Ukraine-Krieg

Ukraine-Newsblog: Putin vermeldet Beginn von ukrainischer Gegenoffensive

+++ Selenskyj lobt „Heldentum“ ukrainischer Soldaten in „harten Kämpfen“ +++ Ukrainischer Geheimdienst will Beweis für Sprengung des Staudamms durch Russen haben +++ Alle Infos im Newsblog +++

Ukrainische Truppen im Osten des Landes 
Ukrainische Truppen im Osten des Landes Leo Correa/AP
DAS IST DIE LAGE AM FREITAG IN DER UKRAINE
  • Der russische Präsident Wladimir Putin hat den Beginn der ukrainischen Gegenoffensive vermeldet. Eine Bestätigung von ukrainischer Seite gab es zunächst nicht. Allerdings sehen auch internationale Militärexperten den Beginn der ukrainischen Gegenoffensive im Südosten.
  • Im ostukrainischen Gebiet Donezk und Saporischschja finden heftige Kämpfe statt. 
  • Ukrainischer Geheimdienst will Beweis für Staudamm-Sprengung durch Russen haben.
  • Die Rettungsarbeiten nach der Flutkatastrophe gehen am Freitag weiter. Präsident Selenskyj wirft Russland vor, Rettungskräfte beschossen zu haben, Russland wirft ebendies ukrainischen Streitkräften vor.
  • Moskau meldet acht Tote nach den Überflutungen durch die Zerstörung des Kachowka-Staudamms.
  • Die US-Regierung stellt der Ukraine weitere milliardenschwere Militärhilfen zur Abwehr des russischen Angriffskrieges zur Verfügung.

Freitag, 9. Juni

Selenskyj lobt „Heldentum“ ukrainischer Soldaten in „harten Kämpfen“

Nach russischen Angaben zum Beginn der lange erwarteten Gegenoffensive der Ukraine hat der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj seine Streitkräfte für ihr „Heldentum“ gelobt. „Für unsere Soldaten, für alle, die sich in diesen Tagen in besonders harten Kämpfen befinden. Wir sehen euer Heldentum und wir sind euch dankbar für jede Minute eures Lebens“, sagte Selenskyj in seiner täglichen Ansprache am Freitagabend.

Selenskyj erwähnte in seiner Ansprache keine Details zu Entwicklungen an der Front. Das Augenmerk der ukrainischen Soldaten liege auf allen Stellen, „wo unsere Aktionen gebraucht werden und der Feind bestimmte Verluste erleiden könnte“, sagte der ukrainische Präsident.

Putin vermeldet Beginn von ukrainischer Gegenoffensive

Die ukrainische Armee hat nach Angaben von Russlands Präsident Wladimir Putin ihre seit langem erwartete Gegenoffensive gestartet. Die Gegenoffensive habe „begonnen“, sagte der Kreml-Chef am Freitag. Es gebe bereits seit fünf Tagen „intensive Kämpfe“. Außerdem behauptete er, die Ukrainer hätten an keinem Frontabschnitt ihre Ziele erreicht. Das ließ sich allerdings nicht unabhängig überprüfen. Insbesondere die russische Seite fällt seit Kriegsbeginn immer wieder durch militärische Falschaussagen auf.

Zugleich räumte der Kremlchef ein: „Das Angriffspotenzial der Truppen des Kiewer Regimes ist weiter vorhanden.“ Außerdem sagte er mit Blick auf die russische Armee, die seit Kriegsbeginn immer wieder militärische Niederlagen einstecken musste: „Ja, wir haben nicht genug dieser modernen Waffen, aber die Industrie (...) entwickelt sich schnell, und ich bin überzeugt, dass alle Aufgaben, vor denen die Rüstungsindustrie steht, zweifellos gelöst werden.“

UN-Gericht lässt Ukraine-Verbündete zu im Prozess gegen Russland

Der Internationale Gerichtshof hat den Weg freigemacht für eine Beteiligung von Verbündeten der Ukraine in einem Prozess gegen Russland. Die höchsten Richter der Vereinten Nationen gaben am Freitag in Den Haag den Anträgen von 32 Staaten statt, darunter auch Deutschland.

