Open Source

Kaiserliche Jagd in der Schorfheide: Sehr erfreut, „die Fehlschüsse der anderen zu sehen“

Wilhelm der II. ließ einen Bahnhof in Joachimsthal bauen, Hunderte Male fuhrt der kaiserliche Sonderzug zur Jagd. Steckte ein traumatisches Kindheitserlebnis dahinter? 

Wilhelm II. auf der Jagd
Wilhelm II. auf der JagdPhoto 12/imago

Dies ist ein Open-Source-Beitrag. Der Berliner Verlag gibt allen Interessierten die Möglichkeit, Texte mit inhaltlicher Relevanz und professionellen Qualitätsstandards anzubieten.

Die Schorfheide war schon immer ein attraktives Ausflugsziel für die Reichen und Mächtigen aus dem nahen Berlin. Eines der größten zusammenhängenden Waldgebiete Deutschlands lockte seit jeher mit seinem Wildreichtum, den vielen Seen und der Schönheit seiner weitläufigen Mischwälder. Fernab der turbulenten Großstadt jagten und erholten sich hier Fürsten, Kaiser und später Staatsratsvorsitzende.

Der letzte deutsche Kaiser, Wilhelm der II., mit vollem Namen Friedrich Wilhelm Viktor Albert von Preußen, aus dem Hause Hohenzollern, kam häufig in die Schorfheide. Der Kaiser verbrachte mindestens neun Monate im Jahr außerhalb seiner Residenzstädte Berlin und Potsdam. Man nannte ihn daher auch „Reisekaiser“.

Open Source Newsletter
Vielen Dank für Ihre Anmeldung.
Sie erhalten eine Bestätigung per E-Mail.

Um die Zeit seiner Regentschaft von 1888 bis 1918 pflegte seine Majestät regelmäßig in das riesige, brandenburgische Waldgebiet zu reisen, um seiner größten Leidenschaft zu frönen: der Jagd.

Im Lied „Wir wollen unsreen alten Kaiser Wilhelm wieder haben“ von Richard Henrion (1893) als einer von vier Fanfarenmärschen komponiert, heißt es dementsprechend treffend: „Ja, mit Jagdgesang und Hörnerklang / rings um Fehrbellin durch die Wälder ziehn …“

Der Kaiser konnte in der Schorfheide seiner Begeisterung freien Lauf lassen, denn sie war seit Jahrhunderten Jagdrevier der brandenburgisch-preußischen Hohenzollern. Schon als junger Prinz verbrachte Wilhelm viel Zeit bei der Jagd. Als 17-Jähriger soll er lange bei Regen in einer Pfütze ausgeharrt haben, um einen Hirsch zu erlegen. Berühmt-berüchtigt war auch seine Rekordsucht und sein Absolutheitsanspruch: „Ich befehle, dass in meinem Jagdgehege Schorfheide als Jagdart nur die Pürsch stattfindet. Die jagdbaren Hirsche werde ich allein schießen“, proklamierte er 1888.

Die Reise zum Sehnsuchtsort war seinerzeit allerdings sehr aufwendig, galt es doch, die Familie des Kaisers plus die gesamte Entourage sowie zuweilen ausländische Jagdgäste mitzunehmen. Zwar gab es bereits die Preußische Bahn, die von der Hauptstadt Berlin bis ins pommersche Stettin, dem heutigen Szczecin fuhr. Jedoch musste sogar der Kaiser in dem kleinen Ort Britz bei Eberswalde in eine Kutsche umsteigen, um in das Jagdschloss Hubertusstock zu gelangen, dem Ziel der Reise.

Was die Wahl der Transportmittel angeht, wirkt der Kaiser auf den ersten Blick konservativ. Von ihm soll der Ausspruch stammen: „Ich glaube an das Pferd, das Automobil ist eine vorübergehende Erscheinung.“ Doch fortschrittsfeindlich war Wilhelm II. keineswegs.

Der kaiserliche Bahnhof in Joachimsthal
Der kaiserliche Bahnhof in JoachimsthalCHROMORANGE/imago

Kaiserbahnhof und Sonderzug der Majestät

Um der Jagdgesellschaft und mitunter auch ausländischen Staatsgästen eine komfortable Reise zu gewährleisten, ließ der Kaiser in der Nähe des schönen Werbellinsee eine eigene Bahnstation für sich erbauen. Das original erhaltene Gebäudeensemble existiert bis heute als Bahnhof, nahe der Kleinstadt Joachimsthal. Der „Kaiserbahnhof“, wie er damals schon im Volksmund hieß, wurde in Anlehnung an das Jagdschloss Hubertusstock im nordischen Landhausstil errichtet.

1898 wurde der Bahnhof eröffnet und die Jagd- und Hofgesellschaften konnten nun bequem in Kutschen vom Bahnhof aus nach Hubertusstock transportiert werden. Der Sonderzug seiner Majestät zum Kaiserbahnhof wurde mindestens 500-mal eingesetzt. Fuhr der Zug mit den erlauchten Gästen dann ein, so pflegte seine Majestät sich in einem eigens für ihn gestalteten Umkleideraum umzuziehen. Heraus aus einer seiner zahlreichen Uniformen, hinein in den Jagdrock, währenddessen sein Forstmeister Balduin von Hövel ihm Rapport erstatten musste.

