Der Saal 100 passt zu diesem Verfahren. Über dem Eingang ist ein Relief angebracht. Es zeigt Adam und Eva, deren Blöße nur hinter einem Feigenblatt im Schritt verborgen ist. Ansonsten sind die beiden nackt. Es herrscht Gleichheit zwischen den Geschlechtern sozusagen. Genau darum geht es an diesem Tag. Gabrielle Lebreton fühlt sich nämlich gegenüber Männern ungleich behandelt. Ein Ordnungsdienst hatte sie gemaßregelt, weil sie halbnackt in der Sonne liegen wollte.
Es geschah am 20. Juni vergangenen Jahres. Es war ein heißer Tag in Berlin. Die Temperaturen kletterten an die 35-Grad-Marke. Jeder, der konnte, entledigte sich bei der Hitze der verzichtbaren Kleidung und suchte die Nähe des kühlenden Wassers. Auch Gabrielle Lebreton. Sie beschloss, an diesem Tag mit ihrem sechsjährigen Sohn, einem Freund und dessen vierjähriger Tochter die Plansche aufzusuchen. Die Plansche liegt im Bezirk Treptow-Köpenick, sie ist ein großer umzäunter Wasserspielplatz, der von den Bäumen des Plänterwaldes umgeben ist. Seelöwen- und Nilpferdfiguren gibt es dort und eine große Liegewiese. Automatisch gehen die Wasserfontänen an, unter denen sich Kinder und ihre Eltern erfrischen können.

Das Quartett traf gegen 13.30 Uhr in der Plansche ein, ließ sich auf einer Picknickdecke nieder. Gabrielle Lebretons Begleiter trug Badehose, sie selbst zog ihr T-Shirt aus, ließ sich mit freiem Oberkörper nieder. Es dauerte nicht lange, da kamen zwei vom Bezirksamt Treptow-Köpenick eingesetzte Sicherheitskräfte auf die Gruppe zu und forderten die Frau zunächst freundlich auf, ihre Brüste zu bedecken. Schließlich sei dies kein FKK-Bereich.
Gabrielle Lebreton weigerte sich, die Freundlichkeit der Sicherheitskräfte wich. Die Polizei wurde gerufen. Die Beamten verlangten, sie solle sich etwas überziehen oder die Plansche verlassen. Die gebürtige Französin, die seit 2012 in Berlin lebt, verstand die Welt nicht mehr. Warum durften die Männer um sie herum mit freiem Oberkörper auf der Liegewiese sitzen, sie aber als Frau nicht?, fragte sie. Es half nichts. Die Beamten blieben hart. Und weil ihr Sohn damals völlig verängstigt reagierte, verließen sie die Plansche.
Gut 15 Monate später sitzt die 38-jährige Architektin neben ihrer Anwältin Leonie Thum in Saal 100 vor einer Zivilkammer des Landgerichts Berlin. Sie hat ihre Haare zu einem Zopf geflochten, lächelt verschmitzt, aber auch verwundert wegen des großen Interesses an ihrem Fall in die vielen Kameras.
Unter den anderen Beteiligten des Verfahrens in dem völlig überfüllten Verhandlungssaal sticht sie durch ihre farbenfrohe Kleidung hervor. Während Anwälte und Juristinnen dunkle Jacketts, Blazer oder Roben tragen, hat sie einen gelben Pullover an, trägt dazu einen dunklen Rock mit hellen Pünktchen. In der Verhandlung, die fast genau eine Stunde dauert, schweigt sie. Für sie spricht ihre Anwältin.
Lebreton hat nach dem Verlassen der Plansche Klage eingereicht, weil sie sich durch das Bezirksamt Treptow-Köpenick als Betreiber des Wasserspielplatzes und auch durch die Polizei diskriminiert behandelt fühlte. Schließlich durften sich Männer dort auch „oben ohne“ aufhalten. Sie verlangt nun vom Land Berlin eine Entschädigung von 10.000 Euro. Die Geldstrafe solle, so erklärt es Anwältin Thum, sowohl Sanktions- als auch Kompensationscharakter haben. Einerseits soll damit die diskriminierende Behörde mit dem Ziel bestraft werden, ein solches Verhalten in der Zukunft zu vermeiden. Andererseits werde mit dem Geld auch die Belastung, die bei ihrer Mandantin und deren Sohn eingetreten sei, kompensiert.

Gütliche Einigung scheiterte schon vor der Gerichtsverhandlung
Ihnen gegenüber haben ein Anwalt des Landes Berlin, die Chefin des Rechtsamtes des Bezirksamts Treptow-Köpenick und eine Juristin der Polizei Platz genommen. Sie haben beantragt, die Klage abzuweisen. Eine gütliche Einigung scheitert an diesem Tag. Sie konnte auch schon nicht von der Ombudsstelle für das Berliner Landesantidiskriminierungsgesetz erzielt werden, die sich für die Belange Lebretons eingesetzt hatte. Ihre Anwältin sagt, es habe an der Gegenseite gelegen. Der Anwalt des Landes Berlin, Eike-Heinrich Duhmke, glaubt dagegen, dass eine gütliche Einigung vonseiten der Klägerin nicht gewollt sei.
