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Ausbeutung ohne Grenzen: Wie Investoren auf Fischland-Darß-Zingst ihr Unwesen treiben

Ein Tourismusprojekt soll den kleinen Ort Born auf dem Darß massenkompatibel machen – mit schwerwiegenden Folgen für Natur und naturliebende Menschen.

Jungbullen laufen kurz nach Sonnenaufgang über eine überflutete Weide bei Born am Darß.
Jungbullen laufen kurz nach Sonnenaufgang über eine überflutete Weide bei Born am Darß.Thomas Trutschel/imago

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Am frühen Morgen gleicht Born einer Geisterstadt nach dem Goldrausch. Dabei schenkt einem diese angeblich ach so unchristliche Zeit stets die heiligsten Stunden des Tages. Vor allem der kleine Borner Hafen ist dann einer der friedlichsten Orte auf Fischland-Darß-Zingst.

Eine knappe Autostunde von Rostock entfernt, ist die Halbinsel eine Art Anti-Sylt, frei vom Schickimicki eines Erste-Klasse-Tourismus, und wohl auch deshalb eines der beliebtesten Reiseziele in Mecklenburg-Vorpommern. Gut, dass die zur Boddenseite gelegenen Orte wie Born und Wiek sich Ruhe und Reetdach-Charme bewahrt haben. Noch besser, dass nur wenige Urlauber zu den echten Frühaufstehern gehören und am Borner Ufer erleben, wie in der Dämmerung die letzten Nachtreste vom Himmel gezogen werden und die Welt langsam ihre Farben zurückgewinnt.

Die Morgensonne vergoldet das Schilf, die Schatten schimmern purpur, und der kobaltblaue Bodden liegt da wie frisch gebügelt, nicht die kleinste Welle kräuselt sich. Wie ein Resonanzboden verstärkt seine seidenglatte Wasserfläche den Ton jedes Flügelschlages. Eine kleine Gruppe vorbeiziehender Graugänse klingt deshalb wie ein gewaltiges Geschwader. Der glühend gelbe Röhrichtgürtel, hinter dem die Vögel nun verschwinden, gehört zu Deutschlands wohl berühmtester Wiese, dem Borner Holm.

Bäume auf dem Borner Holm
Bäume auf dem Borner HolmStephan Herlitze/imago

Status als Landschaftsschutzgebiet steht auf der Kippe

Zur bundesweiten Bekanntheit hat es die rund 16 Hektar große Fläche nun gebracht, weil auf ihr 54 Ferienhäuser und ein Hotel errichtet werden sollen, und das, obwohl der Holm unter Landschaftsschutz steht. Das Greifswalder Oberverwaltungsgericht hatte dem Vorhaben im Jahr 2022 einen Riegel vorgeschoben und den Bebauungsplan für nichtig erklärt. Die Gemeinde Born treibt das Projekt dennoch weiter voran.

Um das größte Hindernis für die Realisierung zu beseitigen, soll der Holm aus dem Landschaftsschutzgebiet herausgenommen werden. Das ist etwa so, als würde man an der Wohnungstür schon die Namensschilder auswechseln, obwohl die alten Mieter noch nicht ausgezogen sind und ihnen dann so lange Heizung, Strom und Wasser abdrehen, bis sie entnervt flüchten.

Seit die neuen Pläne zur Holm-Bebauung im Herbst 2024 bekannt wurden, bringen sie die Gemüter wieder ordentlich in Wallung. Dem einen jagt die Frage, wie viel Fremdenverkehr man sich bieten lassen darf, vor lauter Ärger den Puls in die Höhe, den anderen versetzt der Gedanke an die möglichen Gewinne in gierige Erregung.

Wo zukünftig rund 300 Feriengäste von ihren Balkonen den Blick über die traumversunkene Landschaft des Bodstedter und des Saaler Boddens taumeln lassen sollen, fliegen heute im Minutentakt braune Vögelchen aus ihrem Wiesenversteck empor und bringen im Flug dem neuen Tag ein Ständchen. Feldlerchenland könnte man den Borner Holm auch nennen oder Bartmeisen-Heimat oder Rohrammern-Hotspot. Das „Who’s Who“ der Wasservogelszene trifft sich hier und an sonnenprallen Tagen kann man dort sogar Seeadler beobachten, die dicht über die Ufer gleiten und nach Beute spähen.

„Brachiale Investoren-Logik“

Eine Wanderung vom Holm weiter Richtung Ahrenshoop führt an einem Campingplatz vorbei, den Befürworter des Bauprojektes oft als Beleg dafür heranziehen, dass die Gegend ja bereits touristisch genutzt werde, die Ferienhaussiedlung nebenan daher kaum noch ins Gewicht falle. Ein ohnehin schon beeinträchtigtes Schutzgebiet kann demnach ruhig noch mehr belastet werden, selbst wenn am Ende die Zerstörung eines Habitats ebenso droht wie der Verlust des natürlichen Hochwasserschutzes, den der Holm als mögliche Überflutungsfläche bietet. Brachiale Investoren-Logik.

Die Landschaft des Werre-Polders, die unmittelbar an den Campingplatz angrenzt, zeigt hingegen, wie es aussehen kann, wenn der genau entgegengesetzte Weg verfolgt wird – Renaturierung statt Ausbeutung ohne Grenzen. 1969 war die flache Werre-Bucht durch einen Deich vom Saaler Bodden abgetrennt worden, um die trockengelegten Flächen landwirtschaftlich nutzen zu können. Knapp 50 Jahre später begann die Rückführung der Werre in einen naturnahen Zustand. Und bereits im ersten Jahr der Flutung eroberten sich viele Vögel die neu entstandenen Wasser-, Schlamm- und Schilfflächen.