Vor dem Bahnhof ließ sich der Kaiser dann von angetretenen Untertanen zujubeln und huldigen: „Der Kaiser ist ein lieber Mann, er wohnet in Berlin, und wär’ das nicht so weit von hier, so ging ich heut’ noch hin.“

Der überaus luxuriöse „Sonderzug“ seiner Majestät ist heute im Berliner Museum für Verkehr und Technik in Kreuzberg zu bewundern. Der gewaltige Zug, aus Holz und Stahl in Breslau (dem heutigen Wrocław ) bei Linke & Hofmann gebaut, ist im Innern vom Feinsten ausgestattet. Kostbare Stoffe, wie Seide aus China, Brokat und Sam, sowie edle Hölzer aus den Tropen wurden verwendet, um alles möglichst luxuriös zu gestalten.

Wer ein wenig Fantasie hat, lässt sich in die weichen Polster sinken und wartet darauf, von Dienern den Tee in feinstem Porzellan serviert zu bekommen. Fauchend und qualmend setzt sich das Ungetüm in Bewegung und die Fahrt in die tiefen Wälder der Schorfheide kann beginnen, wo der Kaiser seiner Jagd-Leidenschaft frönte.

Der junge Wilhelm musste seinen Arm in den Kadavern erlegter Tiere baden

Im Oktober 1883 war ihm das Jagdglück besonders hold. An nur vier Tagen erlegte er in der Oberförsterei Grimnitz, in Groß-Schönebeck und in Pechstein: diverse stattliche Hirsche (einen 16-Ender, drei 14-Ender, zwei 12-Ender, einen 10-Ender, einen 8-Ender) und einen Kümmerer (Bezeichnung in der Jagdsprache für Wildtiere von schwächlicher Verfassung), neun Rothirsche und einen Damhirsch.

Die Schorfheide im Nebel
Die Schorfheide im NebelVolker Hohlfeld/imago

Anders, als Wilhelms Vater, Friedrich Wilhelm von Preußen, der als bescheiden galt, wollte Wilhelm alles für sich allein. Er gönnte anderen nichts. „Am meisten freut es einen, neben den eigenen Treffern, die Fehlschüsse der anderen zu sehen“, bemerkte er selbstgerecht bei einem seiner Jagdausflüge.

Vielleicht ist diese selbstsüchtige und verbissene Haltung eine Folge seiner freudlosen Jugend. Eine strenge Erziehung und körperliche Torturen quälten den jungen Wilhelm, der bei seiner Geburt verletzt wurde und mit einem gelähmten Arm zur Welt kam. Der junge Wilhelm musste seinen Arm in den Kadavern erlegter Tiere baden und eine Kopfstreckmaschine tragen. So ist es vielleicht kein Wunder, dass er früh ein Faible für alles Militärische und für die Jagd entwickelte.

Am 29. Oktober 1918 dann kam für seine Majestät das „Halali-Aus“. Er reiste an diesem Tage nach Belgien in „Kriegsangelegenheiten“ und erfuhr dort, dass er bereits „zurückgetreten ist“. Er kehrte nicht mehr auf deutschen Boden zurück, verließ tief gekränkt die „deutsche Schweinebande“ und fährt umgehend in das für ihn organisierte Exil, ins niederländische Doorn. Man schickte ihm und seiner Gattin Möbel, Porzellan und Gemälde in 59 Waggons nach.

Anders als der Kaiser überstand der Bahnhof die kommenden Jahrzehnte. In der Weimarer Republik wurde er ebenfalls als Jagdhaus weiter genutzt. Außerdem diente er nach wie vor der Repräsentation. Im Zweiten Weltkrieg blieb er erstaunlicherweise unbeschadet.

Zur DDR-Zeit verfielen jedoch die Gebäude infolge Materialmangels langsam. Eigens für den legendären DDR-Besuch Helmut Schmidts im Jahre 1981 wurden Instandsetzungsmaßnahmen eingeleitet. Da aber der Bundeskanzler, anders als geplant, nicht mit dem Zug anreiste, beendete man die Maßnahmen wieder. Heute verbindet der Bahnhof die Regionallinien Eberswalde–Joachimsthal und wird auch als Kulturbahnhof genutzt. Hier finden beliebte Hörspiele und Lesungen statt. Das weitestgehend original erhaltene Gebäudeensemble ist heute ein gelistetes Baudenkmal.

Sabine Küster-Reeck ist gelernte Schauwerbegestalterin. Sie absolvierte beim Deutschen Journalistenkolleg in Berlin ein Fernstudium im Bereich Journalismus und entdeckte besonders den Reisebericht für sich. Fünf Jahre lang lebte sie im Norden Äthiopiens und unternahm zahlreiche Reisen in Afrika.

Das ist ein Beitrag, der im Rahmen unserer Open-Source-Initiative eingereicht wurde. Mit Open Source gibt der Berliner Verlag allen Interessierten die Möglichkeit, Texte mit inhaltlicher Relevanz und professionellen Qualitätsstandards anzubieten. Ausgewählte Beiträge werden veröffentlicht und honoriert.