Der Betriebsrat von Vivantes hat am Freitag einen Hilferuf ausgesandt. Die Zustände in den Rettungsstellen des landeseigenen Klinikkonzerns seien „gefährlich“, hieß es in einer Pressemitteilung. „Trotz festgelegter schichtgenauer Besetzungsvorgaben durch den neuen Tarifvertrag Entlastung ist die personelle Besetzung aktuell so schlecht wie noch nie“, schrieb der Betriebsrat. „Die Notaufnahmen sind fast täglich über den Senat bei der Feuerwehrleitstelle abgemeldet.“ Rettungswagen könnten die Krankenhäuser nicht mehr anfahren.
Josephine Thyrêt ist Betriebsratsvorsitzende, sie sagt: „Keiner der beiden Tarifverträge wird umgesetzt. Weder der, der Besetzung von Schichten in der Pflege regelt, noch der für die Beschäftigten der Tochterfirmen.“ Dort wandere inzwischen Personal scharenweise ab, weil zum Beispiel Reinigungskräfte in anderen kommunalen Betrieben besser bezahlt würden. Eine Flucht mit Folgen: „Wenn ein OP nicht mehr sauber gehalten werden kann, kann nicht operiert werden“, erklärt Thyrêt. „Deshalb können die Rettungsstellen bestimme Notfälle nicht aufnehmen.“
Am Freitag hat sich auch die Gewerkschaft Verdi zu Wort gemeldet. Für die verhandelt Gisela Neunhöffer mit Vivantes über höhere Gehälter bei den Tochterfirmen, „seit Monaten“, wie sie sagt. „Die aktuell vorgenommene Eingruppierung der Geschäftsführung ist für viele Beschäftigte zu schlecht, sodass in anderen Unternehmen für die gleiche Tätigkeit besser bezahlt wird.“ Verdi hat am Freitag erneut einen Vorschlag unterbreitet, wie die Gehälter an die in anderen städtischen Unternehmen angepasst werden könnten.
„Leidtragende des Konflikts sind die Patienten“, sagt Betriebsrätin Thyrêt. Wartezeiten zwischen sechs und 48 Stunden seien nicht ungewöhnlich. In einer internen Mitteilung des Betriebsrates heißt es, die Pflegekräfte „die aufgrund der Unterfinanzierung diese maroden Zustände seit Jahren versuchen zu kompensieren, können nicht mehr“. Sie würden kündigen oder krankgeschrieben, „andere Verstöße gegen das Arbeitszeitgesetz sind die Folge“. Thyrêt sagt: „Wir bekommen von Mitarbeitern viele Gefährdungsanzeigen.“
Pflegekraft: Personal und Patienten baden Systemfehler aus
„Wenn in einer Schicht zu wenig Personal arbeitet, kann es schon mal passieren, dass da jemand mit einem Herzinfarkt kollabiert“, sagt eine Pflegekraft, die in einer Vivantes-Notaufnahme arbeitet und anonym bleiben möchte. „Patienten und Pflegekräfte baden tagtäglich einen Systemfehler aus.“ Behandlungen werden nach Fallpauschalen vergütet. Das führt in manchen Bereichen zu finanziellen Schieflagen, bei Rettungsstellen zum Beispiel.
„Nehmen wir an, ein Schlaganfall wird eingeliefert“, sagt die Mitarbeiterin der Notaufnahme. Zwei Pflegekräfte und ein Neurologe werden gerufen. Es beginne sofort eine umfassende Untersuchung, die schnell gehen müsse und einige Tausend Euro koste. „Die Rettungsstelle bekommt aber nur eine Pauschale von an die 100 Euro.“ Die Geschäftsführung von Vivantes habe dazu eine klare Meinung geäußert, berichtet die Frau. „Sie sagt, man stecke kein Geld in einen Bereich, der keinen Gewinn erwirtschaften würde.“
Betriebsrätin Thyrêt beklagt, es finde „überhaupt kein konstruktiver Austausch mit der Geschäftsführung statt“. Sie fordert: „Wir müssen schnellstmöglich über eine Lösung sprechen, wie die guten Tarifverträge, die wir ausgehandelt haben, nun auch umgesetzt werden können.“ Und da Vivantes dem Land Berlin gehört, schaltet der Betriebsrat die Politik ein, hat bereits mit Vertretern der SPD und Grünen gesprochen.
Vivantes widerspricht derweil der Arbeitnehmervertretung in mehreren Punkten. Wartezeiten von 48 Stunden schließe sie aus, teilte die Geschäftsführung auf Anfrage mit. „Es ist in Einzelfällen möglich, dass ein Akut-Patient nach Eintreffen in der Rettungsstelle direkt medizinisch versorgt wird, dann aber dort im Krankenbett warten muss, bis er auf einer regulären Station aufgenommen werden kann.“ Auch treffe der Vorwurf nicht zu, es seien teilweise nur drei von 13 Pflegekräften anwesend. „Diese Zahlen sind theoretische Plandaten, die nicht der Realität auf den Rettungsstellen entsprechen. Gefährdungsanzeigen werden selbstverständlich ernst genommen.“




