Berlin-Ein Boulevard ohne Autos. Mit dem Kraftfahrzeug die Linden entlang fahren – das wird künftig nicht mehr erlaubt sein. Am Montag stellte Verkehrssenatorin Regine Günther Pläne vor, nach denen die Berliner Prachtstraße zwischen dem wieder aufgebauten Schloss und dem Pariser Platz vom motorisierten Individualverkehr befreit wird. „Es handelt sich um ein eminent wichtiges Projekt“, sagte die Grünen-Politikerin. „Wir wollen das Grün stärken, Fläche entsiegeln. Unter den Linden soll ein attraktiver Stadtraum werden, vor allem für die Zu-Fuß-Gehenden.“ Allerdings müssen das Landesdenkmalamt und der Bund mitspielen - Unter den Linden ist eine Bundesstraße. „Wenn der Bund nicht mitzieht, haben wir ein Problem“, so Günther.
So kann man es auch formulieren: „Die Straße ist müde“, sagte Lutz Adam, der in der Senatsverkehrsverwaltung die Abteilung Tiefbau leitet. Die 61 Meter breite Straße im östlichen Stadtzentrum, die sich 1,3 Kilometer weit von Ost nach West durch das Denkmalensemble Dorotheenstadt zieht, gibt auf den knapp 800 Metern zwischen der Wilhelm- und der Universitätsstraße ein ziemlich desolates Bild ab. Die rund 14 Meter breiten Fahrbahnen sind voller Wellen und Schlaglöcher. Die Bauarbeiten zur Verlängerung der U-Bahn-Linie U5 haben weitere große Lücken in den Baumbestand gerissen, der schon vorher stark geschädigt war. „Nur noch ein Viertel der Linden sind gesund und zukunftsfähig“, bilanzierte Klaus Wichert von der Umweltverwaltung. Bei seinen aktuellen Planungen schließt der Senat Baumfällungen nicht aus.
Sperrung ab 2028 - vielleicht auch schon früher
Die Koalitionsvereinbarung, auf die sich die SPD, die Linke und die Grünen bereits vor fast fünf Jahren verständigt haben, gibt die Richtung vor. „Das Umfeld des Humboldt-Forums wird verkehrsberuhigt und der Straßenraum bis zum Brandenburger Tor fußgängerfreundlich umgestaltet“, zitierte die Verkehrssenatorin am Montag. „Dabei wird der motorisierte Individualverkehr unterbunden zugunsten des Umweltverbundes“, zugunsten des Fuß-, Rad- und öffentlichen Verkehrs. Initiativen wie „Stadt für Menschen“ fordern seit Jahren, dass das Versprechen eingelöst wird.

Was ist geplant? Sicher ist erst einmal nur das, dass was der Senat in der Phase 1 vorsieht. Am 8. Oktober soll die Ummarkierung der bestehenden Fahrbahnen starten, sagte Tiefbau-Chef Adam. Heute stehen dem fließenden Kraftfahrzeugverkehr neben einer 4,20 Meter breite Bus-, Taxi- und Fahrradspur zwei drei Meter breite Fahrstreifen pro Richtung zur Verfügung. Voraussichtlich vom zweiten Quartal 2022 an wird der Autobereich auf je eine 3,25 Meter breite Fahrbahn beschränkt. Stau erwartet der Senat nicht, mit 19.000 Fahrzeugen pro Tag gelte die Straße als gering belastet, so Adam.
Rechts vom verbleibenden Autofahrstreifen, in der Mitte der Fahrbahn, wird künftig die Busspur markiert. Sie wird ebenfalls 3,25 Meter breit sein – genau wie der Radfahrstreifen daneben. Der verbleibende Raum bis zum Straßenrand soll als 2,50 Meter breiter Multifunktionsstreifen mehrere Funktionen bedienen: als Ladezone, Abstellplatz für Fahrräder, E-Scooter, Carsharing-Autos und für Fahrzeuge von Behinderten, als Haltestelle für BVG- und Stadtrundfahrtbusse. So weit die Phase 1.
Doch das soll nur der Zwischenzustand sein. Die endgültige Planung sieht eine weitergehende Umgestaltung vor. Auch wenn die Einzelheiten noch nicht feststehen: Klar ist für die Senatsplaner, dass Unter den Linden in einigen Jahren kein motorisierter Individualverkehr mehr möglich sein soll. Sobald die auf vier Jahre terminierten Bauarbeiten beginnen, soll die Straße für Autos tabu sein – ab 2028, wenn kein Planfeststellungsverfahren nötig ist, auch schon früher. Eine Ausnahme werde nur für Anwohner gelten, die ihre Geschäfte und Wohnungen erreichen wollen, so Lutz Adam.

