Justizsystem

Häftling nimmt sich das Leben: Er saß mit Ersatzfreiheitsstrafe

Ein Gefangener mit Ersatzfreiheitsstrafe in der JVA Halle hat sich am Wochenende selbst getötet. Nun gibt es Kritik am Reformvorschlag des Justizministers.

Eine Klappe zu einer Gefängniszelle. Hier in Heidelberg (Symbolbild).
Eine Klappe zu einer Gefängniszelle. Hier in Heidelberg (Symbolbild).dpa

In einer Justizvollzugsanstalt in Halle (Saale) hat sich ein Gefangener am vergangenen Wochenende das Leben genommen. Dies berichtete die Plattform „Du bist Halle“. Der 42-Jährige saß im Gefängnis Roter Ochse in Halle ein. Bedienstete haben ihn demnach stranguliert im Haftraum aufgefunden. Maßnahmen, um ihn wiederzubeleben, seien ohne Erfolg geblieben. Der Gefangene verbüßte eine Ersatzfreiheitsstrafe. Im November dieses Jahres wäre er freigekommen.

Justizministerium plant Reform der Ersatzfreiheitsstrafe

Ersatzfreiheitsstrafen werden bei zahlungsunfähigen Personen verhängt. Meist handelt es sich um Straftatbestände wie Ladendiebstahl oder Schwarzfahren. In der Regel müssen besonders arme, obdachlose oder drogenabhängige Menschen eine Ersatzfreiheitsstrafe absitzen.

Die Ersatzfreiheitsstrafe ist in Deutschland umstritten, weil sie den Staat viel Geld kostet und ihr von kritischen Stimmen nachgesagt wird, dass sie sozial schädliche Folgen habe. Erst im Juli kündigte Justizminister Marco Buschmann (FDP) eine Reform des Systems von Ersatzfreiheitsstrafen an. Das Ziel: Die Haftstrafen zu halbieren, indem zwei Tagessätze nicht länger als zwei Tage, sondern als ein Tag in Haft verbüßt werden sollen.

Der Journalist Ronen Steinke schrieb anlässlich des Suizids des Hallenser Gefangenen: „Das Erlebnis, in ein Gefängnis eingewiesen zu werden, seine persönlichen Gegenstände und die Kontrolle über sein Leben abgeben zu müssen – dieses Erlebnis machen heute mehr Menschen wegen einer bloßen nicht bezahlten Geldstrafe als wegen einer Freiheitsstrafe.“

Steinke kritisiert in diesem Zuge die vorgeschlagene Reform des Justizministers als nicht ausreichend. Solange sie nur die Dauer der Haft verändere, werde die Ersatzfreiheitsstrafe weiterhin der häufigste Grund für arme Menschen bleiben, ins Gefängnis zu kommen, so Steinke. Die Reform mindere zwar den Schaden für Individuen und die Staatskasse, doch an der Häufigkeit ändere sie nichts.

„Weiterhin werden genauso viele Menschen diese Inhaftierung erleben, inkl. der Erniedrigung, dem Herausgerissen-Werden aus dem Leben, aus der Familie… inkl. des Stigmas, der Veränderung des Selbstbildes“, schreibt Steinke. Suizid bei Gefangenen trete demnach meistens in den ersten Tagen der Haft auf.

Normalerweise berichten wir nicht über Suizide. Der Pressekodex mahnt zur Zurückhaltung bei der Berichterstattung. In diesem Fall ist eine öffentliche politische und ethische Debatte um die Ersatzfreiheitsstrafe und die aktuellen Reformpläne des Bundesjustizministeriums tangiert. Die Berichterstattung soll zur Erhellung dieser Zusammenhänge beitragen.    

Hilfe-Nummern
Ihre Gedanken hören nicht auf zu kreisen? Sie befinden sich in einer scheinbar ausweglosen Situation und spielen mit dem Gedanken, sich das Leben zu nehmen? Wenn Sie sich nicht im Familien- oder Freundeskreis Hilfe suchen können oder möchten – hier finden Sie anonyme Beratungs- und Seelsorgeangebote:

Telefonseelsorge: Unter 0800 – 111 0 111 oder 0800 – 111 0 222 erreichen Sie rund um die Uhr Mitarbeiter, mit denen Sie Ihre Sorgen und Ängste teilen können. Auch ein Gespräch via Chat ist möglich. telefonseelsorge.de

Kinder- und Jugendtelefon: Das Angebot des Vereins „Nummer gegen Kummer“ richtet sich vor allem an Kinder und Jugendliche, die in einer schwierigen Situation stecken. Erreichbar montags bis sonnabends von 14 bis 20 Uhr unter 11 6 111 oder 0800 – 111 0 333. Am Sonnabend nehmen die jungen Berater des Teams „Jugendliche beraten Jugendliche“ die Gespräche an. nummergegenkummer.de.

Muslimisches Seelsorge-Telefon: Die Mitarbeiter von MuTeS sind 24 Stunden unter 030 – 44 35 09 821 zu erreichen. Ein Teil von ihnen spricht auch türkisch. mutes.de

Deutsche Gesellschaft für Suizidprävention: Eine Übersicht aller telefonischer, regionaler, Online- und Mail-Beratungsangebote in Deutschland gibt es unter suizidprophylaxe.de