Es gibt Orte in Berlin, da hat man den Eindruck, sie ducken sich absichtlich an die Ränder der Wälder dieser Stadt. Sie wollen nicht gefunden werden. Sie wollen nicht überrollt werden von den donnernden Lawinen des Straßenverkehrs, entziehen sich den flüchtigen Blicken der Touristen, die in der Großstadt nach Zerstreuung suchen. Hier spielt sich das Berliner Leben ab, gleichförmig wie ein Strom. Oft ist der Wechsel der Jahreszeiten die einzige Veränderung, die diese Orte erleben.
Manchmal allerdings geschehen Dinge, mit denen keiner gerechnet hat. Da ist es plötzlich vorbei mit der Zeitlosigkeit. Dann will die stets nach Neuigkeiten lechzende Öffentlichkeit mit einem Mal wissen, was es mit einem solchen Ort auf sich hat. Wie konnte das geschehen – eine Sensation! Es muss nicht immer eine Löwin sein. Auch andere Schlagzeilen elektrisieren: „Erstmals hat ein jüdischer Verein den Einzug in den DFB-Pokal geschafft“, schrieben die Zeitungen kürzlich aufgeregt. Seither geben sich beim Turn- und Sportverein TuS Makkabi am Rande des Grunewalds Reporter und Kamerateams aus ganz Deutschland die Klinke in die Hand.
Das Gelände des TuS Makkabi zu finden, ist unweigerlich eine Reise durch die Geschichte der Stadt. Vor dem Bahnhof Grunewald teilt sich die Straße. Auf einem Wegweiser steht „Parkplatz Gleis 17“. Vom Gleis 17 deportierte die Deutsche Reichsbahn zwischen 1941 und 1945 Zehntausende Juden in die Todeslager im Osten. Auf einem kleinen Schild auf einer anderen Straße steht: „Zu den Sportstätten“. Man kann sich leicht verfahren. Radfahrer auf einem Waldweg schütteln den Kopf. Sie wissen: Die Straße führt ins Nichts. An der Hans-Rosenthal-Sportstätte erklärt ein älterer Herr, nein, hier sei nicht Makkabi, links zurück und wieder links, dann sei man richtig.

„Clubhaus Makkabi Berlin“ steht auf einem dunkelblauen Schild. Der jüdische Verein teilt sich das Gelände mit Tennis Borussia und dem Sport-Club Charlottenburg. Das Gelände ist nach Julius Hirsch benannt, einem jüdischen Fußballspieler, der vor der Nazizeit in der deutschen Nationalmannschaft spielte.
Der Himmel ist mit grauen Regenwolken verhangen, doch immer wieder bricht die Sonne durch. Das Fußballfeld liegt einbettet in den Wald. „Kürzlich waren die Wildschweine auf dem Spielfeld und haben es ordentlich durchgepflügt, aber jetzt ist der Rasen wieder neu“, sagt Ilja Gop, der Manager des Vereins.
Gop stammt aus Odessa, er kam zur Zeit der Sowjetunion nach Berlin. Im Hauptberuf ist er Immobilien-Entwickler und Asset-Manager. Er kümmert sich jedoch in jeder freien Minute um den Verein. Bei einem normalen Spiel kommen vielleicht 100 Zuseher. Am Sonntag in einer Woche werden es Tausende sein, denn der TuS Makkabi trifft auf den VfL Wolfsburg. Die Möglichkeit des Kräftemessens mit einem Erstligisten ist ein Meilenstein für den Verein. Geschichte geschrieben habe man damit aber nicht, sagt Gop und lächelt: „Nach 1700 Jahren Judentum in Deutschland wurde es auch Zeit.“
Trotzdem stellt das Spiel die Verantwortlichen des Vereins vor eine große Herausforderung. Denn das Stadion im Grunewald ist zu klein. Der TV-Sender Sky kommt mit zwei großen Übertragungswagen, die gar nicht auf das Gelände hätten fahren können. Gop sagt, man könne das Spiel überhaupt nur durchführen, weil Wolfsburg bei der Organisation helfe: „Wir hätten das logistisch nicht bewältigen können. Wolfsburg hat das gesehen, und sie haben sich der Aufgabe angenommen. Wir haben eine Achse des Guten mit Wolfsburg. Gegner sind wir nur während der 90 Minuten, vielleicht 120 Minuten des Spiels.“
Die partnerschaftliche Art entspricht der Philosophie des Vereins: Er ist zwar ein jüdischer Sportverein, jedoch offen für alle. In sechs Abteilungen betätigen sich 600 Mitglieder sportlich – neben Fußball sind das Rhythmische Gymnastik, Basketball, Schach, Tischtennis, Sportschießen und bald auch wieder Tennis und Boxen. Der Verein wurde vor hundert Jahren gegründet, weil sich „jüdische Menschen nicht so wohl gefühlt haben in deutschen Vereinen“. Die Nazis hätten den Antisemitismus ja nicht erfunden, sagt Gop. Nach der Machtübernahme wurden jüdische Vereine jedoch „zur bitteren Notwendigkeit, damit Juden überhaupt Sport treiben konnten, bevor es dann ganz dunkel wurde“.
