Denkmalschutz

DDR-Bauten der Stalinallee: Café Sibylle wird Welterbe-Hub

Friedrichshainer Blockade endet, „Rumpelkammer“ wird aufgeräumt: Was ein Vertrag für das neue Informationszentrum am historischen Ort vorsieht.

Das Café Sibylle in der Karl-Marx-Allee: links neben der Eingangstür eine Originalfigur aus dem Film „Das Leben der anderen“, rechts im Boden die Glasplatte, unter der einst ein Stadtmodell zu sehen war.
Das Café Sibylle in der Karl-Marx-Allee: links neben der Eingangstür eine Originalfigur aus dem Film „Das Leben der anderen“, rechts im Boden die Glasplatte, unter der einst ein Stadtmodell zu sehen war.Benjamin Pritzkuleit

Eine steingraue Frau mit Kind auf dem Arm grüßt überlebensgroß aus dem Schaufenster am Eingang zum berühmten Café Sibylle in der Karl-Marx-Allee – ein Originalrequisit aus dem Film „Das Leben der anderen“. Doch, ach, ihr Fuß ist abgetreten, das Styropor-Innere schaut heraus. Ebenso traurig sieht es unter der Glasplatte im Gehwegboden aus, dort war einst ein Modell des denkmalgeschützten Straßenzuges zu sehen.

Und erst im Inneren: Vorne sitzen die Café-Gäste angenehm im Fünfzigerjahre-Ambiente vor den entzückenden freigelegten Wandmalereien der Erbauungszeit: schicke bunte Cocktailgläser, Sonnenschirmchen… Doch die originalen Wandlampen sind teils unachtsam mit Farbe überpinselt.

Und dann erst der hinten gelegene Raum der von Touristenführern gepriesenen Ausstellung über die Erbauer und Bewohner der Stalinallee: Informationstafeln stehen durcheinander herum oder sind mal eben provisorisch irgendwie zusammenhanglos aufgehängt, die zwei pinienförmigen originalen Straßenlaternenaufsätze des berühmten Architekten Richard Paulick (1903-1979) sind beschädigt, vom merkwürdigerweise an der Wand hängenden Stadtmodell sind Teile abgebrochen, auch der Fernsehturm. Andere Exponate sind verschwunden. Ohr und Bartspitze vom 1961 abgerissenen Stalin-Denkmal, das in der Nachbarschaft stand, liegen verloren mit kryptischen Fehlinformationen in einem Wandkasten. Aber sie sind wenigstens noch da.

Rumpelkammer statt Ausstellung

„Eine Rumpelkammer“, sagt Achim Bahr, Bewohner der Karl-Marx-Allee, Mitbegründer und Co-Vorsitzender des Vereins Stalinbauten e.V. Die Mitglieder wollen es nicht hinnehmen, dass Schlamperei, Gleichgültigkeit oder auch mal ideologische Blockaden zur Verwahrlosung ihrer Straße führen. Man geht selbstbewusst mit dem Erbe um, das zeigt schon die im Vereinsnamen Stalinbauten e.V. gewagte gedankliche Volte. „Gibt jemand irgendwo in der Welt bei Google Stalinbauten ein, kommt er direkt auf unsere Vereinsseite“, erklärt Bahr. Clever. Anderen fällt es schwerer zu akzeptieren, dass innerhalb eines diktatorischen Systems Gutes entstehen konnte.

Ein noch passabel erhaltener Teil der Ausstellung im Café Sibylle zeigt eine Original-Briefkastenanlage vom Strausberger Platz und Einrichtungsgegenstände. Rechts eine Erinnerung an die Mauersteine, die aus den Trümmern gewonnen und Stein auf Stein zu den Arbeiterpalästen der Stalinallee gemauert wurden.
Ein noch passabel erhaltener Teil der Ausstellung im Café Sibylle zeigt eine Original-Briefkastenanlage vom Strausberger Platz und Einrichtungsgegenstände. Rechts eine Erinnerung an die Mauersteine, die aus den Trümmern gewonnen und Stein auf Stein zu den Arbeiterpalästen der Stalinallee gemauert wurden.Maritta Tkalec

Das war mal eine tolle Ausstellung, als sie 2003 auf Bürgerinitiative hin entstand. Immer wieder kreuzen noch heute Touristen auf, die die Bauten aus Stalinscher Epoche anschauen und – natürlich – auch die Ausstellung sehen wollen. Und in den vergangenen Jahren skandalöse Verwahrlosung vorfanden. 2018 aber war das Café Sibylle unter großem öffentlichen Bedauern in die Pleite gegangen. Es eröffnete zwar nach wenigen Monaten auf Betreiben der Linken in Friedrichshain-Kreuzberg mit neuem Pächter wieder, aber dessen Interesse richtet sich auf das Café, nicht auf die Ausstellung.

