Ob am Kollwitzplatz in Prenzlauer Berg, in der Müllerstraße in Wedding, am Neuköllner Rollberg oder rund um den Kreuzberg – für Jahrzehnte waren traditionsreiche Radrennen fester Bestandteil des Berliner Leistungssports. In der Hochzeit des Radsports, den 90er-Jahren, gab es in Berlin mehr als 30 Radrennen pro Saison. Überlebt hat davon nur eines: Das Lichterfelder Rundstreckenrennen ist das letzte seiner Art. Es wird traditionell im Rahmen der Steglitzer Woche ausgetragen und lockt Radsportler aller Nachwuchs- und Leistungsklassen in den Südwesten der Stadt.
Nur die Corona-Pandemie und die Baustelle legten dem Lichterfelder Radklassiker Steine in den Weg. Letztes Jahr musste das Rennen spontan abgesagt werden, da eine sichere Streckenführung über die Baustelle am Hindenburgdamm nicht möglich war. „Jetzt, ein Jahr später als geplant, ist die Baustelle fertig. Letztes Jahr war schon alles in Sack und Tüten, und dann mussten wir das Rennen eine Woche vor dem Termin leider noch absagen“, sagt Karsten Podlesch, Organisator und Präsident des ausrichtenden Radsportvereins Zehlendorfer Eichhörnchen. Er ist der zweitgrößte Berliner Radsportverein.
Vor genau 70 Jahren fiel der Startschuss zur ersten Austragung. In diesem Jahr realisieren die Veranstalter das Rennen mit einer neuen Strecke.
Seinen Klassikerstatus verdankt das Rennen auch der schwierigen Streckenbeschaffenheit. Denn ein Großteil der Strecke führt über Kopfsteinpflaster, was den Wettkampf zu einer holprigen Angelegenheit macht, die Sportler und Material besonders fordert.

Daran ändert auch die neue Streckenführung nichts: Der 1,4 Kilometer lange Kurs führt erstmals linksherum. Er startet in der Augustastraße, führt am Augustaplatz entlang und biegt dann links auf die Memlingstraße. Von dort geht es auf die Dürerstraße und anschließend über die Moltkestraße und die Holbeinstraße wieder auf die Start- und Zielgerade, am Ludwig-Beck-Platz vorbei.
Im Vergleich zur alten Strecke gibt es deutlich mehr Pflaster – es sei „aber nicht ganz so brutal“, erklärt Podlesch. Die Kopfsteinpflasterpassagen haben Tradition. Was früher als Aushängeschild für Berliner Radrennen galt, ist in dieser Intensität etwas Besonderes im heutigen Amateurradsport.
So traditionsreich wie die Streckenbeschaffenheit ist auch der Austragungsort: Der Ludwig-Beck-Platz bietet ausreichend Fläche für Publikum, Sportler, gastronomische Versorgung und Musik. Hier entstehen Synergieeffekte aus der Zusammenarbeit von Sport, Gesellschaft und Politik. Letztere ist eng eingebunden in die Veranstaltungsorganisation. Politiker präsentieren sich gerne auf der Sportveranstaltung – im Vorfeld der Europawahl erst recht –, spenden aber auch „nicht unbeträchtliche Geldsummen“.
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Auf die Unterstützung durch Sponsoren sind die Veranstalter dringend angewiesen. Denn neben der Erteilung einer Genehmigung durch die Stadt ist die finanzielle Unterstützung eine Hauptherausforderung für das Radrennen. „Nach Corona sind die Absperrkosten sehr in die Höhe geschossen“, erklärt Karsten Podlesch – von 1000 auf rund 4500 Euro. „Das kriegt man bei so einer Veranstaltung nie wieder rein.“ Podlesch macht deutlich, dass der Verein als Ausrichter „definitiv keine schwarzen Zahlen“ schreibe, sondern eher eine „Miese von 2000 bis 3000 Euro“ mache – „aber wir machen’s halt, weil wir ein bisschen radsportverrückt sind und den Nachwuchs fördern wollen“.
Unterstützung aus der Politik
Ohne die Unterstützung durch wichtige Sponsoren sowie die Zehlendorfer Politik – parteiübergreifend, wie Podlesch betont – sei dies nicht möglich. Auf die Politik und das Bezirksamt sind die Zehlendorfer Eichhörnchen insbesondere auch bei der Genehmigung angewiesen. Denn die Auflagen sind hoch – von Feuerwehr über Krankenhaus bis Polizei gilt es alle Akteure einzubinden und die sicherheitsrelevanten Bedingungen zu erfüllen. Das funktioniert gut in diesem Bezirk: „Dadurch, dass wir eine Traditionsveranstaltung sind und Leute im Boot haben, die seit vielen Jahren uns unterstützen, speziell natürlich auch der Bezirksbürgermeister.“

Die hohen Auflagen sind ein Grund, weshalb das Lichterfelder Radrennen das letzte öffentliche Radrennen in Berlin ist, das von einem Verein ausgerichtet wird. Alle anderen Rennen werden vom Berliner Radsportverband (BRV) organisiert. Viele andere Berliner Radrennklassiker fielen den organisatorischen Hürden und der mangelnden Manpower aus den Vereinen zum Opfer.
Die größer werdende Lücke im Wettkampfangebot der Vereine versucht der BRV mit neuen Rennformaten zu schließen, etwa der Tour de Berlin Feminin und dem Airfield Race. „Es ist immer schwieriger geworden, Veranstaltungen zu realisieren“ erklärt BRV-Präsident Claudiu Ciurea. Umso mehr freut es auch den BRV, dass es das Zehlendorfer Radrennen noch gibt. „Es gibt großen Zuspruch von den Anwohnern, der Politik und den Sportlern selbst“, weiß Ciurea.
Dass das Rennen auch bei den Sportlern sehr beliebt ist, liegt neben der Volksfestatmosphäre an den großzügigen Prämien: Preise wie eine Armbanduhr oder Smartphones ziehen auch überregional Athleten an und sorgen für spannende Wettkämpfe. Aktuell gibt es rund 160 Anmeldungen für die Rennen, die Veranstalter rechnen mit etwa 200 Startenden in allen Klassen. Das Rennen der Eliteklasse ist das sportliche Highlight des Tages. Am meisten freut man sich bei den Zehlendorfer Eichhörnchen aber auf die Jugendwettkämpfe, wie das Laufradrennen für Zwei- bis Vierjährige. Denn die Hauptmotivation, das Event am Leben zu halten, ist die Nachwuchsförderung.
Der erste Startschuss am Samstag fällt beim Laufradrennen für Kinder um circa 13 Uhr (Anmeldung vor Ort möglich), gefolgt von den Nachwuchsklassen. Der Start des Eliterennens ist um 17.30 Uhr, die Veranstaltung endet gegen 20 Uhr.
Mehr Infos unter: https://www.radsport-eichhoernchen.de/


