Berlin-Am Dienstagabend fährt Ilona Abrosimova in einem großen weißen Transporter quer durch Berlin. Ihr Bruder sitzt am Steuer, sie hat ihr Handy immer im Blick. Von diesem Handy aus hat sie am Montag eine Spendenaktion für die Ukraine, ihr Heimatland, gestartet, es ist kaum mehr als 24 Stunden her. Nun stapeln sich die Kisten hinten im Transporter, auf ihrem Konto sind schon mehr 1700 Euro eingegangen, zum Teil von Menschen, die sie gar nicht kennt, und Ilona Abrosimova denkt über Begriffe wie „grüner Korridor“ nach. Hilfsorganisationen, hat sie gehört, sollen von Polen oder Rumänien vergleichsweise unkompliziert in die Ukraine fahren und das Land nach einer Lieferung wieder verlassen können.
Sie ist aber keine Hilfsorganisation, bisher. Sie ist 26 Jahre alt, kam vor sieben Jahren nach Berlin, um hier Jura zu studieren, sie jobbt in einer Anwaltskanzlei am Potsdamer Platz. Dort habe sie am Montag gesessen, sich nicht auf die Arbeit konzentrieren können, nach den Demos am Wochenende, nach Nächten, in denen sie nicht geschlafen und Tagen, an denen sie nur geweint habe. Ihre Eltern leben in Kamjanez-Podilskyj, im Westen der Ukraine, auch die Großeltern. Sie wollen dort bleiben, auch, weil die Großeltern zu alt seien, um sich dem Flüchtlingszug über die Grenzen anzuschließen, sagt sie. Sie zeigt ein Video: In einem Keller räumen Menschen Schutt beiseite, am Rand ist eine Pritsche aufgebaut, auf der Decken liegen. Der Bunker im Haus ihrer Eltern sei das.
Sind Sach- oder Geldspenden besser?
Kamjanez-Podilskyj ist schon voller Flüchtlinge, berichten ihr die Eltern und Freunde. Die Menschen müssen versorgt werden. Es ist nachts ziemlich kalt. Gleichzeitig wollen sich die Bürger der Stadt auf den Ernstfall vorbereiten, ihre Selbstverteidigung organisieren. Sie bekomme viele Nachrichten aus der Heimat, sagt Ilona Abrosimova, in denen steht, was vor Ort fehlt, was gebraucht wird. Und sie bekomme viele Nachrichten von Freunden aus Berlin, aus anderen Ländern, von Kollegen, die wissen wollen, wie sie helfen, was sie tun können für die Ukraine.
Sie ist nicht die Einzige, die gerade versucht, beide Seiten in einer privaten Sammelaktion zu verbinden. Kleine Vereine, Kitas, Wissenschaftler haben Aufrufe gestartet, Transporter beladen, sind losgefahren, auf eigene Faust. Ist das wirklich sinnvoll? Oder sollte man das Helfen nicht großen Organisationen überlassen, lieber Geld geben als Winterjacken aus dem eigenen Schrank? In den sozialen Medien ist diese Diskussion entbrannt. Große Organisationen können zielgerichtet Hilfsgüter beschaffen, am besten in den Nachbarländern, dort die Wirtschaft stützen. Aber andererseits erreichen diese Organisationen nicht jeden Ort. Und lässt sich wirklich alles, was jetzt gebraucht wird, in Rumänien oder Polen kaufen?
Es gibt humanitäre Hilfe für Kiew und Charkiw, zum Glück, sagt Ilona Abrosimova. Sie hat viele Freunde, die in den beiden schwer angegriffenen Großstädten leben. Ein Kindheitsfreund arbeite jetzt in einem Kiewer Krankenhaus. „Aber man muss auch an die kleinen Städte denken.“ Sie hat eine Liste mit den Dingen erstellt, die dort gebraucht werden: Schlafsäcke, Rucksäcke, Thermounterwäsche, Taschenlampen, Powerbanks, Medikamente wie Ibuprofen oder Paracetamol, Verbandsmaterial. Diese Liste hat sie in der Kanzlei verschickt und auf ihrem Instagram-Account gepostet. Sie hat Sammelstellen in der halben Stadt improvisiert, bei Freunden, ihr Bruder, der seit fünf Jahren auch in Berlin lebt und bei einer Baufirma arbeitet, hat einen Lagerraum in Ahrensfelde organisiert, sie wisse auch nicht genau, über wen eigentlich.
Schutzausrüstung für einen Checkpoint
„Wir haben schon viele Schlafsäcke, Isomatten, auch warme Kleidung für Kinder“, sagt sie am Dienstagabend. Sie erzählt von Geldspenden, ein Bekannter aus Indien, den sie bei einem Festival in den USA kennengelernt habe, habe ihr etwas überwiesen, eine ukrainische Freundin, die in Norwegen lebt, dort gesammelt. Sie sagt, dass auch ihre russischen Freunde in Berlin sie unterstützen, mit Geldspenden, auf den Demos, „und sie sagen ihren Eltern in Russland, dass sie keine Nachrichten im Staatsfernsehen schauen sollen“.
Von dem Geld will Ilona Abrosimova kaufen, was kaum ein Berliner zu Hause haben dürfte: militärische Schutzkleidung, Schutzwesten, Helme, und, wenn es irgendwie geht, eine Wärmebildkamera. Es gebe einen Checkpoint in ihrer Gegend, an dem sich 15 Männer und zwei Frauen auf die Verteidigung der Heimat vorbereiten. Sie will diese „17 Helden“, wie sie sie nennt, unbedingt ausstatten.


