Zwei Sätze fallen immer wieder, wenn man mit Leander Haußmann ein Gespräch führt, wenn man ihm also beim Denken, Erinnern, Erklären und Abschweifen zuhört. „Im Grunde ist es doch so“, lautet der eine. Und der andere: „Das klingt schon wieder so banal.“ Sie sind wie die beiden Ufer eines Flusses. Zwischen ihnen strömt oder rinnt die Wahrheit heran und wieder hinweg, manchmal versickert sie auch einfach. Pointen kommen vor wie Murmelsteine im Bachlauf, werden zwar nicht extra angesteuert, aber die Freude ist groß, wenn sie das Wasser glitzernd aufspritzen lassen.
Wir sind zum Spaziergang verabredet. Wir wollen ein wenig das „Operations- und Feindgebiet LSD“ abschreiten. Damit ist nicht das bewusstseinserweiternde Rauschmittel gemeint, sondern das Viertel zwischen Lychener-, Schliemann- und Dunckerstraße. Hier in Prenzlauer Berg sollen die Mitarbeiter der Hauptabteilung XX/9 in die Künstler- und Dichterboheme „eindringen“, um sie von innen „aufzumischen“ und zu „zersetzen“. Das ist die Grundidee von „Leander Haußmanns Stasikomödie“, der Name des Filmregisseurs und Drehbuchschreibers gehört in diesem Fall mit in den Titel. Schon um seinen subjektiven Blick und die Anmaßung der eigenen Deutung zu markieren. Eitelkeit spielt sicher auch eine Rolle.
Der Film soll die DDR-Trilogie nach „Sonnenallee“ (1999) und „NVA“ (2005) abschließen. Er ist dem Regisseur wichtig. Er hat nach eigenen Angaben zehn Jahre daran gearbeitet, für die Finanzierung gekämpft, am Drehbuch gefeilt, eine Woche nachgedreht und die Corona-Verzögerung des Filmstarts genutzt, um den Schnitt zu optimieren und die Nerven zu behalten. Es gab sogar eine Bühnenversion in der Volksbühne, die „Haußmanns Staatssicherheitstheater“ hieß, aber das war eher eine Lockerungsübung, wenn auch eine sehr aufwendige. Promoauftritte und Interviews vor dem Filmstart gehören nun ebenfalls zu Haußmanns Aufgaben.
Eigentlich wollten wir uns am nördlichen Ende der Lychener treffen, wo die Straße an einen Zaun stößt, hinter dem die S-Bahn fährt. Leander Haußmann war ein bisschen früher da und hat sich mit einem kleinen Bier an einer Kneipe an der Ecke postiert. Er trägt einen Pullover unter der Jeansjacke, eine nagelneue Levi’s, die später noch eine Rolle spielen wird, einen fein getrimmten Oberlippenbart und eine Sonnenbrille wie aus einem Westpaket. Der Frühlingswind spielt mit den inzwischen grauen, spärlichen Haaren des 62-Jährigen.
Haußmann hat den Platz mit Bedacht gewählt, nun will er sich auch durch die Begrüßung nicht aus dem Konzept bringen lassen, sondern gleich zum Wesentlichen kommen: „Im Grunde ist es doch so“, sagt er, und der Fotograf tritt hinzu. Dies bringt Haußmann dazu, den Grundgedanken doch erst einmal beiseitezupacken und über das perfekte Timing von Fotografen und Kellnern zu sprechen, die genau wissen, wann sie aufzutreten haben, um ein Gespräch zu verderben. „Im Grunde ist es doch so“, setzt er noch einmal an, und wie aufs Stichwort kommt nun auch die Kellnerin, um uns nach unseren Wünschen zu fragen. Es ist original so wie in einer Leander-Haußmann-Inszenierung, besonders als etwas später der Wind die leichten Eier vom Osterstrauch pustet, sie mit zerbrechlichem Knistern direkt unter den Stuhl von Haußmann befördert, und wir alle versuchen, uns nicht von dem Gelege ablenken zu lassen.
