Berlin

Viele Ukraine-Flüchtlinge müssen Berlin verlassen: Immer mehr wehren sich

Flüchtlinge sollen ein Schöneberger Hotel räumen und auf andere Bundesländer umverteilt werden. Gemeinsam mit deutschen Ehrenamtlern kämpfen sie dagegen.

Flüchtlinge in Berlin
Flüchtlinge in BerlinBenjamin Pritzkuleit

Seit fünf Wochen kommen Tag für Tag Tausende ukrainische Kriegsflüchtlinge in Berlin an. Mit einem gewaltigen Kraftakt hat die Stadt bereits mehr als 25.000 Menschen temporär untergebracht. Langsam gehen die Zahlen der Schutzsuchenden zurück. Zuletzt blieben 5800 Notbetten unbelegt. Eine Reserveunterkunft für 500 Menschen im Terminal des alten Flughafens Schönefeld wurde bereits am Donnerstag geschlossen. Der ganz akute Druck lässt nach – und gibt den Blick frei auf die Frage, wo die Menschen mittel- und langfristig unterkommen können. Dabei gibt es immer wieder Streit zwischen privaten Hilfsinitiativen und politikgetriebenem Verwaltungshandeln. Hinter allem stehen die Fragen: Wer darf in Berlin bleiben? Und hat Engagement nicht einen Bleibebonus verdient?

Das City Hotel Ansbach an der Ansbacher Straße in Schöneberg ist ein Zwei-Sterne-Haus, das teilweise ganze Apartments mit bis zu sechs Betten vermietet. Das Berliner Landesamt für Flüchtlinge (LAF) hat Anfang März mit dem Hotel einen Mietvertrag ausgehandelt: So viele Apartments wie nötig werden für Flüchtlinge frei gehalten, alle anderen touristischen Buchungen wurden storniert. Damals mussten ganz schnell so viele Betten wie möglich organisiert werden. Zwischenzeitlich musste das Landesamt mehr als 10.000 Neuankömmlinge pro Tag unterbringen.

Seit 13. März leben knapp 120 Flüchtlinge aus der Ukraine im City Hotel. Vom ersten Tag an werden sie von einer Privatinitiative betreut und versorgt. Kleidung, Essen, Hygieneartikel – für alles ist gesorgt, teils sogar ohne Kostenübernahme durch das Amt. Ein gemeinsamer Zoobesuch wurde gespendet, ein Osterfest ist gebucht. Einige Flüchtlinge haben sich bereits beim Landeseinwohneramt angemeldet, für Kinder und Jugendliche wurden Schulplätze gefunden. Manche haben sogar schon einen Arbeitsplatz.

Flüchtlinge sollen ab Montag raus: „Sie werden sich vermutlich weigern“

Doch jetzt sollen die Flüchtlinge alle raus aus dem Hotel. Der Vertrag mit der Stadt läuft am Freitag aus. Ab Montag sollen die Menschen ausziehen. Jetzt schlägt die Initiative Alarm. „Alle Bewohner haben sich hier mittlerweile eingelebt und Freundschaften geschlossen“, heißt es in einem offenen Brief an das LAF, der der Berliner Zeitung vorliegt. „Die Familien, die hier Halt gefunden haben, sind nun wieder verunsichert und perspektivlos.“ Ergo: „Sie werden sich vermutlich weigern, das Hotel zu verlassen, sollten keine vernünftigen Umzugsangebote gemacht werden.“

Offener Brief von Anne Fiedler, Teil 1
Offener Brief von Anne Fiedler, Teil 1BLZ

Die Sachlage ist eigentlich klar: In Berlin darf bleiben, wer familiären Kontakt hat, nicht reisefähig ist, eines besonderen Schutzes bedarf oder einen Mietvertrag von mindestens sechs Monaten hat. Wer das nachweisen kann, kann sich für Berlin registrieren lassen und hat dann auch Anspruch auf soziale Leistungen, Zugang zum regulären Arbeitsmarkt oder etwa auch einen Kita- oder Schulplatz. Alle anderen müssen nach dem Willen des Senats die Stadt verlassen.

