Berlin-In „fieberhafter Eile“ begann im Oktober 1934 der Aufbau der Berliner Produktion todbringender Waffen für den Luftkrieg. Mit „Riesenschritten“ ging der „Aufbau ohnegleichen“ voran. Die nationalsozialistische Propaganda freute sich, „ein Werk von der Größe einer Kleinstadt“ sei im Entstehen.
Auf Rübenäckern und Kornfeldern von Schönefeld, 18 Kilometer südöstlich von Berlin, erhob sich „aus dem Nichts“, von starker Hand bewirkt, „das modernste, nach neuen Gesichtspunkten aufgebaute Flugzeugwerk“. So prahlt ein zeitgenössischer Baubericht.
Die Henschel Flugzeug-Werke mit Flugplatz entstanden als „Musterbeispiel neuzeitlichen Industriebaus“, als eines der modernsten Unternehmen der Welt in einer völlig neuen Industriebranche mit nie gesehenen Maschinen und immer neuer Technologie – eine ganze Serie von Superlative betonte das Moderne, den rasanten Fortschritt.
Geheimaktion Flugzeugbau
Nazideutschland wollte Flugzeuge, viele, schnelle Flugzeuge. Dass ihre massenhafte Herstellung der Vorbereitung eines Angriffskrieges diente, musste zunächst geheim bleiben. Der Versailler Vertrag untersagte Deutschland den Aufbau von Luftstreitkräften; doch das Reichsluftfahrtministerium stieg unter dem Machtmenschen Hermann Göring zu einem der wichtigsten Ressorts der NS-Regierung auf. Als die Luftwaffe offiziell am 1. März 1935 gegründet wurde, stand die Flugzeugproduktion in Schönefeld kurz vor ihrem Start. Am 5. Mai ging es los.
Baubeginn für die Verwaltungsgebäude war am 15. Oktober 1934 gewesen. Um den bockigen Großgrundbesitzer Karl Wrede enteignen zu können, hatten Hitler und Göring höchstselbst eine „Zulässigkeitserklärung“ unterzeichnet. Als am 31. Juni 1935 der Kaufvertrag mit dem Kasseler Unternehmen Oscar R. Henschel unterschrieben wurde, kamen schon Flugzeuge aus dem Werk. Elon Musks Gigafactory hat hier einen Vorläufer.

Die Flugzeuge kamen zum Einsatz, als die deutsche Luftwaffe im Spanischen Bürgerkrieg 1936 bis 1939 ihre „Feuertaufe“ erlebte. Henschels Sturzkampfbomber vom Typ Hs 123 griffen Barcelona und Madrid an; sie waren dabei, als Guernica in Schutt und Asche fiel. Die Propaganda erhob die Stukas in Kultstatus. Deutschland feierte die Fliegerhelden der Legion Condor.
Henschel-Flugzeuge aus Schönefeld bombardierten in den frühen Morgenstunden des 1. September 1939, noch vor dem eigentlichen Überfall auf Polen, das polnische Städtchen Wielun. An just diesem Tag des Kriegsbeginns wurden die Henschel-Werke als fertiggestellt gefeiert. Später zerstörten die Maschinen aus Schönefeld auch noch Rotterdam, Coventry, Belgrad, Stalingrad und so fort. Bevor der Luftkrieg mit 310 alliierten Angriffen nach Berlin zurückkehrte und 45.517 Tonnen Bomben im Stadtgebiet hinterließ, waren von hier aus Tod und Zerstörung in viele Teile Europas getragen worden.
Wer weiß das heute noch? Kaum jemand außerhalb von Fachkreisen kennt die Geschichte des Geländes, auf dem heute, in den mit rotem Backstein markant verklinkerten Gebäuden der Henschel-Werke die Verwaltung, die Feuerwehr, die Kantine des neuen Flughafens Berlin-Brandenburg arbeiten? Engelbert Lütke Daldrup, seinerzeit BER-Geschäftsführer, erkannte, wie wichtig es ist, die Vorgeschichte nicht in Vergessenheit geraten zu lassen.

