Studien belegen, dass viele Menschen leider noch immer Vorurteile und negative Einstellungen gegenüber gehobenen Altersgruppen haben. Zudem zeigen Experten und zuständige Stellen auf, dass ältere Menschen in Deutschland in unterschiedlichen Lebensbereichen benachteiligt und diskriminiert werden, obwohl dies per Gesetz verboten und einer modernen Gesellschaft keinesfalls würdig ist.
2020 bezog sich jede zehnte Beratungsanfrage an die Antidiskriminierungsstelle des Bundes auf das Merkmal Alter. „Dazu gehören die Benachteiligung am Arbeitsplatz, bei der Jobsuche, bei Finanz- und Bankgeschäften oder auch bei privaten Versicherungen. Durch knappen Wohnraum in großen Städten hören wir zunehmend auch von Diskriminierungen älterer Menschen auf dem Wohnungsmarkt“, erklärt Verena Bentele, die Präsidentin des Sozialverbands VDK Deutschland.
Ein Problem sei auch die fehlende Barrierefreiheit in Gesundheitseinrichtungen. „Viele Praxen befinden sich in Altbauten ohne Fahrstuhl und sind damit für eine Vielzahl älterer Menschen mit gesundheitlicher Beeinträchtigung nicht oder nur schwer zugänglich“, kritisiert Bentele. Die verbriefte freie Arztwahl sei damit für diese Personengruppe einfach ausgehebelt.
Sie erhalten eine Bestätigung per E-Mail.
Altersdiskriminierung ist in der Berufswelt Alltag
Bei den Anfragen an die Antidiskriminierungsstelle des Bundes steht der Bereich Arbeitsmarkt ganz oben auf der Liste. Wie unbeliebt und benachteiligt ältere Menschen am Arbeitsmarkt sind, weiß Hanne Schweitzer vom Büro gegen Altersdiskriminierung: „Von den 60- bis 64-Jährigen war 2022 nur knapp die Hälfte sozialversicherungspflichtig beschäftigt. Im Oktober 2023 hat die Bundesagentur für Arbeit mitgeteilt, dass von allen Langzeitarbeitslosen, die älter als 55 Jahre sind, 46 Prozent zu denen gehören, die schon seit mindestens einem Jahr erfolglos nach einer Arbeitsstelle suchen“, erklärt Schweitzer.
Ein Paradebeispiel hierzu sei in einer bekannten Kölner Verlagsdruckerei zu finden, wo erst vergangenen Oktober 200 Mitarbeiter über 55 von heute auf morgen entlassen wurden.
Große Benachteiligung durch Digitalisierung
Insbesondere ältere Menschen werden benachteiligt, wenn nahezu alle Lebensbereiche digitalisiert werden und es keine alternativen Zugangswege gibt. „Mehr erfahren Sie in unserem Podcast oder in der Mediathek“, „Sie brauchen nur den QR-Code scannen“ oder „Laden Sie einfach unsere App herunter“ – ein Digitalisierungszwang, der am Selbstbewusstsein Betroffener nagt.
„Handfeste Benachteiligungen ergeben sich auch durch die zunehmend wegbrechenden Dienstleistungen wie Fahrkarten, Autovermietung, Fahrplanauskunft, Termine für Behördenkram, Autoreparatur, Eintrittskarten, Hotelübernachtung, Arzttermin, Flug, Fußpflege, Restaurantbesuche oder Bestellungen beim Pizzadienst – das geht fast alles nur noch online“, klagt die Leiterin des Büros gegen Altersdiskriminierung.
Besonders jene Ausgrenzungen, die vom Staat oder von der öffentlichen Verwaltung ausgehen, würden von den Betroffenen folglich als gravierend erlebt. Dies bestätigt auch Verena Bentele. „Viele Banken bieten günstige Konten nur noch im Onlinebanking an. Das ist ein großes Problem für viele ältere Menschen, die keinen Internetzugang oder keine entsprechenden Endgeräte haben“, erklärt die Präsidentin des Sozialverbands.
Dabei müsse es für alle und damit auch für ältere Menschen ein Recht auf ein Leben ohne digitale Medien und autonome technische Systeme geben. „Jeder Mensch muss das Recht haben, ohne Computer oder Smartphone zu leben. Es ist ja auch niemand dazu verpflichtet, ein Auto oder Fernsehgerät zu benutzen“, sagt Schweitzer. Folglich müsse auch jeder Mensch selbst darüber entscheiden dürfen, ob er digitale Technologien nutzen möchte.