Niemand will ein Opfer sein, ein Täter aber auch nicht
Wie ist es denn nun im Grunde? „Im Grunde ist es so, dass alle, und da schließe ich mich ein, die Welt gern einfacher haben wollen, als sie es ist.“ Um zu verdeutlichen, was er damit meint, greift er zu seinem Bierchen und geht eine ausführliche und nicht ganz unkomplizierte Aufstellung verschiedener Alkoholiker-Typen durch.
Manche tränken morgens schon eine Flasche Schnaps, um aus dem Bett zu kommen, und manche ihre drei bis vier Feierabendbiere; die einen funktionierten tadellos in wichtigen Positionen und seien verlässliche Familienväter bis ins hohe Alter, andere schössen sich jung in die Psychiatrie oder die Gosse. Man könne nicht alle über einen Kamm scheren, und übrigens habe die Wissenschaft auch herausgefunden, dass man sie zwar nicht ohne Weiteres trockenlegen könne, es aber schon ein Gewinn sei, die Grundlagen für einen bewussten Umgang mit der Droge zu schaffen. Es folgen Beispiele aus seiner Familie und seinem Umfeld, auch ein paar Selbstbetrachtungen. Gemeint ist eigentlich nur, dass auch die Mitarbeiter der Staatssicherheit differenziert zu betrachten seien. Aber: „Das klingt schon wieder so banal.“
Haußmann, der Sohn einer Künstlerfamilie, war zu DDR-Zeiten sicher kein leichtes und ein Geduld erforderndes Zielobjekt für die Genossen von der Staatssicherheit, und doch haben sie ihm in seine Biografie gepfuscht. Sein Vater Ezard Haußmann hat 1968 beim Einmarsch der Warschauer-Pakt-Staaten in Prag aus Protest einen Kranz niedergelegt, wonach er zehn Jahre lang auf der schwarzen Liste stand und seinen Beruf als Schauspieler nicht ausüben durfte. Das hatte dramatische Folgen für die Familie. Aber mit konkreten Vorfällen, die ihn selbst betreffen, hält sich Haußmann lieber bedeckt. Er sieht sich jedenfalls nicht als Opfer. „Niemand will ein Opfer sein, ein Täter aber auch nicht.“ Ein Held vielleicht?

In den 90er-Jahren war er als Regisseur am Deutschen Nationaltheater Weimar tätig. Von 1995 bis 2000 war er der Intendant des Schauspielhauses Bochum. Er inszenierte unter anderem im Berliner Ensemble, im Wiener Burgtheater, in der Volksbühne und im Thalia Theater Hamburg.
Einem breiteren Publikum wurde Haußmann als Filmregisseur bekannt. Seinen Durchbruch erlebte er mit „Sonnenallee“ (1999) und „Herr Lehmann“ (2003). „Hotel Lux“ (2013) war ein schmerzlicher Flop. Mit „Leander Haußmanns Stasikomödie“ vollendet er nach „Sonnenallee“ und „NVA“ (2005) seine DDR-Trilogie.
Kinostart von „Leander Haußmanns Stasikomödie“ ist am 19. Mai.
Auf diese Frage antwortet der Film gleich zu Beginn mit einem wunderbaren Gleichnis, das Haußmann offenbar dem Ex-Stasibehördenleiter Roland Jahn zu verdanken und dann selbst ausgebaut hat. Ludger Fuchs ist ein junger, noch unsicherer Mann, „der seine Position in der Gesellschaft noch nicht gefunden hat“ – so heißt es später in seiner Stasiakte. Gespielt wird er in der Damals-Version von David Kröss, dessen staunender, weicher, immer auch nach innen gerichteter Blick zum Verlieben und zum Identifizieren höchst geeignet ist.
