Ist das bedingungslose Grundeinkommen eine Schnapsidee von Menschen, die das kapitalistische Wirtschaftssystem nicht verstanden haben? Oder eine realistische Möglichkeit, die soziale Grundsicherung zukunftsfähig zu machen? „Wir wollen Berlin die rosarote Brille aufsetzen“, sagt Mark Appoh, Pressesprecher der Initiative Expedition Grundeinkommen.
Möglicherweise eine Anspielung auf den Vorwurf der Träumerei. Doch ab Freitag wird’s ernst: Mehr als 7000 rosafarbene Plakate und viele Menschen in rosafarbenen Westen sollen die Berliner zum Mitmachen motivieren. Denn das Bündnis Grundeinkommen braucht 240.000 Unterschriften für einen Volksentscheid.
Projekt soll aus Steuern finanziert werden
Vier Monate lang, vom 6. Mai bis zum 5. September, wird gesammelt. Bei einem Erfolg kommt es zur Abstimmung über einen Modellversuch: 3500 Berlinerinnen und Berliner sollen drei Jahre lang ein bedingungsloses Grundeinkommen erhalten. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung Berlin (DIW) wäre für die wissenschaftliche Begleitung zuständig. Die Grundeinkommen würden durch Steuern finanziert.
70 Millionen Euro sind im Gesetzesentwurf als Kostenobergrenze festgelegt. Bisherige Versuche zum Grundeinkommen wurden ausschließlich über Spenden finanziert. Momentan läuft in Berlin bereits ein solches Pilotprojekt mit 122 Teilnehmenden, das ebenfalls vom DIW begleitet wird.
Gibt es weniger Bürokratie, wenn Menschen ein Grundeinkommen beziehen? Kann man so die Kluft zwischen arm und reich schließen? Werden wir dadurch weniger krank? Die Plakate greifen Fragen auf, die in der Gesellschaft zum Grundeinkommen existieren, sagt Laura Brämswig, Gründerin von Expedition Grundeinkommen auf der Pressekonferenz am Mittwoch. „Lass es uns herausfinden“, ist die Aufforderung der Initiative.

Grundeinkommen als Schlüssel zur Krisenbewältigung
Die Pandemie, der Krieg und die Klimakrise seien Gründe, warum sich die Initiative gerade jetzt besonders stark für das Thema einsetze, so Brämswig. „Gerade die ersten beiden Krisen zeigen, dass obwohl wir so ein wohlhabendes Land sind, die Menschen in Deutschland trotzdem nicht gut genug abgesichert sind.“
Eine Hoffnung der Initiatorin ist, dass Gesellschaften solche Krisen durch das bedingungslose Grundeinkommen besser bewältigen können. „Wenn es keine Existenzangst gibt, arbeiten Menschen im Sinne des Gemeinwohls zusammen“, sagt Jessamine Davis von Klimaneustart Berlin. Deshalb sei das Grundeinkommen ein wertvolles Instrument, um Klimagerechtigkeit herzustellen. Mitglieder des Bündnisses Grundeinkommen engagieren sich unter anderem auch bei „Berlin Autofrei“, der Clubcommission, „Gemeinwohl Ökonomie“ und „Mensch in Germany“.
Drei Volksentscheide an einem Tag?
Wie hoch das Grundeinkommen im Modellversuch sein soll, ist noch nicht festgelegt. Die Höhe zu bestimmen, wäre die Aufgabe der Forscherinnen und Forscher, die Rede ist von 1200 bis 1500 Euro. Die Untergrenze sei an die Armutssicherungsgrenze gekoppelt und solle auch die Inflation mit einbeziehen, sagt Bernhard Neumärker.
Der Wirtschaftswissenschaftler forscht in Freiburg zum Grundeinkommen. Die Wahl des Standortes Berlin für den Modellversuch sei „exzellent“, sagt er, da in der Stadt viele Forschungsanstalten beheimatet sind, die sich an die Expedition Grundeinkommen anschließen.
„Es geht um die Ausgestaltung und Umgestaltung des Sozialsystems in Deutschland für die Zukunft“, sagt der Forscher. Auch Sozialwissenschaftler Jürgen Schupp vom DIW sagte der Berliner Zeitung im vergangenen Jahr, dass ihn die Sorge umtreibe, das Sozialsystem sei nicht zukunftsfest, und deshalb das Grundeinkommen als Idee diskutiert werden sollte.
Die Abstimmung über den Volksentscheid kann womöglich erst im Jahr 2024 stattfinden, da dann der nächste Termin einer Wahl (Europawahl) wäre. Um Kosten zu sparen, wird die Zusammenlegung von Abstimmungen mit einer Wahl bevorzugt.