„Älteren Menschen ist vielleicht mehr als jüngeren bewusst, dass digitale Medien und autonome Systeme erheblich in ihre Privatsphäre eingreifen. Es werden Daten gesammelt, analysiert, gespeichert und weitergegeben. Diese können mit anderen Informationen verknüpft werden und unter ungünstigen Umständen beispielsweise zu Online-Betrugsverfahren führen“, betont Schweitzer.
Kein ausreichender Schutz vor Altersarmut
Laut dem Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung von 2021 wuchs die Armutsquote bei Älteren seit 2006 um 66 Prozent. Damit zeigt die Gruppe der Rentner die mit Abstand stärkste Zunahme in puncto Armutsrisiko. 9,3 Millionen Rentner sind in Deutschland von Armut betroffen, jede zweite Rente liegt unter 900 Euro. „Rentner sind eine besondere Risikogruppe für Armut geworden, und die Zahl wird künftig sogar noch steigen“, warnt Bentele.
Werden vonseiten der Politik keine wirksamen Gegenmaßnahmen insbesondere im gesetzlichen Rentensystem getroffen, dann müssen laut der Präsidentin des Sozialverbands auch immer mehr Personen ihre Rente mit Grundsicherung im Alter aufstocken. „Allein von 2022 auf 2023 ist die Zahl der älteren Menschen im Rentenalter, die neben ihrer regulären Rente zusätzlich Grundsicherungsleistungen vom Staat beziehen müssen, um zehn Prozent gestiegen“, sagt Bentele. Die Dunkelziffer sei sogar noch wesentlich höher.
Altenpflege und Betreuung in desaströsem Zustand
Die Bestandsaufnahme der Altenbetreuung in Deutschland ist ohnehin düster, die Zukunftsaussichten sind aber noch um einiges besorgniserregender. Bis zum Jahr 2035 könnten laut dem Institut der deutschen Wirtschaft in Köln deutschlandweit bis zu 307.000 Pflegekräfte fehlen, wobei sich die Versorgungslücke den Prognosen nach bis auf 500.000 Fachkräfte vergrößern könnte.
Was die stationären Pflegeplätze betrifft, so errechnete das Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung, dass bis zum Jahr 2040 322.000 Plätze in Deutschland fehlen werden. Da ältere Menschen im Vergleich zu anderen Altersgruppen überproportional häufig pflege- und unterstützungsbedürftig sind, stellt dies eine weitere Benachteiligung dar.
„Die Kosten für die ambulante und die stationäre Pflege explodieren, aber die Leistungen werden nicht besser. Es kann zudem nicht sein, dass sozusagen jeder, der will, ohne jegliche Qualifikation einen privaten Pflegedienst aufmachen kann“, kritisiert Schweitzer. Die Kontrollen der Heime und Einrichtungen müssten demnach in entsprechendem Maße verstärkt und die Politik müsse endlich aktiv werden.
Reform des Gleichbehandlungsgesetzes notwendig
Beim Sozialverband Deutschland sieht man den dringlichen Bedarf, das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz zu reformieren. „Der Schutz vor Benachteiligung im zivilrechtlichen Bereich muss endlich spürbar verbessert werden. Alle in der Öffentlichkeit angebotenen Dienstleistungen, beispielsweise auch Gesundheitsleistungen, müssen frei von Diskriminierung sein“, fordert Bentele.
Sie erhalten eine Bestätigung per E-Mail.
Außerdem braucht es laut Sozialverband Änderungen im Versicherungsvertragsrecht, wo im Moment noch eine unterschiedliche Behandlung wegen des Alters teilweise zulässig ist. „In der Praxis werden solche Ausnahmeregelungen von Versicherungsunternehmen häufig für pauschale Ausschlüsse oder den faktischen Ausschluss durch völlig überhöhte Tarife missbraucht. Für die Betroffenen ist die Grundlage der Verweigerung oder der Risikokalkulation daher oft nicht nachvollziehbar. Das muss im Rahmen einer AGG-Reform jetzt dringend geändert werden“, sagt Bentele.