Die Ukraine hatte im vergangenen Jahr kurz nach der russischen Invasion das Nachbarland verklagt. Die Regierung in Kiew berief sich auf die Völkermord-Konvention. Russland hatte seinen Angriff zunächst damit gerechtfertigt, dass ein Völkermord verhindert werden müsse. Damit aber habe das Land die Konvention verletzt, so die Ukraine. Außerdem beschuldigt Kiew Russland des Völkermords.

In einem Vorentscheid hatte das UN-Gericht angeordnet, dass Russland die militärische Gewalt unverzüglich stoppen müsse. Russland selbst boykottierte die Anhörung demonstrativ.

Das Gericht muss nun entscheiden, ob es befugt ist, ein Hauptverfahren zu eröffnen. Die Verbündeten der Ukraine wollen mit ihren Erklärungen unterstreichen, dass das der Fall ist. Wann die Klage verhandelt wird, ist nicht bekannt.

Weiteres milliardenschweres Militär-Paket der USA für Ukraine

Die US-Regierung stellt der Ukraine weitere milliardenschwere Militärhilfen zur Abwehr des russischen Angriffskrieges zur Verfügung. Das US-Verteidigungsministerium kündigte am Freitag in Washington ein neues Paket mit militärischer Ausrüstung im Umfang von 2,1 Milliarden US-Dollar (1,95 Milliarden Euro) an. Darin enthalten ist nach Pentagon-Angaben unter anderem Munition für diverse Waffensysteme, die die USA bereits an die Ukraine geliefert haben.

Die Vereinigten Staaten gelten als wichtigster Verbündeter der Ukraine im Abwehrkampf gegen die russische Invasion und stellten in den vergangenen Monaten in rasanter Abfolge Pakete mit militärischer Ausrüstung in gewaltigem Umfang bereit. Nach Pentagon-Angaben haben die USA seit dem Kriegsbeginn Ende Februar 2022 militärische Hilfe im Umfang von mehr als 39,7 Milliarden US-Dollar (rund 36,9 Milliarden Euro) für Kiew bereitgestellt oder zugesagt.

Moskau: Acht Tote nach Überflutungen durch Zerstörung von ukrainischem Staudamm

Nach der Zerstörung des Kachowka-Staudamms im Süden der Ukraine sind nach Angaben der von Russland eingesetzten Behörden bei Überschwemmungen acht Menschen getötet worden. Nach der Zerstörung des Staudamms habe das austretende Wasser mehr als 22.000 Häuser in 17 Orten überflutet, erklärte der von Moskau eingesetzte Gouverneur der betroffenen Region Cherson, Wladimir Saldo, am Freitag im Onlinedienst Telegram. Der Pegel könne „bis zu zehn Tage weiter steigen“.

Der in russisch besetztem Gebiet liegende Kachowka-Staudamm am Fluss Dnipro war bei einer Explosion in der Nacht zum Dienstag zerstört worden, tausende Menschen mussten ihre Häuser verlassen. Mehr als 5800 Menschen wurden nach Angaben Saldos evakuiert, darunter 243 Kinder.

Saldo warf ukrainischen Streitkräften vor, die Gegend zu beschießen, was „die Arbeit der Rettungskräfte erschwert“. AFP-Journalisten in der von der Ukraine gehaltenen Stadt Cherson und Umgebung berichteten von Beschuss, der von russischen Stellungen auszugehen schien. Kiew und Moskau werfen einander gegenseitig vor, für die Zerstörung des Staudamms verantwortlich zu sein.

Ukrainischer Geheimdienst will Beweis für Sprengung durch Russen haben

Die Ukraine beschuldigt russische Truppen, das Wasserkraftwerk vermint und dann in die Luft gesprengt zu haben. 

Der ukrainische Geheimdienst SBU veröffentlichte die Tonaufnahme eines Gesprächs, in dem ein russischer Soldat die Tat zugeben soll. Zu hören ist ein Mann, der sagt, eine russische Sabotagegruppe sei verantwortlich für den Anschlag: „Unsere Saboteurgruppe ist dort. Sie wollten mit diesem Damm Angst machen. Es lief nicht wie geplant. Es war mehr als sie geplant hatten.“ Auch sollen tausende Tiere gestorben sein, berichtete der Mann laut Angaben der Zeitung Kyiv Independent gegenüber seinem Gesprächspartner.

