Potsdam- Der Sommer? In Wäldern und Parks eher langweilig, viel gleichförmiges Grün. Der Winter? Dunkle, kahle Äste der Laubbäume vor bleichem Himmel – schon interessanter. Der Frühling? Immer wieder ein kleines Wunder, dieser Neustart der Natur. Und der Herbst? Ist von allen Jahreszeiten die schönste – Hauptsaison für Wanderer und Spaziergänger, die sich an der Laubfärbung erfreuen.
An diesem Oktobermorgen hängt der Himmel über Potsdam so tief, dass nicht einmal Wolken zu erkennen sind. Noch ist alles waschküchengrau über dem Park Sanssouci. Doch jeder, der durch das „Grüne Gitter“ eintritt, schaut sich staunend um, verlangsamt den Schritt.
Eine Allee mit etwa 200 Kastanien führt hinein in den Park. Die Kronen der Bäume sind noch mehrheitlich grün, aber schon schön durchzogen von Gelb und Braun. Am Boden ein Teppich aus rostbraunen Blättern, dazwischen Kastanien.

Die Blätter sind gekräuselt, diese alten Bäume sind von der Miniermotte befallen. Die Falter lieben die Wärme, sie sind vor etwa 20 Jahren, vom Balkan kommend, eingewandert, weil auch hierzulande die Temperaturen stiegen. Und sie tun es weiter. Wie wirkt sich der Klimawandel auf all die anderen Parkbäume aus?
Die Antwort kennt Michael Rohde, sein Büro befindet sich in einem Haus am Ende der Kastanienallee. Er ist gelernter Baumschulgärtner und studierter Landschaftsarchitekt. Und seit dem Jahr 2004 Gärtnerischer Direktor der Stiftung Preußische Schlösser und Gärten. Rohde, 59 Jahre alt, ist also Herr über 15 Parks, über 80.000 Bäume und fast 180 Angestellte. Das Herzstück der Stiftung sind jene großen Parks, die wie Sanssouci, Babelsberg und Neuer Garten von der Unesco zum Welterbe erklärt wurden – als Meisterwerke der Gartenkunst.
Vom Bürofenster aus kann Rohde über den Park auf das Schloss Sanssouci schauen. Auf einem Schrank steht eine Büste des Gartenarchitekten Peter Joseph Lenné. Er hat den Park einst gestaltet, er wohnte im Haus gegenüber. „Mehr als Unesco-Welterbe geht nicht“, sagt Rohde. Er zeigt eine Umfrage. Bundesbürger wurden befragt, welche Parks sie kennen: 23 Prozent nannten zuerst Sanssouci, es folgen die Herrenhäuser Gärten in Hannover mit 17 und der Englische Garten in München mit 16 Prozent.

Rohde erklärt, warum Landschaftsgärten auch noch heute so beliebt sind. Ab dem Jahr 1720 kamen sie in Mode, zuvor dominierten die Barockgärten der Schlösser. In ihnen waren die Beete in klaren geometrischen Formen angelegt, die Hecken äußerst exakt geschnitten. Alles war symmetrisch, korrekt, sauber – und etwas fad. „Der Anspruch dahinter war: Wir als Menschen beherrschen die Natur“, sagt Rohde. Doch mit den englischen Landschaftsgärten änderte sich die Sicht: Die mathematisch strengen Formen fielen weg, alles wurde freier und wilder. „Nun sollte die Natur nicht mehr unterworfen werden. Sie diente als großes Vorbild, und die Architekten gestalteten Gärten als idealisierte Nachahmungen der Natur.“
Warum empfinden wir die Parks als schön?
Hinaus in den Park. Rohde zeigt auf eine Hecke am Wegesrand, vor ihr steht eine Bank und davor wiederum stehen zwei Bäume. Die können zwar die Sicht der Leute stören, die dort sitzen, sagt Rohde. „Aber sie geben dem Ensemble – diesem Gesamtbild – eine Tiefe wie auf einem klassischen Gemälde.“
Dass die Menschen Parks wie Sanssouci als schön empfinden, ist kein Zufall, sondern die Absicht jener Künstler, die diese geschaffen haben: Landschaftsarchitekten, die früher Gartenkünstler genannt wurden. Damals schufen sie das sogenannte „fürstliche Grün“ an den Schlössern, heute gestalten ihre Nachfahren das „bürgerliche Grün“ in den Stadtparks.
Die Grundidee eines Parks klingt einfach: ein plattes Stück Land, das die Architekten mit Wegen und Hügeln gliedern, mit Bächen und Teichen. Sie lassen Blumen pflanzen, aber vor allem Bäume, Sträucher und Hecken. Hinzu kommen Elemente wie Bänke, Brunnen, Brücken, kleine Gebäude, künstliche Grotten, Skulpturen, Treppen.
Ein Landschaftsarchitekt fügt verschiedene Elemente zu einem Bild zusammen. Doch es geht nicht nur um ein einziges Bild. Entscheidend für die Wirkung eines Parks ist die Idee der Bewegung, des Schlenderns: Der Spaziergang wird zum Gang durch eine Galerie. Und ein guter Park ist eine Abfolge vieler Landschaftsbilder. Die sind in Sanssouci denkmalgeschützt. „Der Park ist ein lebendiges, sich dynamisch veränderndes Kulturdenkmal“, sagt Rohde. „Wir sind die Konservatoren und Restauratoren, die diese Pracht erhalten wollen.“
Wir schlendern weiter, hören eine Motorsäge jaulen und treffen dann auf Sven Hannemann. Der gebürtige Kleinmachnower ist Landschaftsarchitekt und als Parkleiter für den nördlichen Teil von Sanssouci zuständig. „Wir müssen immer wieder trockene Äste aus Baumkronen entfernen oder ganze Bäume fällen“, sagt er. Ganz in der Nähe, auf einer Wiese, steht der Baumpfleger Erik Zab neben einer hohen Ulme. Seine Säge jault weiter, er kappt einen armdicken Ast. In der Baumkrone habe sich irgendwo Wasser gesammelt, sagt Hannemann. Es sei Fäule entstanden, ein Teil der Krone sei zu Boden gekracht. Zab zerlegt die Äste.

