Der deutsche Einzelhandel erlebt nach einer aktuellen Studie von Allianz Trade die schwerste Insolvenzwelle seit fast einem Jahrzehnt. Im Zeitraum von August 2024 bis August 2025 meldeten 2490 Einzelhändler Insolvenz an. Die Zahl liegt nur knapp unter dem Negativrekord von 2520 Pleiten aus den Jahren 2015 bis 2016, wie der Kreditversicherer mitteilt.
Zu den betroffenen Unternehmen zählen unter anderem der Schuhhändler Görtz, die Modemarke Gerry Weber, der Herrenausstatter Wormland und die Modekette Esprit, die in diesem Jahr alle Filialen schließen musste. Auch der Dekorationsanbieter Depot und der Discounter Kodi haben ihr Filialnetz deutlich reduziert.
Guillaume Dejean von Allianz Trade rechnet mit einer fortgesetzten Konsolidierung im deutschen Einzelhandel. Zwar werde die Zahl der Insolvenzen weiter steigen, das Tempo nehme aber leicht ab. Im August 2025 lag die Steigerung gegenüber dem Vorjahr bei 13 Prozent, nachdem sie ein Jahr zuvor noch 20 Prozent betragen hatte. Als Ursache für die leichte Entspannung nennt Dejean die verbesserte wirtschaftliche Lage.
Im europäischen Vergleich zeigt sich ein kontrastierendes Bild. In Frankreich sank die Zahl der Insolvenzen im Einzelhandel zuletzt um zwei Prozent, in Großbritannien um zehn Prozent und in den Niederlanden sogar um 23 Prozent. Auch Norwegen und Dänemark berichten von einem deutlichen Rückgang der Insolvenzen. Dejean führt diese Entwicklung auf die unterschiedlichen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen und Fördermaßnahmen zurück.
Einzelhandel unter Innovationsdruck
Der Einzelhandel in Deutschland steht weiterhin vor grundlegenden Herausforderungen, die ihren Ursprung in der Pandemiezeit haben. Händler müssten verstärkt in digitale Vertriebskanäle, datengestütztes Warenmanagement und moderne Technologien für den Ladenbau investieren, um dem wachsenden Wettbewerb durch große Online-Marktplätze standhalten zu können, wie Dejean erklärt.
Viele Ketten setzen inzwischen autonome Systeme in Lagern, KI-gesteuerte Produktempfehlungsmaschinen und robotergesteuerte Regalscanner ein. Einige testen zudem selbstnavigierende Serviceroboter, die Kunden im Geschäft unterstützen. Diese Innovationen verbessern das Einkaufserlebnis und die Rentabilität, verlangen aber hohe Investitionen im Vorfeld – ein Problem insbesondere für kleinere Händler. Dejean vergleicht die Situation mit einem Kampf „David gegen Goliath“.
Vorwiegend Einzelhändler im Textilbereich stehen vor existenziellen Schwierigkeiten. „Der Trend zu steigenden Insolvenzen und einer weiteren Konsolidierung der Branche dürfte sich fortsetzen.“ Dennoch sieht Dejean auch positive Signale: Steigende Reallöhne, bessere Kreditmöglichkeiten und ein stärkerer Euro könnten die Lage stabilisieren.


