Beratungen

Ampel-Krisengipfel: Habecks Gasheizungsverbot zum Teil gekippt, höhere Lkw-Maut kommt

Mehr als 48 Stunden nach Beginn der ersten Verhandlungsrunde haben die Koalitionsparteien ihre Spitzenberatungen in Berlin beendet.

Wirtschaftsminister Robert Habeck. 
Wirtschaftsminister Robert Habeck. Political-Moments/Imago

Mehr als 48 Stunden nach Beginn der ersten Verhandlungsrunde haben die Koalitionsparteien ihre Spitzenberatungen in Berlin beendet. Das von Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) geplante stufenweise Verbot von Gasheizungen wurde zum Teil gekippt. Das berichtete jedenfalls die Bild-Zeitung. Die Ampel-Koalition einigte sich auf „Technologie-Offenheit“, heißt es, also sei auch grüner Wasserstoff als Alternative zu Öl und Gas denkbar. „Es wird keine Austauschpflicht geben für bestehende Heizungen, sondern lediglich Vorgaben für neu eingebaute Heizungen“, sagte FDP-Chef Christian Lindner dazu. Robert Habeck verteidigte seine Pläne bei „Markus Lanz“ und sagte, dass er langfristig, wie geplant, von Öl und Gas als Energiequelle für Heizungen wegwolle.

Laut dem Beschlusspapier, das am Dienstagabend zirkulierte, sollen die deutschen Bürgerinnen und Bürger nicht überfordert werden. Deshalb werde „zielorientiert geprüft, wie der ambitioniertere Austausch von Öl- und Gasheizungen aufgrund der Änderungen des Gebäudeenergiegesetzes (GEG) gezielt und bürokratiearm aus dem Klima- und Transformationsfonds finanziell gefördert werden kann.“

Die Koalition peilt auch eine Änderung des Klimaschutzgesetzes an: Die bislang strikten Emissionsvorgaben für einzelne Wirtschaftssektoren sollen aufgegeben werden. Lindner gab bekannt, dass das Klimaschutzgesetz geändert werden solle. Demnach sollen Zielverfehlungen in einem Sektor in einem anderen ausgeglichen werden.

Höhere Lkw-Maut soll Ausbau der Bahn finanzieren

Die Lkw-Maut soll ab 2024 um einen CO2-Aufschlag erhöht werden und für alle Nutzfahrzeuge ab 3,5 Tonnen erhoben werden. 80 Prozent der Mehreinnahmen sollen dann dem Schienennetz und dem Bahnverkehr zugute kommen. Für emissionsfreie Lkw soll es bis Ende 2025 eine Befreiung von der Maut geben, danach einen Rabatt von 75 Prozent. Ausnahmen soll es auch für Handwerker geben. Den Finanzbedarf der Bahn wird auf 45 Milliarden Euro bis 2027 beziffert. 

Für Schienenprojekte, die bisher als vordringlicher Bedarf eingestuft sind, soll ein „überragendes öffentliches Interesse“ festgelegt werden, Planungsfristen verkürzt werden. ÖPNV-Angebote sollen ausgebaut werden, besonders im ländlichen Raum. Der Schienengüterverkehr soll bis 2030 einen Marktanteil von 25 Prozent erreichen. Terminals für kombinierten Verkehr sollen ausgebaut werden.

144 Autobahnprojekte

Die Ampel-Koalition verständigte sich zudem auf einen beschleunigten Infrastrukturausbau im Straßenverkehr. Grünen-Chefin Lang sprach von einer „begrenzten Anzahl von Straßen“, für die dies gelte. FDP-Chef Lindner nannte „144 Autobahnprojekte“, die als „von überragendem Interesse eingestuft“ und entsprechend prioritär behandelt würden.

Ein Vorschlag von Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP), der den Ausbau der Straßeninfrastruktur etwa mit der Schiene gleichsetzte, hatte in den Reihen der Grünen für scharfe Ablehnung gesorgt. „Das war für uns kein einfacher Punkt“, gestand Lang nun. Gleichzeitig habe sich die Ampel aber darauf geeinigt, den Autobahnbau mit einer „riesigen Solarausbauoffensive“ zu verknüpfen. Beim Neubau von Autobahnen sollen demnach künftig verpflichtend am Rand Solaranlagen gebaut werden.

Die weiteren Beschlüsse des Koalitionsausschusses im Überblick

Planungsbeschleunigung: Die Planungsverfahren für alle großen Infrastrukturprojekte sollen gestrafft und schneller vorangetrieben werden.

Sonstige Verkehrsmittel: Ebenfalls gefördert werden sollen der Rad- und Fußverkehr sowie emissionsfreie Busse.

Erneuerbare Energien: Die Flächenausweisung für Windkraft soll erleichtert werden, auch für den Eigenverbrauch benachbarter Industrieanlagen. Zudem soll bei neuen Autobahnen verpflichtend die Möglichkeit zum Bau von Solaranlagen in deren Randbereich genutzt werden. Auch an Bahnstrecken sollen Solaranlagen entstehen, ebenso Windkraftanlagen neben Verkehrswegen.

