Pünktlich zum Start der Kältehilfe für obdachlose Menschen in Berlin haben die Wohlfahrtsverbände Caritas und Berliner Stadtmission den Senat und die Bundesregierung scharf kritisiert. Die Caritas hat die Bundesregierung aufgefordert, sich der zunehmenden Wohnungs- und Obdachlosigkeit in Deutschland anzunehmen. Dazu müsse es einen Gipfel gegen Wohnungslosigkeit im Kanzleramt geben, sagte die Berliner Caritasdirektorin Ulrike Kostka. „Bund, Länder und Kommunen müssen das Problem gemeinsam anpacken.“
Die Wohnungsnot in Deutschland nehme von Woche zu Woche zu und werde im kommenden Jahr rund 500.000 Menschen betreffen, sagte Kostka. Menschen, die sich um bezahlbaren Wohnraum sorgen müssen oder gar ihre Wohnung verlieren, würden von der Politik „links liegen gelassen“. Dabei gehe es um elementare Grundbedürfnisse und die Menschenwürde. „Hier bahnen sich Konflikte mit sozialem Sprengstoff an“, sagte die Caritas-Direktorin.
In diesem Jahr bietet die Senatssozialverwaltung insgesamt 1000 Übernachtungsplätze für obdachlose Menschen in Einrichtungen der Caritas, der Diakonie und des Deutschen Roten Kreuzes an. Der Senat zahlt 17 Euro für einen Schlafplatz. In Berlin gibt es nach Schätzungen der Wohlfahrtsverbände etwa 40.000 wohnungslose Menschen. Davon leben zwischen 4000 und 6000 Obdachlose auf der Straße. Um ihnen im Winter ein Dach über dem Kopf zu bieten und sie vor dem Erfrieren zu bewahren, öffnen bis Ende März Notübernachtungen und Nachtcafés.
1000 Schlafplätze
Mit 1000 Schlafplätzen in diesem Winter hat der Senat erstmals so viele Notübernachtungen eingerichtet wie noch nie zuvor in der langjährigen Geschichte der Kältehilfe. Dazu kommen wie gewohnt Kältebusse und erstmals auch nachts ein Kältezelt nah am Alexanderplatz, auf dem Gelände vom leerstehenden Haus der Statistik. Der Senat plant zudem, drei ehemalige Flüchtlingsunterkünfte in Notübernachtungen umzuwandeln, dazu gehört auch Hangar 4 auf dem Gelände des früheren Flughafens Tempelhof.
Erstmals können sich Bedürftige in diesem Winter mit einer kostenlosen Kältehilfe-App auf ihrem Handy über freie Plätze informieren. Denn mittlerweile haben auch viele Obdachlose ein Handy.
Vor zehn Jahren gab es noch 338 Plätze der Kältehilfe, im vergangenen Winter knapp 800 Plätze. Nun also 1000. So könne es aber nicht weitergehen, sagte die Direktorin der Diakonie Berlin-Brandenburg, Barbara Eschen. „1000 Plätze helfen nicht, sie schützen nur vor Frost und Kälte. So war die Kältehilfe nicht gedacht“, sagte sie. Gegründet wurde die Berliner Kältehilfe 1989 als „reine Überlebenshilfe“ für Menschen abseits des regulären Hilfesystems. „Kältehilfe ist nur ein Übergang, keine dauerhafte Hilfe.“ Schlafplätze sollen verhindern, dass Menschen draußen erfrieren.
„Kältehilfe-Koma“
Die Diakonie-Direktorin betont, dass reguläre Hilfsangebote für Obdachlose fehlen. „Das Hilfesystem krankt“, sagte Barbara Eschen. Es fehlen Plätze in Notübernachtungen und Wohnungen, stattdessen zahlen die Bezirke Obdachlosen die Kosten für Hostels und Pensionen. Das sei nicht nur unglaublich teuer, die Unterbringung sei zudem unzureichend, denn es fehle die soziale Betreuung und Beratung. „Wir brauchen Wohnungen statt Unterkünfte“, sagte sie.
Caritas-Direktorin Ulrike Kostka ergänzte: „Die Kältehilfe ist nur ein Notsystem. Die eigentlichen Probleme werden nicht angepackt.“ Sie fordert vom Senat ein Strategieforum für die ganze Stadt, weg von der reinen Zuständigkeit der Bezirke. Es geht um Ziele, Verantwortlichkeiten und eine ausreichende Finanzierung von Sozialarbeitern und Ärzten.
Mit dem Beginn der Winterhilfe für Obdachlose drohe ein „Kältehilfe-Koma“, so Kostka. Für fünf Monate sind Obdachlose, wenn sie es wollen, mit Suppe und Schlafplatz versorgt und somit aus dem Straßenbild verschwunden. Aber danach müssten sie wieder auf der Straße leben.