Der Soziologe Niklas Luhmann war stets skeptisch, wenn es um den Begriff Kultur ging. Sie sei kein eigenes System und komme zu oft vor, befand der 1998 gestorbene Begründer der Systemtheorie einmal während einer Berliner Podiumsdiskussion.
In einer für ihn erstaunlich emotionalen Diktion bezeichnete er Kultur gar als „einen der schlimmsten Begriffe, die je gebildet worden sind“. Gestört haben dürfte er sich an einer ausufernden Beliebigkeit, in der beinahe alles zur Kultur zu werden droht. Unternehmenskultur, Spielkultur, Esskultur – der Begriff ist heute derart inflationär in Umlauf, als gehe es darum, sich nicht weiter festzulegen. Wer Kultur sagt, erweckt den Anschein, immer noch ein bisschen mehr im Köcher zu haben.
Um ein bisschen weniger geht es beim Gebrauch des Wortes Kulturschaffende. In Reden, Texten und Statements geht es dieser Tage neben dem Bedürfnis, Wortwiederholungen zu vermeiden, vor allem darum, genderneutral zu formulieren. Um als Sprecher auf der sicheren Seite zu sein, gehen viele dazu über, „Kulturschaffende“ als praktischen Passepartout zu verwenden. Es klingt unschuldig und inklusiv zugleich. Wer Kulturschaffende sagt oder schreibt, wähnt sich sprachbewusst und auf der Höhe der Zeit. Wenn er oder sie sich da mal nicht täuscht.
Zwangsmitgliedschaft und Ausschluss
„Kulturschaffende“ sind historisch gleich doppelt belastet. Schon vor einigen Jahren hat die österreichische Historikern Isolde Vogel auf die problematische Etymologie der Wortbildung hingewiesen und dringend angeraten, nach Alternativen Ausschau zu halten.
Der Begriff gehe, so Vogel, auf die nationalsozialistische Reichskulturkammer zurück, die diesen von 1933/34 an neu geprägt habe, indem sie alle in der Kultur Tätigen als Kulturschaffende bezeichnete, die sich ihr sogleich anschließen sollten. „Wer ab diesem Zeitpunkt in der Kultur tätig sein wollte, musste eben auch Mitglied der Reichskulturkammer sein.“ Der Zwangsmitgliedschaft auf der einen Seite stand der Ausschluss der Juden auf der anderen gegenüber.
Der Zusammenhang von Inklusion und Exklusion ist nicht erst mit dem Kulturbegriff in Verbindung gebracht worden, seit vor einigen Jahren vehement über Leitkultur debattiert wurde. Ein kurzer Blick auf die Herkunftsgeschichte mag deshalb aufschlussreich sein. Der Begriff Kultur rührt vom lateinischen „cultura“ her und bedeutet Landbau oder Pflege, abgeleitet vom Verb „colere – pflegen“.
Sehr früh jedoch wurde die Bedeutung etwas weiter gefasst. So knüpfte der Philosoph Cicero an das Beispiel der Landwirtschaft, der „agricultura“, das der „cultura animi“ an, der Pflege des Geistes. „Wie ein Acker, auch wenn er fruchtbar ist, ohne Pflege keine Frucht tragen kann“, heißt es in Ciceros „Gespräche in Tusculum“, solle auch der Geist nicht ohne Belehrung sein. Dessen Pflege kommt natürlich der Philosophie zu.
Da Ciceros in der „cultura animi“ aufscheinender Bildungsbegriff im Kontext der römischen Gesellschaft zur Zeit des Julius Caesar Geltung erlangt hat, wurde wiederholt kritisch auf dessen Ausschlusscharakter verwiesen. In Ciceros Vorstellung von Kultur waren Sklaven nicht enthalten. Dass es jedoch einen sehr viel rabiateren Kulturvorbehalt geben kann, legt der häufig Joseph Goebbels zugeschriebene Satz nahe: „Wenn ich Kultur höre, entsichere ich meine Browning.“ Er stammt vom NS-Dramatiker Hanns Johst.
Falsch verstandene sprachliche Sensibilität
Nach 1945 schien sprachliche Sensibilität besonders vonnöten, weshalb der Schriftsteller Wilhelm Emanuel Süskind das Gerundivum Kulturschaffende in das „Wörterbuch des Unmenschen“ (zusammen mit Dolf Sternberger und Gerhard Storz) aufnahm. Das jedoch schien in der bald darauf entstehenden DDR niemanden zu beeindruckenden. Weil das Wort zur Ausbildung einer proletarischen Existenz gut geeignet schien, siedelte es kurzerhand in den Jargon des sozialistischen Staates über.
Mehr als eine sprachliche Verlegenheit – von einem schönen Wort kann nicht die Rede sein – gilt der häufige Einsatz „Kulturschaffender“ inzwischen als Nachweis gesellschaftspolitischer Fortschrittlichkeit. Schon um in Reden und Statements nicht andauernd von Künstlerinnen und Künstlern sprechen zu müssen, hat sich das Wort als gefällige Alternative breitgemacht.