Ob die Aufnahme echt ist, war von unabhängiger Seite nicht überprüfbar. Dagegen behauptet Russland, der Staudamm sei durch ukrainischen Beschuss zerstört worden.

Ukrainische Armee greift russische Truppen in der Region Saporischschja an

Das ukrainische Militär hat Angriffe auf die russischen Besatzungstruppen in der südlichen Schlüsselregion Saporischschja gestartet, wie russische Beamte und Militärblogger berichten.

Demnach versuchen die ukrainischen Truppen - unterstützt von Panzern, Artillerie und Drohnen - südlich der Stadt Orichiw vorzustoßen. Ein hoher ukrainischer Verteidigungsbeamter sagte, der Feind befinde sich in „aktiver Verteidigung“.

Laut ukrainischen Experten bilde die Region Saporischschja aktuell der Schwerpunkt der ukrainischen Militäraktionen.

Die ukrainischen Angriffe an drei Frontabschnitten in den letzten vier Tagen seien  „deutliche Anzeichen dafür, dass die lang erwartete Gegenoffensive der Ukraine gegen die von Russland besetzten Gebiete begonnen hat“, schreiben die Analysten

Sie argumentieren, dass Kiew versucht, den Zugang zum Asowschen Meer zurückzuerobern und die russischen Besatzungstruppen in der Region zu spalten.

Die Offensivaktionen an der Grenze zwischen den Regionen Saporischschja und Donezk zeigen demnach, dass eine neue Phase der Gegenoffensive begonnen habe.

Selenskyj: „Brutale Kämpfe“ im Gebiet Donezk

Im ostukrainischen Gebiet Donezk finden heftige Kämpfe statt, sagte Präsident Wolodymyr Selenskyj in einer Videoansprache am 8. Juni.

„Es finden sehr brutale Kämpfe statt, aber wir sehen Ergebnisse“, sagte Selenskyj und deutete damit an, dass die Ukraine im Gebiet Donezk, welches derzeit zu einem großen Teil von Russland besetzt ist, Gebiete zurückgewinnen könnte.

Berichte mehren sich, wonach die ukrainische Gegenoffensive nun im Südosten des Landes begonnen habe.

Schwerpunkte seien demnach in Richtung in Saporischschja und in den östlichen Regionen von Donezk und Luhansk vermutet. Die Offensivbemühungen seien in jüngster Zeit „einige Gänge hochgeschaltet“ worden.  

Auf die Frage nach US-Medienberichten über den Beginn der Gegenoffensive antwortete ein Sprecher des ukrainischen Generalstabs jedoch: „Wir haben keine derartigen Informationen. Und wir kommentieren keine anonymen Quellen“, wie der britische Guardian berichtet.

Das US-amerikanische Think Thank Institute for the Study of War, der täglich über den Krieg gegen die Ukraine berichtet, kam am Donnerstag zu dem Schluss, dass die ukrainische Gegenoffensive begonnen habe: „Die Aktivitäten in der gesamten Ukraine decken sich mit einer Reihe von Indikatoren, die darauf hindeuten, dass ukrainische Gegenoffensiven im gesamten Gebiet im Gange sind“, twitterte das ISW.

Beschuss von Evakuierungspunkten

Russische Truppen beschössen Rettungskräfte und Evakuierungspunkte, sagte Selenskyj. Entsprechende Videos waren am Donnerstag in den Medien aufgetaucht. Der ukrainische Staatschef warf Moskau zudem vor, die im von Russland besetzten Teil des überfluteten südukrainischen Gebiets Cherson lebenden Menschen im Stich zu lassen. „Dort weitet sich die Katastrophe bereits am zweiten Tag weiter aus“, sagte Selenskyj.

Kreml schickt hohen Beamten zur Inspektion ins Krisengebiet

Russlands Präsident Wladimir Putin hat im Gegensatz zu Selenskyj die Hochwassergebiete noch nicht besucht und erst zwei Tage nach dem Dammbruch öffentlich Anweisungen gegeben, Hilfe in die Region zu schicken. Allerdings inspizierte am Donnerstag mit dem Vizechef der Präsidialverwaltung, Sergej Kirijenko, bereits ein hochrangiger Kremlbeamter das Krisengebiet.

