Chaotischer Auftakt der neuen Sitzungsperiode im US-Repräsentantenhaus: Der Kandidat der Republikaner für den Vorsitz, Kevin McCarthy, hat es am Dienstag nicht geschafft, eine einfache Mehrheit von 218 Stimmen hinter sich zu versammeln. Bis zu 20 Abgeordnete aus der eigenen Partei votierten in drei Wahlrunden gegen ihn, weil er aus ihrer Sicht zu gemäßigt ist. Nach drei gescheiterten Abstimmungen vertagte sich das Repräsentantenhaus auf Mittwoch.
Der 57-jährige Abgeordnete McCarthy aus Kalifornien will Nachfolger der Demokratin Nancy Pelosi als Sprecher des Repräsentantenhauses werden und galt als Favorit für das Amt. Im ersten Wahlgang am Dienstag hatten sich allerdings 19 Parteikollegen gegen McCarthy aufgelehnt und anderen Kandidaten ihre Stimme gegeben. Beim zweiten Anlauf votierten 19 Republikaner geschlossen für Jordan. Auch beim dritten Wahlgang fiel McCarthy durch.
Ohne Vorsitzenden geht nichts im Repräsentantenhaus
Wie viele Wahlgänge es brauchen wird, bis ein Vorsitzender feststeht, ist völlig unklar. Beide Lager – die Unterstützer und die Gegner McCarthys – scheinen vorerst nicht bereit, sich auch nur einen Millimeter zu bewegen. Es könnte am Ende darauf hinauslaufen, welche Seite zuerst zermürbt ist und womöglich im Sinne des Ansehens der Partei einlenkt. Denn vorerst verursacht das Desaster der Republikaner Chaos und Stillstand zugleich.
Denn bis ein Vorsitzender bestimmt ist, geht rein gar nichts im Repräsentantenhaus: Die Kammer kann ihre nicht Arbeit aufnehmen, nicht mal die Abgeordneten können vereidigt werden, die Gesetzgebung liegt brach. Der Blick in die Geschichte verheißt nichts Gutes: 1855/56 brauchte die Kammer zwei Monate für die Wahl – und 133 Wahlgänge.
Der Republikaner McCarthy gehörte zu den frühen Unterstützern des ehemaligen Präsidenten Donald Trump. Erst nach der Attacke auf das US-Kapitol am 6. Januar 2021 soll er Berichten zufolge Trump abgeschworen haben – allerdings nur sehr kurz. Schnell wurde damals deutlich, dass ein beachtlicher Teil der Partei weiter zu Trump steht. Und so stand auch McCarthy weiter hinter ihm. Er ließ Trumps Gefolgsleute im Repräsentantenhaus gewähren. Als Fraktionsführer der Republikaner in der Kammer schaute er über das extreme Verhalten der glühenden Trump-Anhänger hinweg. Deren Einfluss in der Partei wuchs. In weiten Teilen sind es nun ausgerechnet diese Abgeordneten, die ihm Gefolgschaft verwehren. Wirklich verwunderlich ist das nicht.

Schaden für McCarthy
Egal, wie es am Ende ausgeht: McCarthy trägt schweren Schaden davon. Schon die öffentliche Rebellion in den Wochen vor der Wahl war eine Bloßstellung. Die Stunden im Kongress am Dienstag, in denen er vor den Augen eines nationalen Fernsehpublikums eine Wahlschlappe nach der anderen über sich ergehen lassen musste, ist schließlich eine Demütigung historischen Ausmaßes. Es ist das erste Mal seit hundert Jahren, dass bei der Wahl für das mächtige Amt überhaupt mehr als ein Wahlgang nötig ist, weil eine Fraktion ihren Kandidaten im ersten Durchgang auflaufen lässt. Auf diese Weise Geschichte zu schreiben, ist wenig schmeichelhaft. Und die öffentliche Erniedrigung ist noch lange nicht am Ende.

Selbst wenn McCarthy am Ende nach x Wahlgängen auf den Posten gewählt werden sollte, so träte er sein Amt schwer angeschlagen an. Die interne Revolte verspricht nichts als Ärger für die Zukunft: Die Republikanische Fraktion geht dysfunktional und zerrüttet in die neue Legislaturperiode. Ihre Mitglieder stehen sich teils feindselig, ja hasserfüllt gegenüber. Es ist absehbar, dass McCarthy ein ums andere Mal allergrößte Probleme haben dürfte, die eigenen Reihen bei Abstimmungen über Gesetzesvorhaben zu schließen – falls er es überhaupt auf den Posten schaffen sollte.
Schaden für die Partei
„Würde man zulassen, dass der Prozess im Chaos versinkt, würde dies das gesamte Gremium schwächen und das Vertrauen der Amerikaner in den neuen Kongress zerstören“, schrieb die New York Times vor der Abstimmung über die Wahl. Es wäre dann auch klar, dass man nicht auf die Partei zählen könne, wenn es um die grundlegenden Aufgaben wie etwa die Finanzierung der Regierungsgeschäfte gehe. Mit McCarthys Wahl-Debakel sind nun die schlimmsten Vorhersagen eingetreten. Dem Fraktionschef verweigerten sogar mehr Abgeordnete die Gefolgschaft als anfangs spekuliert worden war.