Auf seine Veranlassung hin entstand das Buch „Der erste Flugplatz in Schönefeld. Im Dienst des nationalsozialistischen Krieges“. Eine Abbildung von Henschel-Stukas – „Sturzbomber im Angriff auf rotspanischen Kriegshafen“ – nimmt die Hälfte des Covers ein. Ein klares Bekenntnis: Bloß keine Verdrängung des „Bösen“. Zunächst war das Buch in 500 Exemplaren für die BER-Mitarbeiter erschienen. Nun liegt es in sehr gelungener Aufmachung herausgegeben vom Verlag Wasmuth & Zohlen der Öffentlichkeit vor.
Rüstungslandschaft Berlin
Und die bekommt ein Exempel von anschaulicher, kompakter, gründlich recherchierter und auf den Kern gebrachter Geschichtswissenschaft. Harald Bodenschatz, Christoph Bernhardt, Stefanie Brünenberg und Andreas Butter bringen historische, soziologische und architekturwissenschaftliche Kompetenzen ein und vergessen das große Publikum nicht. Es gelingt, Bild und Text zu einer Einheit zu verbinden, ergänzt mit Karten und Grafiken.
Bisher nur verstreut auffindbare Informationen haben sie zusammengetragen – über das Schönefeld-Gelände mit seinen zeitweise 13.000 Arbeitskräften, über die hier zu Tausenden gebauten Sturzkampfbomber, Gleitbomben und die anderen Waffensysteme. Die Autorengruppe zeigt auf, wie sich die rund um Berlin – in Oranienburg, Ludwigsfelde, Rangsdorf, Genshagen und so fort – aus dem Boden gestampften Werke zu einem der größten Ballungsgebiete der Luftwaffenrüstung weltweit fügten.

Autoren: Harald Bodenschatz, Christoph Bernhardt, Stefanie Brünenberg, Andreas Butter
Verlag & Preis: Wasmuth & Zohlen Verlag 2022, 112 Seiten, 68 Abbildungen, 19,80 Euro
Die Autoren und die Autorin haben die moderne nationalsozialistische Architektur der Verwaltungsgebäude („schlicht und klar“), der Werkshallen („sachlich und modern“) und der Sozialgebäude („traditionell und landschaftsgebunden“) in aller Nüchternheit betrachtet. Und sie vergaßen auch den einst in der Eingangshalle des Verwaltungsgebäudes prangenden Spruch Adolf Hitlers von 1937 nicht: „Der wahre Sozialismus aber ist die Lehre von der härtesten Pflichterfüllung“.
In ganzer Schärfe zeigt sich das Gegenstück des für Arier gedachten Sozialismus in der gedeihenden Volksgemeinschaft: das immer weiter, von Lager I bis VI, expandierende System der Zwangsarbeit. Zunächst hatten die Henschel-Werke auf qualifizierte, einheimische Fachkräfte gesetzt und auch eine groß dimensionierte Lehrwerkstatt eingerichtet.
Doch unter dem Druck zur Produktionssteigerung und infolge der Arbeitskräfteverluste im Krieg kamen erst Fremdarbeiter, dann Zwangsarbeiter, Kriegsgefangene und schließlich KZ-Insassen – viele Tausend Frauen und Männer – zur Arbeit an den Fließbändern, bis zu zwölf Stunden am Tag. Die Barackenlager standen am Rand des Geländes. Vermutlich belief sich die Zahl der Zwangsarbeiter 1942/43 auf etwa 5000 Menschen. Hunger, Arbeit und Erschöpfung führten zu zahlreichen „Abgängen“.

Auch neue Erkenntnisse haben die Recherchen für das Buch erbracht. So wurden bis dahin unbeachtete Reste von Zwangsarbeiterbaracken im ehemaligen Todesstreifen entdeckt. Brisanter wird es im Falle eines deutschen Technik-Heroen: Computerpionier Konrad Zuse arbeitete in den Henschel-Werken ab März 1940 bis 1944 in der Entwicklungsabteilung für ferngesteuerte Flugbomben.
Konrad Zuse im Dienste der Rüstung
Im Buch heißt es: „Von besonderer Bedeutung war der von ihm in Schönefeld 1942/43 entwickelte Rechner S1, der u.a. zur Optimierung der ferngelenkten Gleitbombe HS 293 zur Flügelvermessung bei der Fertigungskontrolle und Justierung eingesetzt wurde.“ Der NS-Staat förderte die Entwicklung der berühmten Zuse-Rechner Z3 und Z4 und Zuse selbst aufs Großzügigste.


