Die Sonne steht im Zenit über dem Wedding, doch ihr Licht wirkt bereits blass an diesem Freitag im November. Der Himmel zeigt jenes fahle Mittagslicht, das typisch ist für die dunklen Monate, in denen der Winterblues viele Berliner heimsucht. Dieses Stimmungstief, medizinisch auch als saisonal abhängige Depression bekannt, zeigt sich in Antriebslosigkeit, Müdigkeit und gedrückter Stimmung. Doch muss das sein? Nein. Wir haben Berliner nach ihren Rezepten gegen die trübe Jahreszeit befragt.
Auf dem Torfstraßensteg glitzert das Wasser des Kanals, die Luft ist kalt. Markus lehnt am Geländer. 49 Jahre, Wollmütze, die Hände in den Taschen. Der Winterblues in Berlin, sagt er, sei „jedes Jahr eine Herausforderung“. Aber man könne „der Sache doch Herr werden“. Seine Strategie: alle Sinne bespielen.
„Schöne Filme, Naturdokus gucken, was mit Hunden, Katzen, Fischen, Eisbären“, sagt er und mustert das funkelnde Wasser. Dazu funky Musik „von Stevie Wonder bis Michael Jackson“, gern so, „dass man in der Bude tanzen“ kann. Und Eintöpfe. „Chili con Carne oder Bohneneintopf, ruhig kreativ sein, auch für den Tiefkühler vorkochen. Wenn man dann abends müde nach Hause kommt, ist schon was Warmes da.“ Dazu drei-, viermal die Woche Sportstudio, einmal die Woche Sauna. „Wenn der Januar vorbei ist, geht’s gefühlt wieder bergauf. Es sind jetzt gute zwei Monate, wo wir Berliner einfach durch müssen.“

Gemeinschaft statt Dunkelheit: Vom Café bis zur Kuschelparty
Ein paar Straßen weiter, an der Torfstraße, schiebt der Wind die letzten Blätter über den Asphalt. Wer dem Winterblues entkommen will, muss Licht suchen. Draußen, solange es geht. Und drinnen, wenn es dunkel ist. Warmes Lampenlicht statt Neon an der Decke. Kerzen auf dem Tisch.
Im Café Chamäleon ist es voll. Hinter der Theke steht Josie, 24. Für sie ist der Job selbst schon ein Schutz gegen den Winter. „Im Café arbeiten ist auf jeden Fall ein Grund, früh aufzustehen. Sonst würde ich vielleicht länger im Bett bleiben, und dann ist der Tag gleich viel kürzer und deprimierender.“ Für diesen Winter hat sie mit Freundinnen einen Plan: „Sich gemeinsam irgendwo in irgendeine Wohnung verkrümeln und dann gemütlich Essen machen. Filmabend, Zocken und so gemeinsam die Kälte überstehen.“ Sie lacht: „Sleepover-Partys sind mega – mal wieder Kind sein. Und wenn's ganz schlimm kommt, vielleicht einen Überwinterungs-Gspusi besorgen, jemanden zum Kuscheln.“
Projekte statt Warten: Wie eine Konditorei gegen den Blues hilft
An der Kreuzung Tegeler Straße-Sprengelstraße steht eine Bank in der Sonne. Dort sitzen Louise und Karla, vor sich eine Papiertüte vom Bäcker, neben sich ein Notizbuch. Sie lachen viel und schauen immer wieder auf das Eckhaus hinter sich. Hier wollen sie bald ihre Konditorei „Torte“ eröffnen. Noch sind die Fenster leer, Anfang des nächsten Jahres soll es losgehen.
Auf die Frage nach ihren Anti-Winterblues-Rezepten kommt die Antwort ohne Zögern: „Ich gehe ins Solarium und in die Sauna“, sagt eine. Die andere ergänzt: „Ich gehe auch in die Sauna, treffe Freunde und sitze in der Sonne, wenn sie da ist.“
Sie wollen den Winter nutzen, um ihren Laden aufzubauen. Backen, planen, ausprobieren. Der Kiez soll im neuen Jahr kommen und sagen: Gut, dass ihr da seid.
Auch das ist ein Rezept gegen den Winterblues: sich Projekte suchen, statt nur auf den Frühling zu warten. Ein Kurs an der Volkshochschule, ein neues Hobby, ein Stapel Bücher, den man sich vornimmt. Alles, was Struktur gibt, hilft, sagen sie.

Die Einstellung macht's: Warum dieser Berliner keinen Blues kennt
Ein Stück die Tegeler Straße hinauf liegt das Shikgoo, ein koreanisches Restaurant, das hier seit vielen Jahren steht. Drinnen ist es warm, die Scheiben sind beschlagen, in der Luft liegt der Geruch von Knoblauch, Sesam und Brühe. In einer Ecke sitzt Gerhard, der Chef. Er ist mit einer Koreanerin verheiratet, erzählt er. Auf die Frage nach dem Winterblues sagt er nur: „Ich habe keinen Winterblues. Das ist mein Rezept. Mir ist egal, wie die Jahreszeit ist. Ich finde es immer schön.“
Fünf Jahre hat er in Griechenland gelebt. „Zum Ende hin habe ich es bedauerlich gefunden, dass es keinen Jahreszeitenwechsel gibt.“ Die Rückkehr nach Mitteleuropa empfand er als Wohltat. „Dass man hier richtig die Jahreszeiten erlebt. Es ist jetzt zwar nicht mehr so deutlich wie früher, aber es ist immer noch da. Deswegen stört mich Kälte gar nicht. Schnee und Regen, das ist alles okay.“