Makkabi ist der Nachfolgeverein von Bar Kochba Berlin, einem Verein, der in seiner Hochzeit 40.000 Mitglieder aus 24 Ländern zählte. Nach der Reichspogromnacht 1938 wurden alle jüdischen Vereine verboten. Eine Dokumentation der Gedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem zeigt Bilder von den Wettkämpfen aus der Blütezeit im Grunewald: auf Holzbrettern boxende Sportler, Läuferinnen auf sehr sandigen Bahnen, Kugelstoßer auf provisorischen Eisenringen. Bei vielen Bildern sind die Schicksale vermerkt. Über einen Leichtathleten lesen wir: „Rolf Helmut Werthen wurde 1909 in Berlin geboren. Er war Athlet und Sporttrainer im Verein Bar-Kochba. Im April 1935 nahm er an der Makkabia in Eretz Israel (Britisches Mandatspalästina) teil und trat im 1500-Meter- und 10.000-Meter-Lauf an. Werthen war ledig. Laut dem von seinem Cousin Dr. Hans Eiling zu seinem Andenken eingereichten Gedenkblatt wurde Werther vermutlich während des Aufstands im Warschauer Ghetto zusammen mit seinen Eltern Ignatz und Helena ermordet.“ 1970 wurde der Verein als Makkabi neu gegründet.
Das Fußballteam von TuS Makkabi ist heute ein Multikulti-Team mit drei jüdischen Spielern, mit Muslimen und Christen. Die Mannschaft besteht aus Spielern aus 15 Nationen. Bald könnte das Team durch zwei Spieler aus Israel verstärkt werden, die jetzt in der zweiten Mannschaft auf ihren Einsatz vorbereitet werden.
Bei den Spielen der ersten Mannschaft sei Antisemitismus nur selten ein Thema, sagt Gop: „Wo immer wir hinkommen, werden wir freundlich empfangen und auch freundlich verabschiedet.“ Allerdings komme es vor allem bei Jugend-Spielen „schon öfter“ zu Zwischenfällen. Deutsche Rechtsextreme seien dabei bisher nicht in Erscheinung getreten, „denn die haben in Berlin nicht viel mit dem Jugendsport zu tun“. Manchmal sei jedoch bei den Jugendlichen „der Nahost-Konflikt präsent“, sagt Ilja Gop. „Da kommen die Probleme, die wir in der Gesellschaft haben, mehr zum Tragen.“
Der Makkabi-Manager sieht das Thema jedoch differenziert. Er erzählt, dass einmal während eines Spiels der ersten Mannschaft ein türkischer Makkabi-Spieler vom Platz gerannt sei, um seinem Vater auf der Tribüne zu helfen. Dieser war von Besuchern attackiert worden, weil sein Sohn mit Juden in einer Mannschaft spiele. Gop sagt: „Ich halte es mit Alan Dershowitz: Das beste Mittel gegen Antisemitismus sind Juden.“
TuS Makkabi möchte auch eine integrative Rolle in der jüdischen Bevölkerung spielen. Zum Spiel gegen Wolfsburg werden sich auf der Tribüne Vertreter des Zentralrats der Juden und der Jüdischen Gemeinde zu Berlin treffen, die sich derzeit wegen der Neuwahl in der Gemeinde einen veritablen Machtkampf liefen. Gop sagt: „Wir wollen eine gemeinsame Basis schaffen, weil Sport integrativ ist, auch für Menschen, die nie in eine Synagoge gehen.“
Diese Bemühungen werden auch vom World Jewish Congress gewürdigt. Bella Zchwiraschwili, die Leiterin der „WeRemember“-Kampagne in Deutschland, wird auch zum Spiel gegen Wolfsburg kommen. Sie sagt, der Erfolg von TuS Makkabi Berlin sei „über die Grenzen Deutschlands hinaus von der jüdischen Gemeinschaft gefeiert worden“. Und ergänzt: „Die Beliebtheit, Sichtbarkeit und der Erfolg von jüdischen Sportvereinen symbolisiert das wachsende etablierte jüdische Leben in der Welt.“
Der sportliche Erfolg der ersten Herrenmannschaft ist maßgeblich auf den Trainer zurückzuführen. Wolfgang Sandhowe, ein anerkannter und erfahrener Fachmann, war 2019 zu TuS Makkabi gekommen. Ilja Gop erzählt: „Er stand eines Tages bei Isaak Koblenz, der die Mannschaft seit dreißig Jahren sportlich führte und viele Jahre auch allein finanzierte, und hat gesagt, ich möchte euch helfen.“
Sandhowe sitzt in einem kleinen Büro im Umkleideraum und winkt ab: „Es geht nur als Team.“ Vor ihm liegt ein Zettel mit taktischen Varianten. Vor einem Tor ist alles schwarz bekritzelt, man weiß nicht, wollen die nur verteidigen oder nur angreifen? Auf einem Pappkarton, mit dem normalerweise Würstchen serviert werden, stehen die Namen der Spieler. Neben Sandhowe liegt eine Mappe, auf der steht „CoachBook Fußball“.
Er freut sich auf Wolfsburg, weil er schon mit Robert Kovac gearbeitet hat, dem Bruder des Wolfsburger Trainers. Sandhowe schwärmt von seinem Lieblingsverein, ja, damit könne man ihn zitieren: „Mein Herz schlägt für Union Berlin, die haben mit ganz wenig Geld sehr viel gemacht. Eine Familie – so soll es sein.“