Ludger schlendert im Sonnenlicht über den Lenin-Platz (heute Platz der Vereinten Nationen) und kommt an eine rote Ampel. Kein Auto ist weit und breit zu sehen. Die Ampel schaltet nicht auf Grün. Statt einfach trotzdem die Straßenseite zu wechseln, lehnt sich Ludger an den Ampelmast und liest Jack Kerouacs „On the Road“, die Beatnik-Bibel wurde tatsächlich schon 1978 auch in der DDR verlegt. Während der Wind eine „Steppenhexe“ durchs Bild pustet – das sind diese Langeweile und Trostlosigkeit anzeigenden Heuballen aus Westernfilmen –, haben wir Gelegenheit, darüber nachzudenken, ob wir es nun mit einem angepassten Regelbefolger oder mit einem unaufhaltsamen Rebellen zu tun haben. Dann aber zieht Haußmann die Schrauben der Situation an, indem er ein Kätzchen auf der Straße platziert, dem sich erbarmungslos eine Straßenkehrmaschine nähert. Um sie zu retten, müsste Ludger die Straßenverkehrsordnung verletzen.
Menschen beobachten und drüber schreiben
Das moralische Dilemma entpuppt sich als eine Charakterprobe. Denn natürlich, wie sollte es anders sein in einem Unrechtsstaat, wird die Ampel von der Staatssicherheit nicht nur überwacht, sondern auch bedient. Und zwar durch Henry Hübchen, der mit Hornbrille und einem Gebiss, das ebenso verschimmelt ist wie seine Ideale, den väterlichen Führungsoffizier Siemens spielt. Wir wollen nicht spoilern, was mit dem Kätzchen passiert, nur verraten, dass Kamerad Fuchs die Probe besteht und „ein ausgezeichneter Soldat ist, der versteht, dass eine rote Ampel ein Befehl und ein Befehl zu befolgen ist“.
Ludger wird also ohne sein Zutun zum Stasimitarbeiter erkoren und ist nicht der Typ, der rechtzeitig und entschieden genug Nein sagt. Warum auch? Der LSD-Einschleusungsversuch gelingt schneller als gedacht, schon weil die Neg-Deks (Stasi-Kurzwort für negativ-dekadente Elemente) zum Teil sehr attraktiv sind und das Leben als Bohemien einige Freuden bereithält, die das angepasste, staatstreue Kleinbürgerleben nicht kennt. Ludger wird aus Versehen zu dem, was er zu sein vorgibt, ein Szenedichter: „Ich beobachte Menschen und schreibe darüber“, sagt er einmal, ohne zu lügen. Denn das ist ein Satz, der für Schriftsteller wie für informelle Stasiberichterstatter gilt. „Diesen Satz könnte man auch über mich und meine Arbeit sagen“, so Haußmann. „Oder über Sie und Ihre.“
Stimmt. Es gibt zwei Richtungen, in die man diesen Gedanken weiterspinnen kann. Einerseits könnte es sein, dass die Archive der Staatssicherheit noch unermessliche Schätze an literarischen Hervorbringungen von unentdeckten deutschen Dichtern und Denkern bergen. Und andererseits schiebt Haußmann den Kulturjournalisten mit diesem Hinweis ein ganz klein wenig in eine eher unangenehme Rolle, indem er ihn an die Verantwortung für seinen Text erinnert, der seinem Gegenstand möglicherweise und sicher ganz ohne es zu wollen, Schaden zufügen könnte. Mit einem gar nicht unähnlichen Druck wurde wohl auch so mancher Stasibericht verfasst, der vielleicht am Ende weniger Folgen hatte als ein verrutschtes Zeitungsporträt. Zum Glück lässt sich dieser Druck auch leicht wieder abschütteln, weil dem Erfolg von „Leander Haußmanns Stasikomödie“ nichts anzuhaben sein wird. Man muss den Film gesehen haben, schon um ihn ganz sicher weniger harmlos zu finden als „Das Leben der Anderen“ von Henckel von Donnersmarck und vielleicht auch ein bisschen ehrlicher als „Gundermann“ von Andreas Dresen.