Es ist eine der ersten öffentlich verhandelten Klagen nach dem seit fast zwei Jahren geltenden Landesantidiskriminierungsgesetz (LADG), das Menschen vor behördlicher Ungleichbehandlung schützen soll, und der prominenteste Fall noch dazu. Hatte er doch schon kurz nach dem Vorfall in der Plansche für Schlagzeilen gesorgt.
Es ist eine Frau, die am Ende über Lebretons Klage entscheiden wird: Die Vorsitzende Richterin Sybille Schmidt-Schondorf hört geduldig zu, was die Parteien zu sagen haben. Dann erklärt sie, dass die Verhandlung Fragen klären müsse. Wurde die Besucherin der Plansche wirklich diskriminiert, also ungleich behandelt, als sie von den Sicherheitskräften und auch den Polizeibeamten aufgefordert wurde, sich einen BH oder ein T-Shirt überzuziehen? Verstieß sie damit womöglich gegen eine Nutzungsordnung? Ist das Landesdiskriminierungsgesetz überhaupt anwendbar? Oder haben diejenigen, die sich über Frauen mit freiem Oberkörper aufregen, auch Rechte? War das Vorgehen von Sicherheitskräften und Polizei gerechtfertigt?
Schlagabtausch über Geschlechtsmerkmale von Männern und Frauen
Lebretons Anwältin argumentiert, es komme nicht darauf an, ob es Leute unpassend finden, wenn sich Frauen mit freiem Oberkörper sonnten. Es gebe zudem überhaupt keinen Beweis dafür, dass sich Besucher der Plansche über die nackten Brüste ihrer Mandantin aufgeregt hätten. Es sei auch kein Ordnungswidrigkeitsverfahren gegen Frau Lebreton eingeleitet worden.
Eike-Heinrich Duhmke, der Anwalt des Landes Berlin, erklärt dagegen, dass es sich bei der Plansche nicht um ein Freibad oder eine Grünanlage handele, sondern um einen Spielplatz. Und wenn es Eltern gebe, die verklemmt oder konservativ seien, dann müsse man das eben auch berücksichtigen.
Es gibt einen kurzen und auch kurzweiligen Schlagabtausch zwischen den Juristen im Saal über primäre und sekundäre Geschlechtsmerkmale von Männern und Frauen: „Die weibliche Brust ist ein sekundäres Geschlechtsmerkmal, ebenso wie der Bart oder die behaarte Brust eines Mannes“, sagt Thum. Die behaarte Brust eines Mannes gehöre nicht dazu, behauptet die Gegenseite.
Dann muss der Vertreter des Landes, der zunächst immer auf die Nutzungsordnung der Plansche verwiesen hatte, einräumen: Als sich Gabrielle Lebreton ihres T-Shirts entledigte, gab es überhaupt keine Nutzungsordnung für die Plansche, auf die sich Sicherheitsdienst und auch das Bezirksamt berufen konnten. Die Besuchsregelungen seien erst später erlassen worden, sagt Anwalt Duhmke. Damit gibt er indirekt zu, dass es eigentlich keine Rechtsgrundlage für die Maßnahme gegen die Halbnackte gab.
Duhmke weist auch Fehler des Bezirksamts von sich. Die Verwaltung von Treptow-Köpenick könne nichts für das Verhalten des Sicherheitsdienstes in der Plansche. Er sei nicht eingesetzt worden, um etwa prügelnde Jugendliche zur Räson zu bringen, sondern habe lediglich die Einhaltung der Pandemiemaßnahmen überprüfen sollen. Die Aufsichtskräfte seien daher gar nicht befugt gewesen, Frau Lebreton wegen ihres freien Oberkörpers anzusprechen. Es habe allerdings von einem Besucher des Wasserspielplatzes eine Beschwerde über die nackten Brüste der Klägerin gegeben, nicht aber über die freien Oberkörper der männlichen Besucher. Da liege durchaus eine Ungleichbehandlung vor, muss Duhmke eingestehen.
Die Badebekleidung muss die primären Geschlechtsorgane vollständig bedecken. Dies gilt für alle Geschlechter.
Bis zum Nachmittag nimmt sich die Vorsitzende Richterin Zeit, zwischen den Grundrechten der Klägerin, die sich oben ohne sonnen wollte, und den Grundrechten anderer, die dies nicht sehen wollten, abzuwägen. Dann fällt sie Stunden nach der mündlichen Verhandlung eine Entscheidung, die schon in ihrer Deutlichkeit überrascht. Richterin Schmidt-Schondorf weist die Klage von Gabrielle Lebreton ab. Da nur der Tenor des Urteils verkündet wird, bleiben die Gründe bis zur schriftlichen Urteilsbegründung unklar.
Gabrielle Lebreton hat sich nach der mündlichen Verhandlung noch zuversichtlich gezeigt. Die Entscheidung des Gerichts sei wichtig, sagt sie. „Wir Frauen sind gleichberechtigt. Und gegen Diskriminierung müssen wir uns immer wieder wehren.“ Nun könnte sie mit ihrer Klage in die nächste Instanz gehen. Dabei dürfte sie auch von der Initiative „Gleiche Brust für alle“ unterstützt werden, die sich nach dem Vorfall in der Plansche gegründet hatte. Die Mitglieder dieser Initiative wollen nach eigenen Angaben vor Gericht ziehen, „um Frauen mit nackten Oberkörpern in Berlin überall dort zu ermöglichen, wo es für Männer erlaubt“ sei.





