Der iranische Musiker Shahin Najafi sagt, er fühle sich Salman Rushdie „tief verbunden“. Wie der weltberühmte Schriftsteller weiß Najafi, was es bedeutet, mit einer Fatwa bedroht zu werden. Nach einem ironischen Lied über einen Iman erklärte ein Ajatollah ihn im Mai 2012 für vogelfrei, es wurde ein Kopfgeld auf seine Ermordung ausgesetzt. Zwischenzeitlich tauchte Najafi – wie auch Rushdie – bei dem Investigativjournalisten Günter Wallraff in Köln unter. Inzwischen lebt er mit seiner Frau in Kalifornien – und fühlt sich endlich wieder frei.
Berliner Zeitung: Her Najafi, was ist Ihnen durch den Kopf gegangen, als Sie von dem Anschlag auf Salman Rushdie gehört haben?
Shahin Najafi: Ich habe mich gefragt: Wie konnte das passieren? War er nicht gut genug geschützt? Welche Sicherheitsmaßnahmen gab es bei der Veranstaltung? Ich konnte es nicht glauben. Ähnlich wie bei mir schien sich die Situation für ihn ja längst beruhigt zu haben – auch wenn er als weltbekannter Autor natürlich viel gefährdeter ist als ich.
Haben Sie sich durch das Attentat auch bedroht gefühlt?
Eigentlich nicht – ich lebe inzwischen wieder fast ohne Sicherheitsmaßnahmen. Aber natürlich macht mich diese schreckliche Tat vorsichtiger. Es gab nach dem Anschlag iranische Twitter-Nachrichten, in denen es hieß: Shahin Najafi, du bist der Nächste. Der Anschlag war ein Sieg für die Radikalen – aber zum Glück lebt Rushdie. Ich habe in den Tagen danach viele besorgte Anrufe bekommen. Es war aber sehr harmlos im Vergleich zu dem, was nach 2012 passierte.
Damals sind Sie zwischenzeitlich bei Günter Wallraff untergetaucht, haben mit einer Maskenbildnerin Ihre Identität verändert, Konzerte wurden abgesagt oder fanden nur unter massiven Sicherheitsvorkehrungen statt. Als wir uns kennenlernten, wirkten Sie gehetzt und traumatisiert.
Ich hatte über mehrere Jahre massive Albträume, immer wieder ging es darum, dass man mich verfolgt und ermordet. Mit so einer Fatwa oder anderen Bedrohungen wollen die Islamisten Regimekritiker einschüchtern, sie wollen einem Angst machen und einen dazu bringen, dass wir uns selbst zensieren: Angepasste Kunst ist aber keine gute Kunst. Mich haben die Bedrohungen wütend gemacht – ich habe mir gesagt: Jetzt erst recht. Ich sage kein Wort weniger. Die Kunst ist frei. Wer keine Satire versteht, ist engstirnig und dumm.

Uli Kreikebaum lernte Najafi kennen, als er in Köln bei Günter Wallraff lebte. Nach einem Gespräch mit dem israelischen Musiker Aviv Geffen machte er Geffen und Najafi miteinander bekannt. Geffen lud Najafi zu einem großen Konzert nach Tel Aviv ein. Der Autor begleitete Najafi dorthin.
Das muss anstrengend gewesen sein: Viele Konzerte konnten nicht stattfinden, weil den Veranstaltern die Lage zu heikel war. Und jede Woche gab es neue Bedrohungen. Sie waren in ständigem Kontakt mit Sicherheitsbehörden.
Das Problem ist: Ich bin Musiker, ich muss auftreten. Ich kann nicht irgendwo meine Bücher schreiben und niemand weiß, wo ich bin. Ich lebe von der Öffentlichkeit. Und natürlich hatte ich Ängste, die ich nicht zu groß werden lassen durfte. Sie sollten mich nicht kaputt machen. Ich wusste: Sie wollen dich zerstören, das darf nicht passieren.
Ihr Fall ging international durch die Medien. Auch über Auftritte wie den mit dem israelischen Popstar Aviv Geffen in Tel Aviv berichtete die Presse. Wie war das, aufgrund einer Fatwa im Fokus der Öffentlichkeit zu stehen?
Im Iran hatte ich ja auch vor der Fatwa schon ein großes Publikum. Für die Jugend dort hatte ich eine Vorbildfunktion, weil ich meine Musik nicht als Unterhaltung begriffen habe, sondern als Möglichkeit, Missstände anzuprangern – als Revolution. Und dass die Öffentlichkeit über Fatwas wie gegen Rushdie oder gegen mich intensiv berichtet, ist ja gut und wichtig: Öffentlichkeit bedeutet ja auch Schutz.
Haben sich Ihre Texte mit den Jahren verändert – sind Sie zahmer geworden?
Ich schreibe nicht mehr so provokant wie als junger Mensch. Aber ich würde mir heute so wenig wie damals auch nur ein Wort verbieten lassen. Ich stehe weiter für die Freiheit des Wortes und der Kunst ein, für Gleichberechtigung und Demokratie.
Die Debatte um Rushdies „Satanische Verse“ hat damals die kulturelle Debatte um die Grenzen von Kunstfreiheit geprägt. Auch nach der Veröffentlichung Ihres Liedes und der Fatwa gegen Sie wurde gefragt: Darf man über Religion spotten? Wo liegt die Grenze?
Ich habe mich gewundert, dass das in Deutschland, im Land der Dichter und Denker, überhaupt ein Thema ist: Für mich sind die Grenzen von Kunstfreiheit sehr weit – und ich denke, das sollten sie in jeder guten Demokratie sein. Die USA sind sicher kein Paradies – aber mir gefällt hier, dass dem Staat die Verteidigung der Freiheit sehr wichtig ist. Die „Satanischen Verse“ sind ein wunderbares Buch, das zur Aufklärung beiträgt. Wer Spott und Satire nicht versteht, ist selber schuld – und darf deswegen keine Menschen bedrohen oder angreifen.
Haben Sie das Schmähgedicht des deutschen Entertainers Jan Böhmermann gegen den türkischen Präsidenten Erdogan mitbekommen?
Am Rande, ja. Erdogan ist ein Autokrat, ein Diktator. Warum sollte man sich nicht über ihn lustig machen?
Fühlen Sie sich selbst wieder ganz frei, obwohl die Fatwa gegen Sie nie aufgehoben wurde?
