Berlin - Die Spannung steigt bei der Berliner Straßenbahn. Einer der größten Trambetriebe der Welt bekommt in diesem Jahr mehr Power. Ziel ist es, dass wie geplant künftig mehr Züge unterwegs sein können, teilten die Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) mit. „Die BVG erhöht die Systemspannung von 600 auf 750 Volt, um weitere Taktverdichtungen und Leistungssteigerungen in den nächsten Jahren zu ermöglichen“, sagte Unternehmenssprecher Markus Falkner. Doch die Änderung hat eine Schattenseite. Auch Straßenbahn-Oldtimer, mit denen Fans an das historische Erbe erinnern, müssen angepasst werden – in ihrem Fall würde das sehr aufwendig. Der Denkmalpflege-Verein Nahverkehr (DVN) erwartet, dass das Fahrtenprogramm eingeschränkt werden muss.
Vor der Corona-Krise kannten die Bilanzzahlen bei der BVG-Straßenbahn nur eine Richtung: nach oben. Von 2009 bis 2019 stieg die Zahl der Fahrgäste um ein Viertel. Nachdem das Aufkommen während der Pandemie stark gesunken ist, hofft man bei dem Landesunternehmen, dass es in absehbarer Zeit wieder aufwärtsgeht. Zahlreiche Neubaustrecken und zwei neue Betriebshöfe sind geplant, auf bestehenden Strecken soll der Verkehr verdichtet werden. Ein BVG-Mitarbeiter sagt es so: „Wir brauchen mehr Leistung im Fahrdraht für mehr Leistung auf der Schiene.“
Schatzkammer in Köpenick
Da diese strategische Entscheidung schon vor längerer Zeit gefällt worden ist, konnte sie bei den modernen Zügen berücksichtigt werden. „Kleinere Anpassungen an Fahrzeugen sind nur an den GT-Straßenbahnen notwendig. Die Umrüstungskosten liegen bei rund einer Million Euro“, berichtete BVG-Sprecher Falkner. Die neueren Straßenbahnen vom Typ Flexity seien bereits 750-Volt-fähig beschafft und geliefert worden.
Auch bei der Infrastruktur seien nur wenige Restleistungen erforderlich. „Aufgrund von langfristigen Planungen wurde bei der Instandsetzung und Neubeschaffung der Anlagen darauf geachtet, dass diese bereits die technischen Anforderungen entsprechen, um eine Umstellung reibungslos zu ermöglichen und um Zusatzkosten zu vermeiden“, teilte Falkner mit. Günstig wirke sich auch aus, dass das BVG-Personal die Infrastruktur umstelle. Deshalb entstünden in diesem Bereich „nahezu keine realen Kosten“. Dagegen sei noch ungewiss, worauf sich die Fahrgäste einrichten müssen.
Klar ist dagegen, dass auch historische Straßenbahnen umzustellen sind, bestätigte das Unternehmen. „Alle Fahrzeuge müssen elektrisch angepasst werden“, bestätigte Hartmut Gröschke. Er ist Vorsitzender des DVN, dessen Arbeitsgruppe Straßenbahn rund 50 Straßenbahnen betreut – von der Pferdebahn bis zu Zügen aus den 1970er-Jahren. Ein wichtiger Standort ist der Betriebshof Köpenick. „Die Umstellung betrifft bei den ganz alten Fahrzeugen bis zum Tatrawagen den Fahrstromkreis, den Bordnetzumformer, der die Fahrspannung auf die Hilfsspannung von 24 Volt umformt. Bei der 600-Volt-Beleuchtung und 600-Volt-Heizung sind Widerstände vorzuschalten. Es gibt andere Verkehrsbetriebe, die bereits umgestellt haben und uns Lösungen mitgeteilt haben.“
Aufwändiger werde es, die moderneren Wagen im historischen Bestand anzupassen. Dazu zählen zum Beispiel die Tatra-Züge aus tschechoslowakischer Produktion, mit denen in den 1970er-Jahren bei den Ost-Berliner Verkehrsbetrieben (BVB) die Modernisierung der Flotte begann. „Dort gibt es Bauteile wie Kondensatoren, die Überspannungen nicht vertragen“, erläuterte Gröschke. Er rechnet mit Spannungsspitzen bis zirka 1000 Volt.
SPD-Abgeordnete kümmern sich
„Der Verein wird der BVG in den nächsten Monaten eine Lösung zur Prüfung und Genehmigung vorschlagen und ein Musterfahrzeug unter der höheren Spannung prüfen“, so der DVN-Vorsitzende. „Dies ist auf dem Bremsprüfgleis auf dem Betriebshof Marzahn möglich. Dort kann die Spannung schon jetzt umgeschaltet werden.“
Der Köpenicker Abgeordnete Robert Schaddach und Sven Heinemann (ebenfalls SPD), der als Berichterstatter im Hauptausschuss das Thema Mobilität betreut, gehen davon aus, dass es auch weiterhin historischen Fahrbetrieb in Berlin geben wird. Allerdings werden die Umstellungskosten wohl im „hohen fünfstelligen Bereich“ liegen, sagte Heinemann. Zudem mangelt es an Personal, dass sich damit befassen kann. „Die Umrüstung ist sowohl zeit- als auch kostenintensiv“, schätzt der SPD-Abgeordnete. Deshalb werde sie „vermutlich zur Abstellung einiger Fahrzeuge führen“.
„Wir können uns nur auf uns selbst verlassen“
Beobachter rechnen damit, dass das Köpenicker Netz im Oktober auf die neue Spannung umgestellt wird. Absehbar ist bereits, dass die DVN ihr Angebot an Sonderfahrten zurückschneiden muss. „Ja, so sieht es aus“, teilte Hartmut Gröschke mit. „Wir hoffen, dass wir es schaffen, denn wir können uns nur auf uns selbst verlassen.“



