Prozess um Schüsse auf Clan-Mitglieder

„Wir werden dich misshandeln und dir die Hände abschneiden“

Im Prozess um Schüsse auf Mitglieder krimineller Clans hat der Angeklagte vor dem Berliner Landgericht bestritten, in Tötungsabsicht geschossen zu haben.

Ein SEK am Tatort der nächtlichen Schießerei: Zu Weihnachten 2020 wurden in der Stresemannstraße in Kreuzberg mehrere Menschen verletzt.
Ein SEK am Tatort der nächtlichen Schießerei: Zu Weihnachten 2020 wurden in der Stresemannstraße in Kreuzberg mehrere Menschen verletzt.Imago

Berlin-Es ist eine illustre Gesellschaft, die sich an diesem Donnerstag im Saal 500 des Berliner Kriminalgerichts versammelt hat. Ali A.-C. und Abais C. sitzen neben ihren Anwälten – in diesem Prozess sind die Mitglieder polizeibekannter arabischstämmiger Clans Nebenkläger. Ali A.-C. ist der jüngere Bruder von Clanchef Arafat A.-C., Abais C. soll der Neffe des Oberhaupts einer anderen Großfamilie sein. Der dritte Mann auf der Bank fehlt. Veysel K. wurde im Frühjahr in die Türkei abgeschoben. Der 39-Jährige soll in den Clan-Strukturen der Mann fürs „Grobe“ gewesen sein.

Die drei Männer sind in diesem Prozess vor der 35. Großen Strafkammer die mutmaßlichen Opfer. Ihnen gegenüber, hinter Panzerglas, sitzt Oliviero V., der Angeklagte. Die Staatsanwaltschaft wirft dem 30-jährigen in Berlin lebenden Italiener versuchten Mord, gefährliche Körperverletzung und Verstoß gegen das Waffengesetz vor.

Als die Männer am Boden lagen, soll Oliviero V. noch zweimal geschossen haben

Er soll am frühen Morgen des zweiten Weihnachtsfeiertages 2020 auf dem Hinterhof einer Spielhalle in der Kreuzberger Stresemannstraße in Tötungsabsicht und heimtückisch mit einer Selbstladepistole mehrfach auf Ali A.-C.,  Veysel K. und Abais C. geschossen und die Männer lebensgefährlich verletzt haben. Die Schüsse erfolgten laut Anklage aus kurzer Distanz und zu einem Zeitpunkt, als Ali A.-C. und Veysel K. dem Angeklagten den Rücken zugewandt hatten. Selbst als die Männer getroffen am Boden lagen, soll er noch zweimal auf sie geschossen haben.

Auf den flüchtenden Abais C. habe der Angeklagte viermal gefeuert, so die Staatsanwältin. Die Opfer seien arg- und wehrlos gewesen. Oliviero V., der zum Pokern in die Spielhalle gekommen war, habe erkannt, dass er seine Widersacher „mit hoher Wahrscheinlichkeit tödlich verletzt“ habe und sei geflohen.

Die Tat auf dem Hof wurde von mehreren Überwachungskameras gefilmt. Hintergrund der blutigen Auseinandersetzung sollen angebliche Spielschulden des Angeklagten beim Pokern bei Ali A.-C. in Höhe von 4000 Euro gewesen sein. Es sei eine illegitime Forderung gewesen, wie Oliviero V. vor Gericht betont. Er habe nie Schulden gemacht, aber Ali A.-C. gesagt, dass er der Forderung nachkommen werde – wohl als eine Art Schutzgeld.

Oliviero V. gesteht an diesem ersten Prozesstag die Schüsse. Er beruft sich auf Notwehr. Die Tat sei die einzige Chance gewesen, seine Entführung und seinen Tod zu verhindern. Er habe niemanden töten, die Angreifer nur verletzen wollen. Der Angeklagte spricht von Todesangst, die er damals gehabt habe.

Der Angeklagte Oliviero V. am Donnerstag vor dem Berliner Landgericht.
Der Angeklagte Oliviero V. am Donnerstag vor dem Berliner Landgericht.Pressefoto Wagner

Nach seinen Angaben spielte sich in der Tatnacht gegen 3.50 Uhr Folgendes ab: Mit zwei Freunden war er in der Spielhalle. Als er kurz vor vier Uhr morgens von der Toilette zurückkehrte, waren fast alle Gäste verschwunden. Ali A.-C. stand mit einer Machete vor ihm, forderte 4000 Euro. Veysel K. drohte mit einer Schusswaffe. Der dritte Mann hatte Pfefferspray dabei. Der Angeklagte erklärt, dass er damals noch nicht gewusst habe, um wen es sich bei Veysel K. handelt: ein brandgefährlicher Mann, der lange Zeit im Knast gesessen und erst vor Kurzem auf dem Kudamm herumgeballert habe.

Der Angeklagte spricht von Todesangst

Angeblich beschimpfte Ali A.-C. den Angeklagten. Er sagte demnach: „Du kommst in den Kofferraum. Wir werden dich misshandeln und dir die Hände abschneiden.“ Als ein Freund des Italieners vermitteln wollte und den Mann mit der Machete fragte, wie viel ihm Oliviero V. denn schulde, habe dieser geantwortet. „Jetzt sind es schon 10.000 Euro.“ V. schildert, dass er hinausgeführt worden sei. Auf dem Hof soll Veysel K. gedroht haben, ihm zur Strafe ein paar Kugeln zu verpassen. Der Angeklagte spricht von Todesangst, davon, dass er seine Waffe aus dem Hosenbund gezogen und geschossen habe.

Am Ende seiner Einlassung sagt der Angeklagte, es tue ihm leid, dass er drei Menschen verletzt habe. „Aber auch aus heutiger Sicht haben mir die drei Männer keine andere Wahl gelassen.“ Er spricht von Angst, die er nun um seine Familie, seine Verlobte und die beiden Kinder habe.

Die angeschossenen Männer konnten nur durch eine Notoperation gerettet werden. Der mehrfach vorbestrafte 39-jährige Veysel K. lag im Koma, kam nach seinem Krankenhausaufenthalt direkt in U-Haft und wurde abgeschoben. Er galt lange Zeit als Vertrauter von Rapper Bushido und Clan-Boss Arafat A.-C. Bushido und Arafat A.-C. waren einst dicke Freunde, zerstritten sich. Das Ende ihrer Geschäftsbeziehungen war offenbar von Gewalt geprägt. Beide sind derzeit Protagonisten in einem anderen Prozess vor dem Landgericht – Bushido als Opfer, Arafat A.-C. als mutmaßlicher Täter.

Der Prozess gegen Oliviero V. wird fortgesetzt.