Offener Brief von Anne Fiedler, Teil 2
Offener Brief von Anne Fiedler, Teil 2BLZ

Das Verlassen der Stadt kann nur freiwillig geschehen

Allerdings kann dies nur freiwillig geschehen. Da der Status der Ukrainer noch nicht geklärt ist, erhalten sie umstandslos ein 90 Tage gültiges Touristenvisum. In dieser Zeit können sie sich frei in Deutschland bewegen. Niemand kann sie zwingen, irgendwo zu bleiben – oder fortzugehen.

Dennoch: Rein rechnerisch muss Berlin nach Königsteiner Schlüssel 5,2 Prozent aller in Deutschland Registrierten aufnehmen, der Rest soll je nach Größe des jeweiligen Bundeslandes verteilt werden. Bei der Quote wolle sich Berlin nicht kleinlich zeigen und sei bereit, mehr Menschen aufzunehmen, sagt Stefan Strauss, Sprecher der Senatssozialverwaltung. Aber eben nicht beliebig viele.

Offener Brief von Anne Fiedler, Teil 3
Offener Brief von Anne Fiedler, Teil 3BLZ

Größere Flüchtlingsgruppen stehen vor ungewisser Zukunft

Doch wer darf bleiben? Wer soll gehen? Und wie soll man auf dem angespannten Berliner Wohnungsmarkt eine Wohnung finden? Streit ist programmiert. Mit Ukrainern, bei denen Berlin als Hauptstadt des vergleichsweise reichen Deutschland vielfach als Wunschort für die Zuflucht gilt. Vor allem aber auch Streit mit den zahlreichen engagierten Helfern, die sich oft von der Verwaltung überfahren und nicht genug wertgeschätzt fühlen, wenn ihre ehrenamtliche Arbeit durch eine Entscheidung zunichtegemacht werden könnte. Derzeit gibt es in Berlin gleich mehrere größere ukrainische Flüchtlingsgruppen, die vor einer ungewissen Zukunft stehen.

Anfang der Woche legte sich der Lichtenberger CDU-Abgeordnete Danny Freymark mit der Sozialverwaltung an. Der Politiker versteht sich als Mentor für eine Gruppe von 120 Ukrainern, die bei einer evangelikalen freikirchlichen Gemeinde in dem Bezirk im Berliner Osten untergekommen sind. Nachdem die Menschen in dem Gemeindezentrum an der Allee der Kosmonauten zunächst auf Matratzen und Isomatten übernachteten, kamen sie zwischenzeitlich in einem Hostel an der Storkower Straße unter. Anfang der Woche lief der Mietvertrag, den das LAF mit dem Hostel geschlossen hatte, aus.

CDU-Politiker spricht von „unsozialem Senat“

Doch die Menschen weigerten sich, zum Berliner Ankunftszentrum im ehemaligen Flughafen Tegel zu fahren. Sie fürchteten, getrennt zu werden. Der Abgeordnete Freymark sprach von einem „unsozialen Senat“. Damit brachte der Christdemokrat besonders die Sozialverwaltung von Senatorin Katja Kipping (Linke) gegen sich auf. Mittlerweile deutet sich jedoch eine Lösung an. Die Sozialgenossenschaft Karuna, die bereits in der Flüchtlingskrise 2015/16 aktiv war, sucht nach Privatunterkünften. Dabei sollen auch Angebote des Wohnungsportals Airbnb genutzt werden.

Via Twitter bittet Robert Schaddach, SPD-Abgeordneter aus Treptow-Köpenick, Vermieter um Wohnungen für 130 Ukrainer. Sie müssen das Hotel „Das Schmöckwitz“ verlassen, in dem sie zwischenzeitlich untergekommen waren. Und dann ist da noch die Gruppe der 180 Gehörlosen. Ein Teil übernachtet im Jugendgästehaus der Stadtmission an der Lehrter Straße, ein anderer Teil ist in einem Hotel an der Albrechtstraße in Mitte untergekommen. Doch jetzt müssen sie raus.

„Es gibt ein freiwilliges Angebot des Gehörlosenverbandes Köln. Die Gruppe kann geschlossen nach Köln fahren“, sagt Kippings Sprecher Strauss. Jetzt müssen sie nur noch wollen.

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