nahm das trotzdem locker und gelassen, denn Kuntze hatte ein gutes Verhältnis zu von mir hochgeschätzten Persönlichkeiten der Pop- und Radioszene wie Udo Jürgens, Nero Brandenburg oder Oliver Dunk. Das zählte. Daher bin ich, wann immer es möglich war, im Fall Kuntze stets bei der Devise geblieben „De mortuis nihil nisi bene“ – „Nur Gutes über die Toten“.

Das Radio-Aus für Lord Knud kam 1985, als er ins Mikrofon tönte: „Ich mag Frauenbewegung – nur rhythmisch muss sie sein.“ Hartnäckig hielt sich das Gerücht, der damalige Regierende Bürgermeister und spätere Bundespräsident Richard von Weizsäcker habe höchst persönlich für den Abgang von Knud Kuntze gesorgt. Jedenfalls entzog auch Programmdirektor Herbert Kundler seinem Schützling nach diesem Fauxpas die Gunst. Kuntze starb im Juni 2020 – im Osten noch immer mehr verehrt als im Westen.

Nach dieser scheinbar endlosen Lord-Knud-Story mutet die Vorgeschichte der „Schlager der Woche“ ab Juli 1947 geradezu wohltuend und romantisch an. Sie ist verknüpft mit einigen Großen der fast 100-jährigen deutschen Radiogeschichte. Der Name der Sendung und die Sendetermine wechselten, bis sich im Juli 1947 der Freitagabend als Stammplatz herauskristallisierte.

Große Popularität verhindert seine Kündigung

Ernst Verch – im RIAS ein Mann im Hintergrund – hatte die Idee zu dieser Sendeform. Wolfgang Behrendt, der damals markanteste und beliebteste RIAS-Sprecher, war der erste Moderator. Behrendt stand fünf Jahre später beim RIAS vor dem Rauswurf, als er 1952 die Null-Uhr-Nachrichten in Anlehnung an den gerade mit großem Erfolg in die Kinos gekommenen Film mit dem Satz „Es ist Mitternacht, Doktor Schweitzer“ einleitete. Behrendts übergroße Popularität verhinderte die Kündigung. Wenig später entschied sich Behrendt für einen Wechsel zum WDR (ebenso wie Werner Müller mit dem RIAS-Tanzorchester) und wurde 1963 bei der Gründung des ZDF dessen Chefsprecher.

Ihm folgten bei den „Schlagern der Woche“ im RIAS Radiolegenden wie Fred Ignor, Karin Jurow, Camillo Felgen oder Jürgen Graf. Im Zuge einer engeren Kooperation mit dem US-Soldatensender AFN moderierte dann auch der Schauspieler und Sänger Charlie Hickman (bestens bekannt vom AFN, dem WDR und anderen ARD-Anstalten) die Kultsendung, bis Lord Knud mit „Oki Doki“ das Mikrofon übernahm.

Count Basie führt die Hitliste an

1947 – zwei Jahre nach Kriegsende – rangierte „Hallo kleines Fräulein“ mit den längst vergessenen Drei Travellers im Westen auf Platz eins der Pop-Charts. Die weitaus beliebtere US-Hitliste wurde nach „In the mood“ und „Sentimental Journey“ (deutscher Witz-Text: „Stell dir vor, wir hätten Schokolade“) von Count Basie und „Open the door, Richard“ („Öffne die Tür, Richard“) angeführt. Meine zu Schulzeiten angelegte private Hit-Chronik registrierte 1951 wochenlang „Addio Donna Grazia“ mit Vico Torriani und 1952 noch viel länger „Be my love“ mit dem sagenhaften Tenor Mario Lanza auf dem ersten Platz.

Die „Schlager der Woche“ – Synonym für „Radio at its best“. Über Jahrzehnte das Markenzeichen einer Radiostation, die Menschen zusammenführte, gelegentlich polarisierte und obendrein im Ost-West-Konflikt eine Rolle als intelligentes Propaganda-Instrument spielte.

Alexander Kulpok ist Journalist und Autor. Er arbeitete schon in den 50er-Jahren im Sender Freies Berlin, zunächst im Jugendfunk, dann als Reporter, Redakteur, Moderator und schließlich lange als Leiter der ARD-/ZDF-Videotextredaktion. 2019 erschien sein Buch „SFB mon amour“.

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