Die Landschaft des Werre-Polders wurde schnell zum Rückzugsort für zahlreiche Vogelarten.
Die Landschaft des Werre-Polders wurde schnell zum Rückzugsort für zahlreiche Vogelarten.Martin Köbsch/imago

Ein Paradies für Eisvögel und Seeadler

Das Feuchtgebiet ist seitdem zum Szenetreff von Kornweihen, Schwarzkehlchen, Kiebitzen, Pfeifenten und Eisvögeln geworden. Zu Tausenden suchen Weißwangengänse auf dem Salzgrünland nach Nahrung. Kampfläufer rasten im Frühjahr auf den Schlickflächen, in dichtem Schilf verborgene Wasserrallen erschrecken Wanderer mit ihrem schweinegleichen Grunzen und in den Wipfeln einzelner Bäume kann man auch immer wieder Haliaeetus albicilla entdecken – einen der Seeadler, deren Bekanntschaft man schon frühmorgens am Borner Holm gemacht hatte.

Bessere Botschafter für Biodiversität als diese Vogelschar können Umweltschützer sich gar nicht wünschen. Doch während sich viele andere Urlaubsorte inzwischen vehement gegen Overtourism wehren, forciert Born die zukünftige Überfüllung eines abgelegenen und äußerst störanfälligen Idylls. Von Kommerz kontaminiert, massenkompatibel gemacht und seiner Besonderheit beraubt, droht der Holm zu einem ganz gewöhnlichen Kassenschlager zu verkümmern.

Dabei muss es absolut kein Standortnachteil sein, in einem Landschaftsschutzgebiet zu liegen. Denn Ferien in Born, daran würde auch ein Touristennest auf dem Holm grundsätzlich nichts ändern, sind nach den hohen Maßstäben Lonely-Planet geschulter Globetrotter etwa so aufregend wie Exerzitien im Kloster.

Kopfsteingepflasterte Straßen, reetgedeckte Häuser mit bunten Fassaden, viele nasse Wiesen, vor sich die beiden Bodden und im Rücken den Darßer Urwald, durch den es bis an den sagenhaft schönen Weststrand geht – all das ist nichts für Menschen, die abhängig von Erlebnis- und Einkaufskultur sind oder Erholung nur dann finden, wenn sie sich in dicht bebauten Feriensiedlungen zusammenklumpen können.

„Menschenherde auf einer Ferienweide“ hat Erich Kästner diesen Touristentypus einst genannt, der sich Born niemals freiwillig als Ziel wählen würde. Was soll er auch an einem Ort, der nur Urlauber beglückt, die zur Stille begabt sind? Der Standort gefällt den Menschen, denen Wetter und Landschaft genügen, und die genießen, dass Born im Vergleich zu Orten wie Ahrenshoop, Prerow und Zingst noch immer die geringste Tourismusdichte auf der Halbinsel hat.

Die Sonne scheint kurz nach Sonnenaufgang in einen mit Farnen dicht bewachsenen Wald bei Born am Darß.
Die Sonne scheint kurz nach Sonnenaufgang in einen mit Farnen dicht bewachsenen Wald bei Born am Darß.Thomas Trutschel/imago

„BORN to be wild“ oder „They paved paradise“ – welche der beiden legendären Liedzeilen von Steppenwolf und Joni Mitchell man zukünftig bei einer Wanderung um den Holm wird singen können, ist noch nicht entschieden. Darf dieser Wildnisfleck fortbestehen oder muss die Feldlerchenwiese zum Touristenort mutieren, der anstrengungslos zu erreichen und leicht konsumierbar sein wird? Irgendwo hinter 54 Ferienhäusern versteckt würde der Bodden aus der Übung kommen, uns zu beeindrucken. Was profitabel ist, wissen Menschen meist sehr genau, was gut für sie und ihre Umwelt ist, leider nicht immer, aber sie könnten es wieder lernen.

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Eine kleine Wanderung am frühen Morgen vom Borner Hafen über den Holm zum Werre-Polder wäre ein guter Anfang, um zu erfahren, wie dieses Stück Land sich anfühlt, wie es riecht und klingt. Und wie es ist, Teil von ihm zu sein. Ein kühler Wind auf den Wangen, der stattliche Graureiher, der zu dieser Tageszeit den Hafenmeister spielt, oder der nach oben fallende Schnee einer riesigen Schar Möwen, die sich wie ein einziger Körper vom dunklen Boddenwasser erhebt – lauter kleine Naturwunder, die aberwitzig glücklich machen, die man liebt und bewahren möchte.

Als freie Reisejournalistin berichtet Nicole Quint aus allen Ecken der Welt, schreibt aber besonders gern über ihre Wahlheimat an der deutschen Ostseeküste.

Das ist ein Beitrag, der im Rahmen unserer Open-Source-Initiative eingereicht wurde. Mit Open Source gibt der Berliner Verlag allen Interessierten die Möglichkeit, Texte mit inhaltlicher Relevanz und professionellen Qualitätsstandards anzubieten. Ausgewählte Beiträge werden veröffentlicht und honoriert.


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