Um jeden Baum des Denkmals wird gekämpft. Und wenn er doch stirbt, wird an derselben Stelle ein ebensolcher Baum gepflanzt, damit das Gesamtkunstwerk erhalten bleibt.
Doch es mehren sich die Verluste. „Als ich vor 20 Jahren hier anfing, passten die Bäume, die jedes Jahr gefällt werden mussten, auf eine Papierseite“, sagt Hannemann. „Jetzt ist es ein Ordner. Damals zehn Bäume, nun bis zu 150 Bäume – wegen des Klimawandels.“ Früher prüften die Experten einmal pro Jahr, ob die Bäume leiden, inzwischen tun sie das bis zu dreimal.
Kein sanfter Landregen, sondern Wetterextreme
Hannemann erklärt, dass hier früher 500 Liter Regen pro Quadratmeter und Jahr üblich waren. Dann kamen drei Dürrejahre. „2018 hatten wir nur 350 Liter.“ Und es gab viele Tage mit mehr als 40 Grad Hitze. Dazu kommt, dass der Regen nicht mehr als gemächlicher Landregen fällt, sondern oft als Sturzregen. Wetterextreme bleiben im Gedächtnis. „Am 12. Juni 2018 fielen an einem Tag 90 Liter“, sagt Hannemann. „Das war fast ein Drittel der Jahresmenge.“ Weil der Boden ausgetrocknet war, konnte er das viele Wasser nicht aufnehmen. Es floss einfach ab, half den Bäumen nicht.
Die Welterbe-Parks werden jetzt zu „Laboratorien für die Nachwelt“, berichtet Rohde, der Direktor. Sie sind bei einem Zwei-Millionen-Euro-Forschungsprojekt des Fraunhofer-Instituts dabei. „Modellhaft wird erkundet, mit welchen Methoden die Parks langfristig erhalten werden können.“ Wie kann Wasser in der Landschaft gehalten werden? Welche Baumarten kommen mit Hitze oder mit neuen Schädlingen besser klar? Von dem Wissen könnten später auch alle Stadtparks profitieren.
„Die Schäden an den Bäumen sind enorm“, sagt Hannemann, der Parkleiter. Bevor er sie zeigt, bleibt er an einer unscheinbaren Kreuzung stehen. Er will die Genialität der früheren Landschaftsarchitekten erklären, will zeigen, wie sie ihre Naturbilder malten.
Das erste Bild sind die Wege der Kreuzung. „Die sind nicht rechtwinklig zueinander. Dadurch entsteht Spannung.“ Kurz nach der Kreuzung gabelt sich ein Weg. „Das erzeugt zusätzliche Spannung“, sagt Hannemann und fragt, wohin wir gehen wollen. Als wir einen Weg und damit das zweite Bild wählen, fragt er, warum. Und erklärt einen weiteren Trick der Gartenkünstler: Der Weg führt in einem weiten Schwung leicht bergab und verschwindet hinter Bäumen. „Wieder Spannung: Wir wollen wissen, was dort ist“, sagt er. „Die Wege sind die stummen Führer durch die Parks.“
Acht Bilder auf 50 Schritten
Die ersten Schritte führen durch das dritte Landschaftsbild, rechts stehen drei knorrige Eichen und links fünf Platanen. Die Anzahl der Bäume einer Gruppe ist immer ungerade – auch das ist ein Spannungselement. Und obendrein stehen die Bäume nicht im gleichen Abstand, ganz wie in der Natur.
Nach zwanzig Schritten endet der Schatten der Bäume. Rechts das vierte Bild: eine weite Sichtachse, 400 Meter weit geht der Blick über eine Wiese mit Buchen und Eichen. Dominiert wird das Bild von einer herbstlichen Kastanie. Links das fünfte Bild. Ein großer Nadelbaum neben dem Weg, daneben eine absterbende Hainbuche. „Die wird nicht gefällt“, sagt Hannemann. „Abgestorbene Bäume sind ein beliebtes Element für malerische Landschaftsbilder.“

