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Düstere Prognose: Was macht Deutschland zukünftig ohne Handwerker?

Von der Daseinsvorsorge bis zur Energiewende: Der Fachkräftemangel des Handwerks betrifft uns alle. Experten fordern bildungspolitische Maßnahmen. 

Der Mangel des Nachwuchses in den Handwerksberufen wird sich die nächsten Jahre immer stärker bemerkbar machen.
Der Mangel des Nachwuchses in den Handwerksberufen wird sich die nächsten Jahre immer stärker bemerkbar machen.Jochen Tack/imago

Immer mehr Jugendliche wollen Influencer werden, immer weniger hingegen einen handwerklichen Beruf erlernen. In einer Umfrage von Bitkom Research gab jeder zweite Jugendliche an, Influencer als einen richtigen Beruf zu sehen. Jeder Dritte würde die Tätigkeit selbst gerne ausüben.

Auf der anderen Seite fand das Bundesinstitut für Berufsbildung in einer Studie heraus, dass nur 17 Prozent der befragten Jugendlichen einen handwerklichen Beruf erlernen möchten. Einflussgröße Nummer eins bei der Berufswahl sind nicht Zukunftsaussichten, sondern Status und Ansehen im sozialen Umfeld.

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Das sind Teilaspekte einer ganzen Problemkette. Im Interview gibt der Zentralverband des Deutschen Handwerks an, dass 2022 in Deutschland bereits fast 20.000 Ausbildungsstellen im Handwerk unbesetzt blieben. Fast doppelt so viele wie noch zehn Jahre zuvor. Insgesamt geht man aktuell von etwa 250.000 Stellen im Handwerk aus, die in Deutschland unbesetzt sind.

„Bleiben all diese Stellen unbesetzt, bedeutet das für Betriebe und Wirtschaft konkret, dass weniger Aufträge bearbeitet werden können, Preise steigen und im schlimmsten Fall müssen profitable Handwerksbetriebe schließen, weil keine Nachfolge für die Betriebsübernahme gefunden werden kann“, erklärt Prof. Dr. Friedrich Hubert Esser, Präsident des Bundesinstituts für Berufsbildung.

Ob bei Friseuren, Tischlern oder Bäckern: Viele Betriebe suchen händeringend nach Mitarbeitern.
Ob bei Friseuren, Tischlern oder Bäckern: Viele Betriebe suchen händeringend nach Mitarbeitern.Alvaro Montero/imago

Zwischen 2022 und 2027 werden laut Esser mehr als 700.000 Erwerbstätige aus dem Erwerbsleben ausscheiden, nicht zuletzt aufgrund des Ausscheidens der Baby-Boomer-Generation. Dieses Personal muss ersetzt werden. „Dabei ist die Zahl jener, die aus dem Bildungssystem neu auf den Arbeitsmarkt strömen, in allen Bereichen nicht ausreichend, um den Ersatzbedarf zu decken“, so Esser.

Die Herausforderung werde auch sein, junge Erwachsene zu einem positiven Abschluss zu führen: „Aktuell ist es so, dass gerade Jugendliche ausländischer Nationalität häufiger eine Ausbildung abbrechen, ihr Anteil in Zukunft aber zunehmen wird“, erklärt Esser.

Gravierende Konsequenzen

Wenn immer weniger junge Menschen einen Handwerksberuf erlernen und sich ein Mangel an Fachkräften verschärft, hat das laut Professor Esser ernste gesamtgesellschaftliche Konsequenzen, nicht nur weil die handwerkliche Arbeit durch die Verknappung teurer werden könnte: „Da der Fachkräftemangel so ziemlich alle Handwerksdienstleistungen betrifft, sind hier etwa Friseure, Bäcker, Metzger, aber auch Instandhaltungsarbeiten in privaten Wohngebäuden, betroffen“, warnt er. „Öffentliche Infrastruktur wie Gebäude, Straßen, Schienen, Stromtrassen werden nur mit Verzögerungen erstellt werden können, weil hier das Bauhandwerk einen großen Beitrag leistet.“

Ein ähnliches Bewusstsein für die Bedeutsamkeit des Handwerks versucht man beim Zentralverband des Deutschen Handwerks zu vermitteln. Die handwerkliche Arbeit wird laut dem Verband auch in den kommenden Jahren unverzichtbar für Deutschland und den deutschen Wirtschaftsstandort bleiben. Insbesondere auch, wenn es darum geht, die Klima-, Energie oder Mobilitätswende umzusetzen. Ob energetische Gebäudesanierung oder klimaeffizienter Wohnungsbau: Für all das brauche es gut ausgebildete Handwerker.

Eine Ursache des Fachkräftemangels liegt laut Zentralverband des Deutschen Handwerks auch in der Bildungspolitik. Man habe das Abitur mit anschließendem Studium zum „beruflichen Königsweg erklärt“, so der Verband. Darunter habe das Ansehen der beruflichen Bildung und der berufspraktischen Arbeit massiv gelitten.

Ein Bäcker bei der Arbeit.
Ein Bäcker bei der Arbeit.Funke Foto Services/imago

Die Experten des Zentralverbandes des Deutschen Handwerks und des Bundesinstituts für Berufsbildung sind sich daher einig:  Die berufliche Bildung müsse in finanzieller und auch ideeller Sicht auf Augenhöhe mit der akademischen Bildung gebracht werden. „Diese Gleichwertigkeit darf aber nicht nur rhetorisch betont werden, sondern muss auch gesetzlich verankert werden“, so der Zentralverband des Deutschen Handwerks.

Darüber hinaus müsse die Politik auch mehr Geld für die berufliche Bildung in die Hand nehmen. „Hochschulen bekommen Milliarden, aber bei der Ausstattung von überbetrieblichen Bildungsstätten im Handwerk und den Berufsschulen hapert es. Dabei brauchen wir leistungsfähige Bildungsstätten und mehr digitale Bildungsangebote“, sagt der Handwerkerverband.

Berufliche Bildung stärken

Wie wichtig schulpolitische Maßnahmen sind, um wieder mehr junge Menschen für das Handwerk zu begeistern, weiß auch der Präsident des Bundesinstituts für Berufsbildung, Professor Esser. In der Schulpolitik sollte das Thema stärker aufgegriffen und in allgemeinbildenden Schulen auch mehr Erfahrungsräume für handwerkliche Tätigkeiten eröffnet werden. „Dies kann zum einen durch eine ansprechende Berufsorientierung passieren, zum anderen aber auch dadurch, dass praktische und kreative Fähigkeiten in schulischen Kontexten stärker gewichtet werden“, sagt Esser.

Ob derartige Maßnahmen in Zukunft handwerkliche Berufe attraktiver machen als das Erstellen von TikTok-Videos, bleibt abzuwarten. 

Markus Keimel ist freier Journalist, Künstler und Autor aus Österreich.

Das ist ein Beitrag, der im Rahmen unserer Open-Source-Initiative eingereicht wurde. Mit Open Source gibt der Berliner Verlag freien Autorinnen und Autoren sowie jedem Interessierten die Möglichkeit, Texte mit inhaltlicher Relevanz und professionellen Qualitätsstandards anzubieten. Ausgewählte Beiträge werden veröffentlicht und honoriert.