Der künftig einzige Fahrstreifen pro Richtung wird für Busse, Taxis, Liefer- und Ausflugsverkehr reserviert. Auch Müllfahrzeuge und Einsatzwagen, etwa der Polizei und der Feuerwehr, dürften weiterhin fahren. Eine Gestaltungsidee sieht daneben einen 3,5 Meter breiten Radfahrstreifen vor, der von einem Multifunktionsstreifen flankiert wird. Die Gehwege würden um ein Drittel auf jeweils 10,55 Meter verbreitert, die Mittelpromenade würde von 17,50 auf mehr als 20 Meter Breite anwachsen, sagte Adam.
Auch die Friedrichstraße soll dauerhaft autofrei werden
Nach einer anderen Idee würde der Mittelstreifen sogar 31 Meter breit – inklusive zwei jeweils vier Meter breiter Radwege und zwei weiteren Baumreihen. Dafür ist die Lichte Baumhasel, eine Nussbaumart, in der Diskussion. Die übrigen vier Reihen der Allee sollen weiterhin aus Linden bestehen, aber möglichst nicht mehr nur aus einer Sorte: Kaiserlinden. „Das Landesdenkmalamt wünscht eine einheitliche Bepflanzung, wir könnten uns dagegen eine gewisse Vielfalt vorstellen“, so Wichert. Wichtig sei eine gute Aufenthaltsqualität für die Nutzer der Straße, Insektenfreundlichkeit und Widerstandsfähigkeit gegen die Folgen des Klimawandels. Ein Fachsymposium ist geplant, bei dem über die künftige Bepflanzung diskutiert werden soll.
Was die Planungen für die kreuzenden Straßen bedeutet, sei noch nicht klar. Allerdings gebe es Überlegungen, auch die Friedrichstraße dauerhaft von Autoverkehr zu befreien, so Lutz Adam. Ein Abschnitt ist bereits für Autos gesperrt. Offiziell dauert der Verkehrsversuch bis zum 31. Oktober, doch es gilt als ausgemacht, dass er weitergeht.
„Wir wollen Unter den Linden nicht im Hauruckverfahren umgestalten“, sagte Günther. Als erste Stufe der Bürgerbeteiligung sind die Ideen bis zum 4. Oktober bei mein.berlin im Internet zu sehen. Das Landesdenkmalamt habe ein gewichtiges Wort mitzureden. Und auch der Bund ist zu beteiligen, denn Unter den Linden soll nicht nur kein Verkehrsweg für den Autoverkehr, sondern auch kein Abschnitt der Bundesstraßen 2 und 5 mehr sein. Der Senat setzt sich dafür ein, dass weitere Bundesstraßen in der Innenstadt eingezogen und auf den Status von Stadtstraßen zurückgestuft werden – wenn nicht sogar alle, sagte Hartmut Reupke, Leiter der Abteilung Verkehr.
Ein weiteres Beispiel ist wie berichtet die parallel verlaufende Leipziger Straße in Mitte, die zur Bundesstraße 1 gehört und ebenfalls umgestaltet werden soll. Unter anderem ist dort eine Straßenbahnstrecke geplant. Zwar soll motorisierter Individualverkehr weiterhin möglich sein, doch es soll statt bis zu drei Fahrstreifen pro Richtung nur noch jeweils eine Fahrspur für Autos geben. Hartmut Reupke ist zuversichtlich, dass der Bund den angekündigten „ganzheitlichen Vorschlag“ des Landes akzeptiert. So könnten die Bundesstraßen auf der A100 um die City herumgeleitet werden. Ein Bekenntnis zu einer weiteren Verlängerung der Stadtautobahn, die der Bund zur Frankfurter Allee und zur Storkower Straße führen will, sei damit aber nicht verbunden, betonte Günther.
Kritik von den Christdemokraten, Skepsis bei der SPD
Die Berliner CDU kritisierte, dass die grün geführte Senatsverwaltung die provisorische Umgestaltung der Straße ohne Bürgerbeteiligung in Angriff nimmt. „Wir müssen den Platz für sicheren Verkehr neu verteilen, wir müssen überall in Berlin lebenswerte Orte mit hoher Aufenthaltsqualität fördern, aber die historische Mitte Berlins ohne die Berliner umzugestalten, lehne ich ab“, sagte Kai Wegner, Spitzenkandidat für die Wahl des Abgeordnetenhauses. „Berlin darf nicht Bullerbü werden. Der Pracht-Boulevard Berlins muss so gestaltet werden, dass er einer Millionenmetropole angemessen ist. Ich fordere den Senat daher auf, die Umgestaltung zu stoppen.“
„Schöne Bilder“, twitterte Max Landero von der SPD Mitte, der sich um ein Mandat im Abgeordnetenhaus bewirbt. „Aber ohne Verkehrskonzept für Berliner Mitte ist das Stückwerk.“ Der Senat und Regine sollten die im Dezember zugesagte Stadtwerkstatt zum Verkehr bald durchführen - für eine lebenswerte Mitte ohne gegeneinander.