„Um die Lage objektiv einschätzen zu können, sind wir gemeinsam (mit Kirijenko) die überfluteten Territorien von Hola Prystan und Oleschky abgefahren - hier ist die Lage am stärksten gespannt“, teilte der von Moskau eingesetzte Statthalter von Cherson, Andrej Alexejenko, auf seinem Telegram-Kanal mit. Auf den beigefügten Videos ist zu sehen, wie Kirijenko das Hochwassergebiet inspiziert und mit einem Betroffenen spricht. Nach der Zerstörung des Kachowka-Staudamms stehen große Flächen der Südukraine unter Wasser.

Kirijenko, der 1998 auf dem Höhepunkt der russischen Finanzkrise kurzzeitig Regierungschef in Moskau war, gilt als Verantwortlicher für die Innenpolitik in der Präsidialverwaltung - und als Kurator für die besetzten Gebiete der Ukraine.

UN nicht in Überschwemmungsgebieten unter russischer Besatzung

Die Vereinten Nationen bemühen sich derweil nach dem Dammbruch in der Ukraine um Zugang zu den Überschwemmungsgebieten unter russischer Besatzung. Bislang sei das UN-Nothilfebüro OCHA nicht in der Lage, einen UN-Einsatz in der Region zu bestätigen, sagte OCHA-Sprecher Jens Laerke am Donnerstag in Genf. „Wir setzen unsere prinzipiellen Bemühungen fort, die von Russland kontrollierten Gebiete der Ukraine zu erreichen.“

Ukrainischen Angaben nach sind die Vereinten Nationen zur schnellen Entsendung von Hilfsteams bereit, warten aber auf russische Zugangs- und Sicherheitsgarantien. Das teilte das Außenamt in Kiew nach einem Treffen von Außenminister Dmytro Kuleba mit der UN-Systemkoordinatorin in der Ukraine, Denise Brown, mit. Kiew selbst sei bereit, alle Sicherheitsgarantien für humanitäre Einsätze zu gewähren.

Dammbruch: Selenskyj leitet Krisensitzung zu Trinkwasserversorgung

Selenskyj hielt nach dem Besuch des Hochwassergebiets Cherson auch eine Krisensitzung zur Trinkwasserversorgung der Region Dnipropetrowsk ab. Es gebe Probleme bei der Wasserversorgung der Städte Krywyj Rih, Marganez, Pokrow und Nikopol, berichtete der Militärgouverneur der Region, Serhij Lyssak, laut einer Mitteilung des Präsidialamts. Der Minister für Entwicklung und Infrastruktur, Olexander Kubrakow, stellte ein Projekt für den Bau eines neuen Stausees vor, der zum Teil auf dem Gebiet des bestehenden liegen soll. In seiner späteren Videobotschaft ging Selenskyj dann auch auf das Trinkwasserproblem ein. Es könne Unbequemlichkeiten geben, aber die Versorgung mit Trinkwasser werde gesichert, versprach der 45-Jährige. „Die Entscheidungen dafür sind da, die Ressourcen sind da, das Geld ist da.“

Wasserpegel im Kachowka-Stausee fällt unter kritische Marke

Zuvor hatte ein hochrangiger ukrainischer Beamter vor Wassermangel im auslaufenden Stausee gewarnt. „Das Niveau liegt schon bei 12,50 Meter, das ist unterhalb des toten Punkts von 12,70 Meter“, sagte der Chef des Wasserkraftwerkbetreibers Ukrhidroenergo, Ihor Syrota,im ukrainischen Fernsehen. Das bedeute, dass kein Wasser mehr für die Trinkwasserversorgung der Ortschaften rundherum und die Kühlung des Kernkraftwerks Saporischschja am Südufer des Kachowka-Stausees entnommen werden könne.

Laut Syrota fällt der Wasserspiegel im Stausee täglich um etwa einen Meter. Diese Tendenz wird seiner Schätzung nach noch eine Woche anhalten. Sollte der Damm bis in die Grundfesten zerstört sein, könne der Pegel auf bis zu 3 Meter sinken. Damit werde der Dnipro auch in sein ursprüngliches Flussbett vor der Aufstauung zurückkehren.