Nach zehn Schritten das sechste Bild: wieder der Licht-Schatten-Trick, nun führt der Weg durch ein Tor aus Buchen. Dahinter ist es wieder heller und der Blick fällt beim siebten Bild auf einen sanften Hügel mit Pappeln, Eschen und einer Kirsche in Gelb. Nun richtet sich der Blick nach vorn, auf das letzte Bild: Wieder ist das Ende des geschwungenen Weges hinter Bäumen versteckt.
Acht höchst unterschiedliche Landschaftsbilder auf gerade mal 50 Schritten. Gartenkunst in Perfektion. Doch diese Perfektion ist gefährdet. Wir laufen durchs nasse Gras zu einer Gruppe von elf Buchen. Hannemann geht zu einer von ihnen und zeigt auf die Rinde. Die ist normalerweise glatt wie Beton, hier sind viele Risse zu erkenn. „Von Süden scheint die Sonne auf den Stamm. Die Hitze ist inzwischen so stark, dass die Bäume Sonnenbrand bekommen.“ Die Rinde reißt. Hannemann pult an einem Riss und schält ein großes Stück vom Stamm. Er zeigt auf die winzigen Löcher überall – Bohrstellen, Käfer haben die Schwäche des Baumes ausgenutzt. Hannemann zeigt nach oben. Die Krone ist kahl, und am Fuß des Baums haben sich Pilze angesiedelt.
Der Dominoeffekt
Der Baum steht seit Lennés Zeiten. „Ohne das Extremwetter der letzten Zeit hätte er noch locker 100 Jahre leben können.“ Und nicht nur das. Er zeigt auf einen Baum, vier Meter entfernt. Die Rinde ist makellos, das Laub kräftig grün. Noch jedenfalls. „Der stand 160 Jahre im Schatten, nun steht er in der ersten Reihe“, sagt Rohde. „Der ist Vollsonne gar nicht gewohnt.“ Er bekommt nun wohl auch Sonnenbrand und könnte sterben. Ein Dominoeffekt.
Die Bilanz der drei Dürrejahre ist bitter. „Zwölf Prozent der Bäume sind schwer geschädigt oder abgestorben“, sagt Rohde. „Bis zu 50 Prozent sind geschädigt.“ Wenn die jahrzehntelang gewachsenen Bäume weg sind, verschwindet nicht nur ihre Schönheit. Sie fallen auch als kleine Klimafabriken weg, weil sie kein Kohlendioxid mehr aufnehmen und Sauerstoff fabrizieren. Die Bäume in den Potsdamer Unesco-Parks haben im Laufe ihres Lebens 175.000 Tonnen Kohlendioxid gebunden.

Er schaut eine lange Sichtachse entlang, an deren Ende ein paar Eschen gelb belaubt sind. „Von den 50.000 Tier- und Pflanzenarten, die in Deutschland heimisch sind, kommen etwa 10.000 im Potsdamer Unesco-Welterbe vor“, sagt Rohde, der Direktor. „Mit unseren alten Bäumen sind wir nicht nur das Museum der Natur, sondern auch ein Genpool.“ Die Parks seien wichtig. „Hier zeigt sich Schönheit, hier zeigt sich Kunst, hier zeigt sich Natur – und die ständige Mahnung: Betreibt keinen Raubbau mit der Natur.“
Das vielleicht schönste Gartenbild dieses Parks ist derzeit an der italienisch anmutenden Villa Illaire zu sehen. Hinter der Gartenmauer leuchtet wunderbares Herbstbunt. Das kleine schmiedeeiserne Tor ist offen, dahinter ein runder Brunnen – und auf der Wiese vor dem Teich ein Nelkenzimtbaum. Die Farben reichen von zartem Grün über leuchtendes Gelb und kräftiges Orange bis zu tiefdunklem Rot.


