Ukrainekrieg

Vitali Klitschko: Ukraine braucht möglicherweise Referendum für Frieden mit Russland

In einem Interview spricht der Bürgermeister von Kiew über Trump, Selenskyj und über mögliche Friedensgespräche mit Russland. Die Entscheidung solle bei den Ukrainern liegen.

14.09.2023: Kai Wegner (r.), Regierender Bürgermeister von Berlin, empfängt Vitali Klitschko, Bürgermeister von Kiew.
14.09.2023: Kai Wegner (r.), Regierender Bürgermeister von Berlin, empfängt Vitali Klitschko, Bürgermeister von Kiew.Bernd von Jutrczenka/dpa

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj könnte auf ein Referendum über den Friedensschluss mit Russland zurückgreifen müssen, sagte der Bürgermeister von Kiew, Vitali Klitschko, in einem am Sonntag veröffentlichten Interview mit dem Corriere della Sera. „Ich glaube nicht, dass er ohne die Legitimation des Volkes allein so schmerzhafte und wichtige Vereinbarungen treffen kann“, sagt Klitschko in dem Interview, in dem es um den Krieg und die Möglichkeit einer zweiten Präsidentschaft von Donald Trump in den USA geht.

Klitschko, der als politischer Gegner von Selenskyj gilt, betont: „Um es klar zu sagen, ich habe immer gute Beziehungen zu ihm gehabt, er hat schlechte zu mir“. Auf die Frage, ob er für Wahlen wäre, angesichts der Tatsache, dass Selenskyjs erste Amtszeit als Präsident im vergangenen Mai abgelaufen ist, antwortet Klitschko: „Auf keinen Fall. Niemand will jetzt Wahlen, nicht einmal die größten Kritiker des Präsidenten. Der innenpolitische Kampf kann erst beginnen, wenn der Krieg mit Russland vorbei ist. Wahlen heute würden Putin nur in die Hände spielen, die Ukraine spalten und uns gegenüber einem Feind schwächen, der mit allen Mitteln versucht, uns zu vernichten.“

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Klitschko sieht in der Bildung einer Regierung der nationalen Einheit, ähnlich der in Israel nach den Hamas-Massakern vom 7. Oktober, eine mögliche Lösung für die Ukraine, fügt aber mit Blick auf Selenskyj hinzu: „Ich bin mir nicht sicher, ob er bereit ist, die zentralisierte Macht in seinen Händen aufzugeben, die ihm seit dem ersten Tag der russischen Invasion das Kriegsrecht garantiert hat.“

Vergangene Woche hat sich der ukrainische Präsident für eine Teilnahme Russlands an einer zweiten Ukraine-Friedenskonferenz ausgesprochen. „Ich glaube, dass russische Vertreter an dem zweiten Gipfel teilnehmen sollten“, sagte Selenskyj auf einer Pressekonferenz in Kiew. Es war das erste Mal, dass Selenskyj Gespräche mit Russland in Erwägung zieht, ohne zuvor auf einen Rückzug russischer Truppen aus der Ukraine zu bestehen.

In seinem Interview sieht Klitschko den Vorschlag mit Skepsis. „Mal sehen, ich weiß es nicht. Die Russen sind zweideutig, es ist unmöglich, ihnen zu vertrauen. Putin spricht von einer Öffnung zum Frieden, aber in Wahrheit lässt er sich Zeit, um die ganze Ukraine zu besetzen, er hält seine Versprechen immer nicht ein“, so Klitschko. Der Bürgermeister von Kiew räumt ein, dass vor den Präsidentschaftswahlen in den USA „nichts Konkretes geschehen kann“.

Klitschko über Trump: Republikaner waren „immer antirussisch eingestellt“

Was die Möglichkeit einer zweiten Trump-Präsidentschaft angeht, so scheint Klitschko realistisch. Die Ukraine werde mit Trump zusammenarbeiten müssen, sagt er. „Was vor der Wahl gesagt wurde, auch in Bezug auf die Ukraine, wird nach den Wahlen ganz anders sein. Und die Republikanische Partei war schon immer antirussisch eingestellt, ich sehe nicht, warum sie jetzt Putins Argumente unterstützen sollte.“

Laut einer Umfrage des Razumkov-Zentrums, einer ukrainischen Denkfabrik, sind 44 Prozent der Ukrainer in den Gebieten hinter der Frontlinie der Meinung, dass es an der Zeit sei, offizielle Gespräche zwischen der Ukraine und Russland aufzunehmen; 35 Prozent sind gegen Friedensgespräche, 21 Prozent sind unentschlossen.

Die Mehrheit der Befragten ist jedoch kategorisch dagegen, dass die Ukraine die kürzlich von Putin gestellten Bedingungen zur Beendigung des Krieges akzeptiert, was einen vollständigen ukrainischen Rückzug aus den vier teilweise von Russland besetzten Regionen zur Folge hätte.