Haußmann scheint sich des Erfolgs nicht so sicher zu sein. Er möchte das Beste für seinen Film, für den sehr viele Leute gearbeitet und Geld vorgestreckt haben. Und er ärgert sich nicht nur einmal während unseres Spaziergangs darüber, dass er zu viel rede und nicht bei der Sache bleibe. „Ich bin kein Profi“, sagt er, versucht, den Kulturjournalisten, der ihm doch schon längst gewogen und für den Film gewonnen ist, für sich einzunehmen und das Bild, das er nach diesem Text hier abgibt, zu kontrollieren.
Diese Feedbackschleife pfeift während des Gesprächs immer im Hintergrund mit. Und nicht einmal der Junge, der sich bei Haußmann nach dessen Levi’s erkundigt, kann uns herausreißen. Welcher Ostler hätte jemals gedacht, dass man im Westen danach gefragt wird, wie man an eine echte Jeans kommt? Was für eine hübsche Reminiszenz der gegenwärtigen Wirklichkeit an den Film, in dem Ludger für seinen Einsatz aus dem Stasi-Fundus verkleidet wird, der aus abgefangenen Westpaketen bestückt ist, natürlich auch mit einer nagelneuen Levi’s.
Die treue Polizistenseele
Aber wir schlendern die Lychener bis zu ihrem anderen Ende hinunter, ohne auch nur einmal zu bemerken, wie sich die Häuser in den Jahrzehnten seit dem Untergang der DDR verändert haben, welche Läden verschwanden, wie viele neu entstanden und wie gründlich die Bewohnerschaft inzwischen ausgetauscht ist. Hier gibt es die Parallelwelt der unausgebauten Dachböden nicht mehr, in denen illegale, mit schlechtem Rotwein und irgendwelchen halluzinatorischen Stechapfel-Tollkirsche-Hustentränken befeuerte lyrische Sessions stattgefunden haben sollen. Aber einen zuständigen Polizisten, der einen mit der Frage: „Was haben wir denn falsch gemacht?“ anhält, weil man die Straße trotz roter Ampel überquert, so einen Polizisten, den Detlev Buck wie schon in „Sonnenallee“ nun auch in der „Stasikomödie“ spielt, wird es noch immer geben. Auf manches kann man sich verlassen.
Zum Beispiel auf den Vorwurf der Verharmlosung, der nicht ausbleiben wird, wenn ein Stasimitarbeiter als herzensbrechender Sympathieträger auftritt. Dabei zieht der Film auch finstere Register. Klar sind die niederrangigen Stasi-Büttel sehr lustige Trottel, die man als Beschatteter in ihrem orangefarbenen Lada nur mit viel innerem Aufwand ignorieren könnte. Aber das Drama in der Seele von Henry Hübchens Siemens, das haut schon sehr treffsicher in eine Wundkerbe. Es ist mehr als eine Marotte der Widerborstigkeit, dass ausgerechnet Haußmann, der sich, als es aktuell war, über die Stasi lustig gemacht hat, wo er nur konnte, nun sein Herz für ihre Mitarbeiter öffnet und ihnen vergeben will. Es ist eben nicht so einfach, wie man es haben will.
„Die Typen sind doch alle noch da. Und die gibt es natürlich auch im Westen.“ Haußmann kommt immer wieder auf die Ignoranz gegenüber der DDR-Vergangenheit zurück, die von der deutschen Geschichte abgespalten wird. Wenn man stets von vorn erklären muss, unter welch verschiedenen wirtschaftlichen Voraussetzungen sich die Gesellschaften auf beiden Seiten der Mauer entwickelt haben, Reparationen hier, Marshallplan da – wer ist denn da der Nostalgiker? „Ich habe keine Lust, den dunklen Hintergrund auszumalen, damit wir in unserer westdeutschen Gegenwart umso heller strahlen können.“

