Ausschreitungen

„EU bringt Menschen um“: Krawalle, Fahnenverbrennungen bei Demos nach Bootsunglück

Einen Tag nach dem schwersten Bootsunglück dieses Jahres in Griechenland kam es in Athen während einer Demonstration zu Zusammenstößen.

Demonstranten verbrennen bei einem Protest gegen die Einwanderungspolitik der EU in Thessaloniki eine EU-Flagge.
Demonstranten verbrennen bei einem Protest gegen die Einwanderungspolitik der EU in Thessaloniki eine EU-Flagge.Giannis Papanikos/IMAGO

Während eines Protestmarsches nach dem tödlichen Bootsunglück in Griechenland kam es am Freitagabend im Zentrum von Athen zu Ausschreitungen. Griechischen Medien zufolge griff eine Gruppe von Demonstranten in der Nähe des griechischen Parlaments Polizisten mit Molotowcocktails an, woraufhin die Polizisten mit dem Einsatz von Tränengas reagierten.

Die Zusammenstöße ereigneten sich am Rande einer Versammlung, zu der als Reaktion auf das Bootsunglück aufgerufen wurde, bei dem am Mittwoch mehrere Menschen ums Leben kamen. Unter dem Motto „Wir werden keine Kompromisse mit Brutalität eingehen“ war der Protest von Gewerkschaften und Verbänden angemeldet worden. 

„Wir werden nicht zu Zuschauern der ‚Normalität‘ der Tausenden Toten und Vermissten im Mittelmeer und der Ägäis“, heißt es im Aufruf. „Wir fordern, dass die Beteiligung Griechenlands an imperialistischen Interventionen und Kriegen hier und jetzt aufhört.“

Demonstrationen gab es am Donnerstagabend auch in der Hafenstadt Thessaloniki. Demonstranten verbrannten eine EU-Flagge. „Die EU bringt Menschen um“, hieß es auf Transparenten, wie Reporter vor Ort berichteten. Zu den Protesten hatten die Kommunistische Partei Griechenlands (KKE) und mehrere linksgerichtete Studenten- und Gewerkschaftsorganisationen sowie Parteien der außerparlamentarischen Linken aufgerufen.

Insgesamt könnten bei dem Unglück mehr als 500 Migranten ums Leben gekommen sein, nur 104 überlebten, wie die Behörden am Donnerstag mitteilten. Lediglich 78 Personen konnte die Küstenwache bislang bergen. Gewissheit wird es nicht geben: Der Unglücksort rund 50 Seemeilen südwestlich der griechischen Halbinsel Peloponnes liegt genau über dem Calypsotief, mit über 5000 Metern der tiefsten Stelle des Mittelmeers.

Bis zum Freitag sollen die Überlebenden in ein Flüchtlingslager nahe Athen gebracht werden. Die meisten Passagiere stammen laut Küstenwache aus Syrien, Afghanistan und Pakistan. Die geborgenen Toten wurden bereits im Laufe des Donnerstags nach Athen gebracht, wo versucht werden soll, die Leichen unter anderem mit Hilfe von DNA-Proben zu identifizieren.

Massenpanik an Bord, mutmaßliche Schleuser festgenommen

Derweil laufen die Untersuchungen der Unglücksursache weiter: So sollen laut Staatssender ERT acht Überlebende in Kalamata von der Hafenpolizei festgesetzt worden und befragt worden sein. Sie gelten als mutmaßliche Schleuser und Organisatoren der tödlichen Reise, für die die Migranten nach eigenen Angaben zwischen 5000 und 6000 Euro pro Kopf gezahlt hatten.

Medienberichten zufolge soll es an Bord zur Massenpanik gekommen sein, als die Maschinen des alten Kutters ausfielen. Das übervolle Schiff sei daraufhin aus dem Gleichgewicht gekommen, gekentert und sofort gesunken. Überlebende gaben an, dass viele Passagiere nicht schwimmen konnten und auch kaum einer ein Schwimmwesten trug. Auch hätten sich die Menschen unter Deck so schnell nicht ins Freie retten können. Unter ihnen seien viele Frauen und bis zu 100 Kinder gewesen, hieß es.

Die griechische Küstenwache und auch vorbeifahrende Frachter hätten der Besatzung des Boots per Funk wiederholt Hilfe angeboten, sagte ein Sprecher der Behörde. Die Besatzung hätte das Angebot jedoch ausgeschlagen, mit der Begründung, man wolle Italien erreichen. Weil sich das Boot in internationalen Gewässern befand, konnten die Beamten erst eingreifen, als der Kutter in der Nacht zum Mittwoch in Seenot geriet und kenterte. (mit dpa)