Heute ist die 737 Seiten lange Autobiografie der Bundeskanzlerin a.D. Angela Merkel erschienen, die unter dem Titel „Freiheit: Erinnerungen 1954–2021“ veröffentlicht wurde. Den Text hat Angela Merkel gemeinsam mit ihrer ehemaligen Büroleiterin Beate Baumann verfasst. Das Buch umfasst nicht nur ihr politisches Wirken, sondern auch ihr Leben in der DDR und ihre Erlebnisse in der Wendezeit.
Angela Merkel stellt in ihrer Autobiografie dar, wie sie sich vor ihrem Engagement in der CDU beim Demokratischen Aufbruch beteiligt hat, einer politischen Gruppierung, die als Reformbewegung in den Endmonaten der DDR entstand. Angela Merkel wurde deren Pressesprecherin, bis die Gruppierung 1990 mit der Ost-CDU fusionierte.
In ihrer Autobiografie widmet Angela Merkel ihrer publizistischen Tätigkeit für die Berliner Zeitung einen kleinen Absatz. Sie schreibt, dass sie für den Demokratischen Aufbruch „den ersten Namensartikel“ ihres Lebens geschrieben habe. Und weiter: „Er wurde am 10. Februar 1990 in der Berliner Zeitung veröffentlicht. Darin legte ich meine Argumente für die soziale Marktwirtschaft, das heißt die Bedeutung des Wettbewerbs und die Aufgaben des Staates in ihr, dar und schloss mit den Worten: ‚Der DA möchte Bedingungen schaffen, unter denen es sich lohnt, die eigenen Fähigkeiten in der Gesellschaft einzusetzen.‘ Der Redaktion der Berliner Zeitung war nicht aufgefallen, dass ich im Eifer des Gefechts aus Alfred Müller-Armack und Franz Böhm, zwei Gründungsvätern der sozialen Marktwirtschaft, A. Müller-Arnau und F. Böhlen gemacht hatte. Viel wichtiger aber war, dass ich zum ersten Mal meine politischen Überzeugungen öffentlich formuliert hatte. Ein außerordentlich gutes Gefühl.“
Anmerkung der Redaktion: Der Text von Angela Merkel erschien auf der Seite „Podium – die Seite der und für die Bürgerinnen – Bewegungen, Initiativen und Minderheiten“, die ab Mitte Dezember 1989 den neuen demokratischen Gruppen und Bewegungen offenstand – ähnlich wie jetzt der Kanal Open Source. Hier der Wortlaut der Regel von Dezember 1989 für die Beiträge: „Für die auf dieser Podium-Seite veröffentlichten Beiträge tragen die Autoren und die von ihnen repräsentierten Parteien und Organisationen alleinige Verantwortung. Ihre Meinung stimmt nicht in jedem Fall mit der der BZ-Redaktion überein.“

Hier finden Sie den Text von Bundeskanzlerin Angela Merkel vom 10. Februar 1990 aus der Berliner Zeitung im Wortlaut:
„Demokratischer Aufbruch:
CDU-West natürlicher Verbündeter beim Umbau der Gesellschaft
Unser schweres Erbe und Ludwig Erhards Radikalkur
Stalinistische Strukturen, verwaltet von der SED, haben uns länger als 40 Jahre beherrscht. Wir haben vergessen, daß Politik Dienstleistung für das Volk sein muß und Parteipolitik – wie der Name Partei (pars [lat.] = Teil) besagt – Politik für einen bestimmten Teil der Bevölkerung.
Rechtsstaatlichkeit, das Bekenntnis zur deutschen staatlichen Einheit und die Schaffung einer sozialen und ökologischen Marktwirtschaft sind Eckpunkte im Programm des DA. Damit unterscheiden wir uns kaum von anderen Parteien und Gruppen. Aber das totale Versagen des bisherigen Systems zwingt alle gleichermaßen, sich an den Demokratieerfahrungen westeuropäischer Länder, insbesondere der Bundesrepublik, zu orientieren. Dreh- und Angelpunkt unserer weiteren Entwicklung ist die Konsolidierung der wirtschaftlichen Lage. Wenn es uns nicht gelingt, im Rahmen einer neuen Wirtschaftsordnung Werte zu erwirtschaften, können wir im sozialen und ökologischen Bereich auch nichts verteilen.
Versetzen wir uns an den Ausgangspunkt der wirtschaftlichen Entwicklung der drei westlichen Besatzungszonen in Deutschland nach Ende des zweiten Weltkrieges. Mangel, Zerstörung und Entbehrung bestimmten die Situation. In dieser Hoffnungslosigkeit entwarfen Ludwig Erhard (CDU) u. a. (W. Eucken, F. Böhlen und A. Müller-Arnau) das phantastisch anmutende Konzept, die Wirtschaft nur noch über den Wettbewerb und den Markt zu steuern. Der Staat hatte die Aufgabe, einerseits
die Funktionsbedingungen des Marktes zu garantieren und andererseits für den Schutz der sozial Schwachen und der natürlichen Lebensgrundlagen Sorge zu tragen.
Die Umsetzung dieses Programms in die Praxis führte zu dem, was wir heute soziale Marktwirtschaft nennen. Gegner warnten damals eindringlich, ‚daß man einen todkranken Mann nicht einfach ins kalte Wasser werfen könne‘. Erhard entgegnete, ‚Demokratie und freie Wirtschaft gehören logisch ebenso zusammen wie Diktatur und Staatswirtschaft‘. Auch die SPD hat nach anfänglichen Widerständen im Laufe der Jahre akzeptiert, daß dieses Konzept trotz aller Mängel im Wesen erfolgreich war.
Wir begreifen deshalb die Schaffung der sozialen Marktwirtschaft als eine Chance, die es mit Elan zu nutzen gilt. Die CDU und auch die FDP der Bundesrepublik können wir dabei als unsere natürlichen Verbündeten ansehen. Wir wenden uns deshalb mit unserer Politik an all jene, die an die Zukunft glauben. Wir haben ein schweres Erbe angetreten. Es liegt aber auch viel Leistungsvermögen brach. Der DA möchte Bedingungen schaffen, unter denen es sich lohnt, die eigenen Fähigkeiten in der Gesellschaft einzusetzen.
Angela Merkel“
Lesen Sie die Rezension zum neuen Merkel-Buch hier.

