Interview

Razzia bei der Letzten Generation: „Die Polizei hat meine Tagebücher durchwühlt“

Die Polizei hat bundesweit Räume der „Letzten Generation“ durchsucht – unter anderem bei Carla Hinrichs. Im Interview erzählt sie vom Schreck ihrer Eltern.

Carla Hinrichs, Sprecherin der Gruppe „Letzte Generation“
Carla Hinrichs, Sprecherin der Gruppe „Letzte Generation“Berliner Zeitung/Markus Wächter

An diesem Dienstag haben Ermittler bundesweit Räumlichkeiten der klimaaktivistischen Gruppe „Letzte Generation“ durchsucht. Es gehe um elf Objekte im gesamten Bundesgebiet, sagte Staatsanwalt Cyrill Klement im brandenburgischen Neuruppin, die politische Abteilung der Staatsanwaltschaft führe die Ermittlungen durch. Hintergrund sind offenbar Protestaktionen der Gruppe gegen den Raffineriebetrieb PCK Schwedt zwischen April und Mai dieses Jahres. Damals hatten Mitglieder der Gruppe mehrmals Notfallventile einer Rohöl-Pipeline zugedreht, die von Rostock nach Schwedt führt. Auf Twitter begründeten sie die Aktionen mit dem Slogan: „Schluss mit dem fossilen Wahnsinn“.

Unter den von der Polizei durchsuchten Objekt sei auch eines in Brandenburg, jedoch keines in Berlin gewesen, sagte Staatsanwalt Klement. Auch die elterliche Wohnung der Sprecherin der Gruppe, Carla Hinrichs, in Niedersachsen wurde durchsucht. Die Berliner Zeitung hat mit ihr kurz nach der Razzia gesprochen.

Frau Hinrichs, wie haben Sie Ihre Wohnung nach der Razzia vorgefunden?

Ich selbst war noch gar nicht zu Hause, nur meine Eltern waren da. Gegen 6 Uhr morgens bemerkte mein Vater Taschenlampenlicht draußen vor dem Haus. Er dachte erst, es sei ein Traum. Dann haben acht Beamte vom LKA Brandenburg und LKA Hannover mein Zimmer durchsucht. Die Polizisten trugen schusssichere Westen. Sie haben alles durchwühlt –  meinen Kleiderschrank, das Bett, meine alten Tagebücher. Beschlagnahmt haben sie Festplatten, Notizbücher, einen Laptop und ein Handy. Dabei glaube ich nicht, dass die Polizei wirklich etwas Konkretes finden wollte, sondern die Durchsuchung war ganz klar ein Einschüchterungsversuch.

Wie haben Ihre Eltern die Durchsuchung empfunden?

Sie haben das als einschüchternd und beängstigend empfunden. Meine Mama hat es beschrieben wie in einem Krimi. Sechs Uhr morgens, acht Männer in schusssicherer Weste vor dem Haus. Sie hatte Angst. Aber sie versteht auch, warum ich tue, was ich tue. Jetzt eben kamen noch mal zwei Beamte und haben nach mir gefragt, obwohl meine Eltern schon heute Morgen gesagt hatten, dass ich nicht da sei.

Was geht Ihnen jetzt durch den Kopf?

Das ist natürlich beängstigend. Diese Durchsuchung wird nur gemacht, um uns Angst einzujagen und uns davon abzuhalten, dass wir in die Öffentlichkeit gehen und darauf aufmerksam machen, dass wir in einer Krise sind. Ich stelle mir zudem die Frage, wer hier die wahren Kriminellen sind. In meinen Augen sind das die fossilen Konzerne, die weiter die Krise befeuern, und die Regierung, die nicht mal die einfachsten Maßnahmen ergreift, um unser Grundgesetz zu schützen.

Wie gehen Sie jetzt damit um?

Ich werde diese Absurdität in die Öffentlichkeit tragen. Und ich werde meinen Protest fortführen und weiter gegen die Klimakatastrophe kämpfen. Ich habe die Pflicht als Bürgerin, Widerstand zu leisten. Ich werde mich nicht davon abhalten lassen, nur weil man uns jetzt vorwirft, kriminell zu sein.

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Zur Person
Carla Hinrichs ist Mitglied der klimaaktivistischen Gruppe „Letzte Generation“. Die 25-Jährige tritt regelmäßig in Talkshows wie „Anne Will“ auf. Hinrichs ist gebürtige Bremerin und gehört zu den Aktivisten, die regelmäßig Straßenblockaden in Berlin durchführen.

Welche Informationen haben Sie darüber, warum die Razzia auch bei Ihnen stattgefunden hat? Waren Sie an den Aktionen bei der PCK-Raffinerie beteiligt?

Im Durchsuchungsbeschluss steht, dass es sich um Ermittlungen wegen der Bildung einer kriminellen Vereinigung handele. Ich habe nicht die Pipeline abgedreht, aber ich hab mich auf die Straße zur Raffinerie geklebt.

Haben Sie mit einer solchen Konsequenz gerechnet?

Ich habe schon damit gerechnet, dass die Maßnahmen gegen uns verstärkt werden. Dass man aber in einer Demokratie friedlichen Protest kriminalisiert, finde ich höchst bedenklich und erstaunlich. Gut möglich, dass sie uns nun weiter beobachten und abhören werden.

Haben Sie rechtlichen Beistand?

Noch nicht direkt, aber wir haben ein Rechtsteam aus solidarischen Anwälten, das uns unterstützt.

Werden die Durchsuchungen den Protest beeinflussen?

Unser Protest geht weiter. Wir können es uns nicht leisten zu sagen: „Jetzt hören wir auf.“ Das Ganze ist beängstigend, aber wir werden weiter Widerstand leisten.

Gibt es irgendeinen Punkt, an dem Sie nicht mehr weitermachen würden?

Wenn die Regierung sich entscheidet, Maßnahmen zu ergreifen, um die Klimakrise in den Griff zu bekommen.