Angesichts des bevorstehenden orthodoxen Weihnachtsfests hat Russlands Präsident Wladimir Putin eine anderthalbtägige Feuerpause in der Ukraine angeordnet. Putin wies das russische Verteidigungsministerium an, von Freitagmittag 12 Uhr (Ortszeit/10 Uhr MEZ) bis Samstagabend 24 Uhr (Ortszeit/22 Uhr MEZ) die Kampfhandlungen im Nachbarland einzustellen, wie aus einer Kreml-Mitteilung vom Donnerstag hervorgeht. Zuvor hatte der russisch-orthodoxe Patriarch Kyrill eine Waffenruhe während des orthodoxen Weihnachtsfestes gefordert.
„Angesichts der Tatsache, dass eine große Anzahl von Bürgern, die sich zur Orthodoxie bekennen, in den Kampfgebieten lebt, fordern wir die ukrainische Seite auf, einen Waffenstillstand zu erklären und ihnen die Möglichkeit zu geben, an Heiligabend sowie am Tag der Geburt Christi an Gottesdiensten teilzunehmen“, erklärte der Kreml weiter.
Kiew: „Dies ist eine reine Propaganda-Geste“
Doch die Ukraine reagierte mit scharfen Worten: Russland müsse „die besetzten Gebiete verlassen - nur dann wird es eine ‚vorübergehende Waffenruhe‘ geben. Behalten Sie die Heuchelei für sich“, schrieb der ukrainische Präsidentenberater Mychailo Podoljak im Onlinedienst Twitter. Im Gegensatz zum russischen Gegner greife die Ukraine kein fremdes Territorium an und töte keine Zivilisten.
First. Ukraine doesn't attack foreign territory & doesn't kill civilians. As RF does. Ukraine destroys only members of the occupation army on its territory...
— Михайло Подоляк (@Podolyak_M) January 5, 2023
Second. RF must leave the occupied territories - only then will it have a "temporary truce". Keep hypocrisy to yourself.
„Dies ist eine reine Propaganda-Geste“, fügte er in einer Erklärung hinzu. Und weiter: „Russland versucht mit allen Mitteln, die Intensität der Kämpfe und die Intensität der Angriffe auf seine logistischen Zentren zumindest vorübergehend zu verringern.“ Kiew werde daher auf die „bewusst manipulativen“ Initiativen Moskaus nicht reagieren.
Auch Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Grüne) äußerte sich kritisch zu Putins Ankündigung. „Eine sogenannte Feuerpause bringt den Menschen, die unter russischer Besatzung in täglicher Angst leben, weder Freiheit noch Sicherheit“, schrieb Baerbock bei Twitter. Putin wolle offenbar „den Krieg fortsetzen, nach kurzer Unterbrechung“. Wenn Putin Frieden wollte, würde er „seine Soldaten nach Hause holen, und der Krieg wäre vorbei“, erklärte Baerbock weiter. Berlin werde die Ukraine weiter unterstützen.
Eine sogenannte Feuerpause bringt den Menschen, die unter russischer Besatzung in täglicher Angst leben, weder Freiheit noch Sicherheit. Deshalb werden wir die Ukrainer*innen weiter unterstützen- damit sie wieder in Frieden und Selbstbestimmung leben können. 2/2
— Außenministerin Annalena Baerbock (@ABaerbock) January 5, 2023
Zurückhaltend reagierte auch die Bundesregierung. „Wir haben die Ankündigung zur Kenntnis genommen“, sagte ein Regierungssprecher in Berlin. „Jedes Einstellen der Kampfhandlungen trägt dazu bei, Menschenleben zu retten.“ Es bleibe aber dabei, dass Russland seine Truppen vollständig aus der Ukraine abziehen müsse und so diesen Krieg jederzeit beenden kann. „Dazu fordern wir Russland weiter auf.“
Auch die im Ausland lebende russische Politologin Tatjana Stanowaja meint: „Der weihnachtliche Waffenstillstand passt perfekt in Putins Logik, in der Russland auf der positiven Seite der Geschichte agiert und für Gerechtigkeit kämpft.“ Darüber hinaus wolle der 70 Jahre alte Kremlchef mit einem vorübergehenden Einstellen der Kampfhandlungen wohl einem vergleichbaren Debakel wie in der Silvesternacht vorbeugen, schrieb Stanowaja im Nachrichtendienst Telegram. In der Nacht auf den 1. Januar waren in Makijiwka im Gebiet Donezk mindestens Dutzende und womöglich Hunderte russische Soldaten bei einem ukrainischen Angriff getötet worden.
Besatzungschef: Werden ukrainische Angriffe trotz Waffenruhe erwidern
Nach Aussage eines Besatzungschefs werden die russischen Truppen ukrainische Angriffe trotz der angeordneten Feuerpause weiter erwidern. „Die Entscheidung betrifft die Einstellung des initiativen Feuers und der Angriffshandlungen von unserer Seite“, schrieb der von Moskau im ostukrainischen Gebiet Donezk eingesetzte Denis Puschilin am Donnerstag im Nachrichtendienst Telegram.
Puschilin fügte hinzu: „Das bedeutet nicht, dass wir nicht auf Provokationen des Gegners antworten werden! Oder dem Feind auch nur irgendeine Chance geben werden, während dieser Feiertagsstunden seine Positionen an der Frontlinie zu verbessern.“ Wie sich russische Truppen verhalten sollten, falls sie während der Feuerpause von der ukrainischen Armee angegriffen werden, ging aus Putins Dekret nicht hervor.