Elektromobilität und E-Fuels: Die Elektromobilität soll durch einen Ausbau der Ladesäuleninfrastruktur vorangebracht, Stromnetze entsprechend ausgebaut werden. Zugleich will die Koalition eine Strategie für Einfuhren von E-Fuels entwickeln, also CO2-neutralen synthetischen Kraftstoffen. Im Steuerrecht sollen alle CO2-neutralen Fahrzeuge gleich behandelt werden. Das Ziel von 15 Millionen vollelektrischen Fahrzeugen bis 2030 wird bekräftigt.

Klimaschutz: Das Klimaschutzgesetz soll in zentralen Punkten umgebaut werden.

Sektorziele: Statt der bislang strikten jährlichen Emissionsvorgaben für einzelne Bereiche wie Energie, Industrie, Verkehr und Gebäude soll es möglich sein, Zielverfehlungen in einem Sektor in einem anderen auszugleichen. Grundsätzlich sollen die Sektorziele aber bestehen bleiben.

Jahresübergreifende Betrachtung: Statt der festen Jahresziele soll stärker auf einen längeren Zeitraum geblickt werden. Dazu soll eine Regierung jeweils im ersten Jahr der Legislaturperiode ein umfassendes Programm vorlegen. Eine „sektorübergreifende und mehrjährige Gesamtrechnung“ soll dabei im Vordergrund stehen. Bei Zielverfehlungen sollen aber vor allem aus den dafür verantwortlichen Sektoren Nachbesserungen vorgeschlagen werden

Klimaziele: Bekräftigt wird, dass Deutschland bis 2045 klimaneutral sein soll. Entscheidend für das Erreichen des Ziels soll der Europäische Emissionshandel einschließlich seiner geplanten Ausweitung auf weitere Sektoren sein.

CO2-Senken und CCS: Natürliche CO2-Senken wie Wälder und Moore sowie technische Senken durch CO2-Abscheidung und -Speicherung (CCS) sollen berücksichtigt werden. Dafür soll es fünfjährige Ziele für Negativemissionen geben.

Wärmewende: Die Ampel-Parteien bekennen sich zu dem Ziel, von fossilen Heizungen künftig möglichst wegzukommen und diesen Umbau sozial abzufedern.

Neubau und Sanierung: Vorgaben für neu eingebaute Heizungen sollen sicherstellen, dass auch dieser Bereich klimafreundlich umgestaltet wird. Verwiesen wird auf den Beschluss, wonach ab 2024 neu eingebaute Heizungen zu 65 Prozent mit erneuerbaren Energien betrieben werden sollen. Möglich bleiben sollen aber beispielsweise auch Heizungen, die mit „grünem“ aus erneuerbaren Energien oder „blauem“ CO2-neutral aus Erdgas gewonnenem Wasserstoff oder mit Biomasse betrieben werden.

Soziale Abfederung: Gefördert werden soll der Umbau von Heizungen mit Mitteln aus dem Klima- und Transformationsfonds. Eine Austauschpflicht für bestehende Heizanlagen soll es aber nicht geben.

Naturschutzrecht: Zur Planungsbeschleunigung sollen auch Änderungen im Naturschutzrecht beitragen. Der bisherige Grundsatz, wonach es als „Realkompensation“ für den Verlust von Naturflächen Kompensationen auf anderen Flächen geben muss, soll aufgeweicht werden. Stattdessen soll die Kompensation auch in Form einer Geldleistung erfolgen können. Damit sollen größere, zusammenhängende Biotop-Verbünde geschaffen werden können, organisiert in Verantwortung des Umweltministeriums. Dieser überregionale Ansatz soll die Wirksamkeit für den Natur- und Artenschutz erhöhen.

Haushalt: Die beschlossenen Maßnahmen sollen keine zusätzlichen Kosten im Bundeshaushalt verursachen. Möglich sein soll das durch das Heranziehen des Klima- und Transformationsfonds sowie der Lkw-Maut und der Einnahmen aus dem Emissionshandel.

SPD-Chef Klingbeil ist „hoch zufrieden“ mit den Ergebnissen

SPD-Chef Lars Klingbeil zeigte sich „hoch zufrieden“ mit den Ergebnissen. Diese zeigten, „dass wir uns als Koalition in großen Schritten in Richtung Zukunft und Stärke für Deutschland bewegen“. FDP-Chef Lindner sagte: „Wir haben echte Durchbrüche erzielt, wirkliche Paradigmenwechsel, und deshalb spricht das Ergebnis einfach für sich.“ Grünen-Chefin Lang betonte: „Wir gehen jetzt endlich auch Strukturreformen an.“

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) formulierte am Nachmittag hohe Erwartungen an das Ergebnis. „Ich bin zuversichtlich, dass wir da ein großes Werkstück zustande bringen“, sagte er. „Es geht um die größte Modernisierung unserer Volkswirtschaft, die vor uns liegt“, sagte der Kanzler weiter. Mit Blick auf die Beratungen im Koalitionsausschuss fügte er hinzu: „Es wächst in dieser Diskussion auch die gemeinsame Vorstellung, dass wir das sind, die das machen müssen.“

Das Spitzentreffen der Koalition hatte am Sonntagabend gegen 18.30 Uhr begonnen und war am Montagnachmittag nach knapp 20 Stunden Dauer unterbrochen worden. Am Dienstag setzten die Koalitionsspitzen dann ab 10.20 Uhr ihre Beratungen fort. Insgesamt haben die Beteiligten rund 30 Stunden intensiv diskutiert.