Erschreckender Fund

Ukraine: „Folterräume“ und Gräber in zurückeroberten Gebieten entdeckt

In von Russland zurückeroberten Gebieten in der Ukraine sind nach Angaben der Polizei mindestens „zehn Folterräume“ entdeckt worden. Allein zwei davon in Balaklija.

Ukrainischen Angaben zufolge wurden über 400 Leichen in einem Wald bei Isjum entdeckt.
Ukrainischen Angaben zufolge wurden über 400 Leichen in einem Wald bei Isjum entdeckt.AP/dpa/Evgeniy Maloletka

In von Russland zurückeroberten Gebieten im Nordosten der Ukraine sind nach Angaben der ukrainischen Polizei mindestens „zehn Folterräume“ entdeckt worden. „Bis zum heutigen Tag kann ich von mindestens zehn Folterräumen in Orten der Region Charkiw sprechen“, sagte der nationale Polizeichef Igor Klymenko am Freitag nach Angaben der Nachrichtenagentur Interfax. Allein zwei seien in der kleinen Stadt Balaklija entdeckt worden.

Die Behörden hätten in 204 Fällen Ermittlungen wegen möglicher Kriegsverbrechen der russischen Streitkräfte in der vergangenen Woche eingeleitet, fügte Klymenko hinzu. Der russischen Armee wird seit Monaten vorgeworfen, in den besetzten Gebieten in der Ukraine Kriegsverbrechen begangen zu haben.

Hunderte Gräber in Wald

Am Donnerstag wurden nach ukrainischen Angaben in der Nähe der zurückeroberten Stadt Isjum im Osten des Landes hunderte Gräber gefunden. Präsident Wolodymyr Selenskyj sprach von der Entdeckung eines „Massengrabs“, ohne allerdings Einzelheiten zu nennen.

„Das ist nur eine der Massengrabstätten, die in der Nähe von Isjum gefunden wurden“, erläuterte der ukrainische Präsidentenberater Mychailo Podoljak am Freitag. In den russisch besetzten Gebieten habe es monatelang „Terror, Gewalt, Folter und Massenmorde“ gegeben. Journalisten der Nachrichtenagentur AFP vor Ort berichteten am von hunderten Gräbern in einem Wald nahe Isjum.

Der Regionalpolizeichef sagte dem Fernsehsender Sky News, es handle sich um eine Grabstätte mit etwa 440 Leichen. Einige der Verstorbenen seien durch Schüsse getötet worden, andere seien während Bombardierungen gestorben.

Der Chef der ukrainischen Präsidialamts, Andrij Jermak, warf den russischen Truppen am Donnerstag Mord vor. Alle gefundenen Leichen würden exhumiert und gerichtsmedizinisch untersucht, kündigte Jermak an.

Weiße Kreuze und Nummern

AFP-Journalisten sahen hunderte Gräber in einem Wald bei Isjum, die mit weißen Kreuzen und Nummern gekennzeichnet waren. Bislang seien 443 Gräber entdeckt worden, sagte Oleg Kotenko, der ukrainische Regierungsbeauftragte für die Vermisstensuche. „Wir schätzen die Gesamtzahl der Toten anhand der Nummern (der Gräber).“ In einigen Gräbern könnten jedoch „auch zwei oder drei Menschen“ liegen.

Die Gräber seien während der Gefechte rund um die Einnahme der Stadt durch Russland im März und während der russischen Besatzung ausgehoben worden, fügte er hinzu. Gräber, die nicht namentlich gekennzeichnet seien, seien von Menschen, die „auf der Straße“ gefunden wurden. „Viele Menschen sind an Hunger gestorben“, sagte Kotenko. „Dieser Teil der Stadt war abgeschnitten, es gab keine Versorgungsmöglichkeiten. Die Menschen waren eingeschlossen, nichts funktionierte.“

Vertreter der ukrainischen Behörden untersuchten vor Ort unter anderem ein Grab, auf dessen Kreuz „Ukrainische Armee, 17 Personen, Leichenhalle von Isjum“ stand, wie AFP-Reporter weiter berichteten. Mehrere Minenräumungs-Teams suchten die Umgebung nach Sprengsätzen ab. Den russischen Streitkräften wird seit Monaten vorgeworfen, in den besetzten Gebieten in der Ukraine zahlreiche Gräueltaten an Zivilisten begangen zu haben.

Buschmann fordert Ermittlungen wegen Kriegsverbrechen

Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) forderte ebenfalls Ermittlungen wegen Kriegsverbrechen in der Ukraine. „Aus Isjum erreichen uns entsetzliche Nachrichten. Offenbar wurde ein Massengrab gefunden, hunderte Zivilisten wurden gefoltert und ermordet“, erklärte Buschmann am Freitag im Onlinedienst Twitter. „Diese Kriegsverbrechen dürfen und werden nicht ungesühnt bleiben.“

Die UNO kündigte die Entsendung eines Teams nach Isjum zur Prüfung der ukrainischen Vorwürfe an. „Unsere Kollegen in der Ukraine gehen diesen Anschuldigungen nach und versuchen, einen Besuch in Isjum zu organisieren, um die Todesumstände dieser Menschen zu klären“, sagte die Sprecherin des UN-Hochkommissariats für Menschenrechte (OHCHR), Elizabeth Throssell. Das UN-Team werde unter anderem untersuchen, ob es sich bei den Toten um Zivilisten oder Soldaten handele.