Die wird betrieben vom Sozialverein „PUK a malta“ aus Wedding. Der hatte seit Wiedereröffnung im November 2018 monatlich 2000 Euro Zuschüsse bekommen, unter anderem für die Wiederherstellung eines vorzeigbaren Zustandes und für Veranstaltungen, insgesamt 80.000 Euro, doch dann kam Corona, das Geld ist irgendwie weg, die Ausstellung weiter verwahrlost. Die Zahlungen sind seit Jahresanfang eingestellt. Achim Bahr hat versucht, deren Wege nachzuvollziehen – vergeblich. Überall Mauern des Schweigens.

Das war auch ein Beweggrund, den Verein zu gründen. Zig-fach hatten Achim Bahr und seine Nachbarn die Erfahrung gemacht: „Wenn man als Bürger etwas vom Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg wissen will, bekommt man im Normalfall gar keine Antwort. Wenn doch, dann kommt sie oft patzig bis zynisch.“ Im Verein haben sie nun einen stärkeren Auftritt.

Mehr als vier Jahre haben die Bürgerinnen und Bürger genervt. So lange habe sich gar nichts getan, sagt Bahr und spricht von „unappetitlichen Momenten“. Und das, obwohl die Bezirksverordnetenversammlung das Amt per Beschluss beauftragt hatte, sich zu kümmern. Aber dann kam Anfang 2023 der Anstoß aus dem Landesdenkmalamt. Der Verein stellte daraufhin dort einen Antrag auf Förderung. Und siehe da, oh Wunder: Jetzt, im Juli 2023, liegt ein unterschriftsreifer Vertrag vor, der Förderziel und Finanzierung fixiert.

Einzigartige Parallele sozialen Wohnungsbaus

Der Ruck hat offenkundig mit dem Anliegen Berlins zu tun, mit den Bauten der Nachkriegsmoderne in Ost (Karl-Marx-Allee) und West (Interbau Hansaviertel) auf die Welterbeliste der Unesco zu kommen. Es gibt einen guten Grund: Eine solche Parallele von architektonischen Spuren der beiden rivalisierenden Weltsysteme des Kalten Kriegs in einer Stadt gibt es nirgendwo sonst. Besonders bemerkenswert: Auf beiden Seiten handelt es sich um sozialen Wohnungsbau, im Osten die großzügigeren „Arbeiterpaläste“, im Westen Wohnungen mit kleineren Grundrissen.

Der Auswahlprozess läuft – zunächst auf nationaler Ebene. Jedes Bundesland konnte bei der Kultusministerkonferenz zwei Vorschläge einreichen. Im Oktober wird bekanntgegeben, wer in die nächste, die internationale Runde kommt. Achim Bahr hat da so ein Gefühl: „Mein Instinkt sagt, das geht durch.“

Eine Sammlung von Dekorelementen von den Bauten der Stalinallee, heute Karl-Marx-Allee. Links ein achtlos herabhängendes Kabel.
Eine Sammlung von Dekorelementen von den Bauten der Stalinallee, heute Karl-Marx-Allee. Links ein achtlos herabhängendes Kabel.Maritta Tkalec

Die neue Dynamik hat offenbar das Ende der Friedrichshainer Blockade bewirkt. Sobald alle vier Beteiligten – Landesdenkmalamt, Stalinbauten e.V., Café Sibylle und Bezirksamt – den Fördervertrag unterschrieben haben, kann es losgehen. Eine Formalie, sagt Bahr und: „Wir sind glücklich, dass wir die Ausstellung jetzt realisieren können.“ Im Dezember soll sie eröffnungsbereit sein, vielleicht dauert es auch etwas länger.

Die Konzeption geht nun deutlich über die Wiederherstellung des Alten, auf die Bauten aus den 1950ern fokussierten, hinaus. Die neue Schau soll moderner werden und vier inhaltliche Teile haben: Karl-Marx-Allee, Abschnitt I (die eigentlichen „Stalinbauten“), Abschnitt II (zwischen Strausberger Platz und Alexanderplatz), das Hansaviertel samt Corbusier-Haus und zu guter Letzt ein extra Bereich über den Welterbeprozess als solchen. Café Sibylle wird Hub der „Bewegung Welterbe“.

Das Projekt ist mit insgesamt 50.000 Euro budgetiert und wird vom Landesdenkmalamt, der Deutschen Stiftung Denkmalschutz und weiteren Institutionen gefördert. Und die Bürger vom Verein Stalinbauten e.V. steuern für ihre Straße 20.000 Euro bei – Geld und ehrenamtliche Arbeitseinsätze: ein kleines Echo aus den Aufbauzeiten des letzten groß angelegten stadtplanerischen Ensembles, dessen hohe ästhetische und funktionale Qualität nach jahrzehntelangem westlichen Naserümpfen heute unstrittig anerkannt ist.