Live-Konzerte

Bob Dylan in Berlin: Hat er etwa zum Publikum gesprochen?

Nach einer Corona-Pause steht Bob Dylan mit inzwischen 81 Jahren wieder auf der Bühne und präsentiert sich dabei anspruchsvoller denn je.

Bob Dylan. Der Hut wurde diesmal nicht gebraucht. Wegen eines Fotoverbots gibt es vom Berliner Konzert keine Bilder.
Bob Dylan. Der Hut wurde diesmal nicht gebraucht. Wegen eines Fotoverbots gibt es vom Berliner Konzert keine Bilder.AFP

Als Bob Dylan zuletzt im April 2019 in Berlin auftrat, war die Welt noch eine andere. Vor Pandemie und Krieg sang er von den einfachen Windungen des Schicksals („A Simple Twist Of Fate“), und seine Band gab eine fast kammermusikartige Leichtigkeit vor. Nun also „Rough And Rowdy Ways“. Das gleichnamige Album, das in der Corona-Pause entstanden ist und in lyrischer Kunstfertigkeit auf die raue und rüpelige Seite des Lebens verweist, bildet das Zentrums des neuen Programms, das auf die rund 40 Jahre währende „Never Ending Tour“ folgt.

Mit Corona nämlich war das schier unabschließbare Live-Abenteuer plötzlich doch vorbei. Was jetzt kommt, ist eine Fortsetzung, und doch etwas ganz anderes. Die aktuelle „World Wide Tour“ startete im vergangenen November und ist bis 2024 annonciert. Kurzatmigkeit ist das Problem des vielseitigen Musikers und Literaturnobelpreisträgers von 2016 also nicht.

Der pünktlich beginnende Konzertabend in der Verti Music Hall in Kreuzberg-Friedrichshain, dem zwei weitere am Donnerstag und Freitag folgen werden, wird mit „Watching The River Flow“ eröffnet, ein Nebenwerk aus dem Jahr 1971, das gegen die Unbill des Augenblicks metaphorisch auf das ewige Fließen des Stroms setzt: „This ol’ river keeps on rollin’“. Ist das etwa ein Indiz für altersmilde Abgeklärtheit? Für die Band um den Bassisten Tony Garnier, der seit 1989 Dylans Regie führender Sideman ist, stellt das Stück auch eine Art Orientierungsmarke dar.

Ein Soundcheck vor Publikum, das mutmaßlich zu zwei Dritteln Live-Erfahrung mit der Band des 81-Jährigen hat. Es rumpelt und ruckelt noch, eine Art Ouvertüre zu Nachbesserungszwecken am Mischpult. Dylan-Konzerte waren noch nie bloße Abspielrevuen von Songs, aber selten ging es so experimentell zu wie bei dieser Präsentation des Materials – eine Werkschau, die gewillt zu sein schien, den Begriff wörtlich zu nehmen.

Hat er etwa zum Publikum gesprochen?

Bob Dylan hockt hinter seinem Klavier, auf das er manchmal energisch einhämmert und mal melodieführend anschlägt. Zu sehen bekommt man ihn nur, wenn er sich zum Singen erhebt, während vieler Stücke ist er ein Vortragender, der Poeme mit instrumenteller Begleitung zum Besten gibt. Die erste Überraschung erfolgt gleich nach dem zweiten Stück, „Most Likely Go Your Way (And I’ll Go Mine)“. Ein altes Lied, das von der giftigen Selbstbehauptung eines Mannes kurz nach der Trennung von seiner Geliebten erzählt. Hat Dylan am Ende etwa Worte ans Publikum gerichtet? Blöd, nicht richtig verstanden. Sagte er irgendwas wie: „I’ll go with you?“ So viel Zuneigung war selten.

Mehrfach steht er vom Klavier auf und bewegt sich schwerfällig in die Mitte der Bühne. Applaus, und weiter im Programm, das sich als herausfordernde Dekonstruktionsarbeit erweist. Die Stücke des Albums „Rough And Rowdy Ways“ präsentiert Dylan als lyrische Unterweisungen, die von Donnie Heron, Bob Britt, Doug Lancio, Tony Garnier und Charley Drayton mal sanft zupfend, mal heftig dräuend begleitet werden. Selbst der Klassiker „When I Paint My Masterpiece“ erscheint früh am Abend als Gesamtkunstwerk, bei dem die Melodieführung zunächst aus dem Vorspiel hervorgeht, dann aber über den Sprechgesang in eine andere Richtung getrieben wird. Viele Stücke klingen, als seien sie auseinandergenommen worden und müssten nun sorgsam wieder zusammengesetzt werden. Bei „Gotta Serve Somebody“, das von Dylans viel geschmähten Album „Slow Train Coming“ aus dem Jahr 1979 stammt, kommt so etwas wie Groove auf. Viele Stücke erfahren eine solide Grundierung durch Blues-Elemente, die einen sicheren Heimathafen für Band und Publikum bedeuten. Doch was auf diese Weise nacherzählt etwas angestrengt erscheinen mag, fügte sich im Verlauf des Abends zu einem kompakten Ganzen, das in dem Stück „Key West“ mündete und das auch klanglich auf eine Art utopisches Versprechen zulief. Wer den Verstand verloren hat, haucht Dylan ins Mikrofon, hat gute Chancen, ihn in Key West wiederzufinden. Und wer nach Unsterblichkeit suche, sei dort ebenfalls richtig. Dumm nur, dass das lyrische Koordinatensystem wahrscheinlich nicht mit dem geografischen übereinstimmt. Die Suche geht für Bob Dylan und seine Verehrer also weiter.

Am Ende ein Hüpfer

Mehr als jemals zuvor tritt der Künstler mit den vielfältigen Neigungen während dieser Tournee als Dichter in Erscheinung, dem es nicht zuletzt darum geht, seinen musikalischen Wurzeln Reverenz zu erweisen. Das Stück „Goodbye Jimmy Reed“ erinnert an den gleichnamigen Bluesmusiker, bei dem Bob Dylan das legendäre Drahtgestell als Halterung für seine Mundharmonika abgeschaut hat, und von dem Ron Wood sagt, dass es die Rolling Stones ohne ihn nie wohl gegeben hätte. Im Rahmen der Tournee ist das Stück auch ein Vorgriff auf das Anfang November erscheinende Buch „The Philosophy Of Modern Songs“, in dem Bob Dylan die Geheimnisse seine künstlerischen Einflusssphären preisgibt, ein stückweit zumindest.

Am Ende der knapp zweistündigen Reise durch die Randzonen Dylan’scher Kreativität überführen er und seine kongeniale Band die anfänglichen Fremdheitsgefühle in Schunkelstimmung. „Every Grain Of Sand“ ist ein Choral, der schon deshalb von den Sitzen reißt, weil die Zeit gekommen ist, dem alten Mann am Klavier Respekt zu zollen. Standing Ovations, es wurde auch Zeit, sich ein wenig zu lockern. Bob Dylan nimmt sie demütig und erhaben zugleich entgegen. Er hat der Welt sein Herz geöffnet, und die Welt kommt noch immer herein. Das grüne Seidenhemd schimmert im Schummerlicht. Als es hinter der Bühne ein paar Stufen abwärts geht, scheint Bob Dylan fast heiter zu hüpfen.