Fischotter, Biber, Neuntöter, Waldkauze, Zwergfledermäuse, Erdkröten, Waldeidechsen leben am Gleis. Auch der Rohrschwirl und, im Tegeler Fließ, der Große Schlammpeitzger sind vertreten. Die Tiere und Insekten, vor allem aber die Menschen entlang der Stammstrecke der Heidekrautbahn werden künftig viel öfter als heute mit Zugverkehr konfrontiert. Die Trasse, die im Nordosten Berlins beginnt, soll erneuert oder neu gebaut werden. Damit wird eine Verbindung ins Umland, die vor 61 Jahren mit der Schließung der innerstädtischen DDR-Grenze gekappt worden war, wiederhergestellt. Jetzt hat das Berlin-Brandenburger Verkehrsprojekt mit Verspätung eine weitere wichtige Etappe erreicht: Seit Montag liegen die Planfeststellungsunterlagen öffentlich zur Einsicht aus.
Die Stammstrecke der Heidekrautbahn gibt es seit 120 Jahren. Einst reisten dort Berliner Ausflügler zum Wandlitz- und zum Liepnitzsee oder in die Schorfheide. Brandenburger fuhren zur Arbeit oder zum Einkauf nach Berlin. Als am 13. August 1961 der Mauerbau begann, verschwand die damalige Endstation neben dem S-Bahnhof Wilhelmsruh jedoch hinter Stacheldraht. Seit fast vier Jahrzehnten dient das Gleis, das sich durch den Bezirk Pankow und den Landkreis Barnim zieht, fast ausschließlich dem Güterverkehr. Heute halten Güterzüge maximal mit Tempo 30 die Verbindung zum Werk des Bahnherstellers Stadler Pankow aufrecht. Der Personenverkehr verläuft seit Langem über Karow.
Mit der Regionalbahn von Berlin zum Liepnitzsee und in die Schorfheide
Seit der Wende bemüht sich die Niederbarnimer Eisenbahn (NEB), der die Anlage gehört, um eine Reaktivierung für den Personenverkehr. Nach langem Zögern fiel endlich die Entscheidung: Der 13,8 Kilometer lange Abschnitt der Strecke 6501, wie die Trasse offiziell heißt, wird für Tempo 80 ausgebaut. Als zweiter Streckenast im Süden wird die Stammstrecke die Trasse über Berlin-Karow ergänzen, die zu DDR-Zeiten als östliche Umfahrung gebaut worden war. Mit der wiederbelebten Route bekommen Pendler und Ausflügler eine zusätzliche Möglichkeit, nach Basdorf, Wandlitz, Zühlsdorf, Groß Schönebeck und zu weiteren Zielen an der Regionalbahnlinie RB27 zu reisen. Das Märkische Viertel und Teile des Bezirks Pankow werden ans Bahnnetz angeschlossen.
Zunächst sollen sieben Wasserstofftriebwagen des Typs Siemens Mireo Plus H im Stundentakt verkehren. Wenn die Strecke wie geplant zum Berliner Bahnhof Gesundbrunnen verlängert worden ist, was nach jetzigem Stand frühestens 2030 zu erwarten ist, soll es sogar einen Halbstundentakt geben. Den Unterlagen zufolge sieht das Betriebsprogramm für Personenzüge 56 Hin- und Rückfahrten tagsüber sowie 18 Hin- und Rückfahrten in der Nacht vor. Es handele sich um das „Maximalprogramm“ für den Fall, dass der Halbstundentakt gilt, erklärte NEB-Geschäftsführer Detlef Bröcker am Montag. Nach seiner Rechnung bedeutet „Hin- und Rückfahrten“ Fahrten insgesamt in beiden Richtungen. Hinzu kommt täglich je eine Überführungsfahrt hin und zurück zwischen dem Gewerbegebiet Pankow Park und Basdorf, heißt es im Plan weiter.
Acht Stationen werden an der Stammstrecke gebaut
Jetzt geht es darum, die Genehmigung für die Reaktivierung der Stammstrecke zwischen Berlin-Wilhelmsruh und der Anschlussstelle Schönwalde zu bekommen. Bis zum 7. September können die Unterlagen zum Planfeststellungsverfahren nach Terminvereinbarung im Stadtentwicklungsamt des Bezirks Pankow (Storkower Straße 97) und in der Gemeindeverwaltung Mühlenbecker Land (Liebenwalder Straße 1) eingesehen werden. Das ist auch im Internet möglich. Jeder, dessen Belange berührt werden, darf bis zum 7. Oktober Einwendungen und Stellungnahmen einreichen.
Was ist außer neuen Gleisen geplant? Abgesehen vom vorläufigen Endbahnhof in Wilhelmruh, dessen Bau bereits genehmigt wurde und der nicht zu diesem Verfahren gehört, werden sieben Stationen gebaut, davon drei in Berlin. Alle Zugangsstellen bekommen Bahnsteige, die sich 76 Zentimeter über der Schienenoberkante erheben, mit einer Nutzlänge von 140 Metern und einer Breite von meist 2,50 Metern. Blindenleitsysteme, Beleuchtung sowie jeweils ein Wetterschutzhaus und ein „Dynamischer Schriftanzeiger“ zur Information der Fahrgäste gehören zur Ausstattung.

Erster Zwischenhalt von Wilhelmsruh aus gesehen wird der Haltepunkt Pankow Park, in der Nähe des gleichnamigen Gewerbegebiets an der Lessingstraße gelegen. Es folgt der Kreuzungsbahnhof Berlin-Rosenthal, der zwei Gleise und zwei Außenbahnsteige erhält. Dort können Züge warten, um zu überholen oder aneinander vorbeizufahren. Berlin-Blankenfelde ist ein Haltepunkt – eine Station mit nur einem Gleis, ohne Weiche. Der Bahnhof Schildow, der erste im Land Brandenburg, erhält perspektivisch zwei Außenbahnsteige. Schildow Mönchmühle, Mühlenbeck und Schönwalde West werden Haltepunkte. Nördlich von Mühlenbeck könnte ein Betriebsbahnhof für Zugkreuzungen entstehen, sagte NEB-Chef Bröcker. Ob er wirklich benötigt wird, stünde noch nicht fest.
Ein Streitpunkt vor allem in Pankow: Anwohner befürchten, dass die Bahnstrecke zur Trennlinie wird, die zu Umwegen zwingt. Doch die NEB ist zurückhaltend, weil Überwege Gefahrenstellen sein können. Den Planfeststellungsunterlagen zufolge wird es auf Berliner Gebiet sieben Bahnübergänge geben, die mit Schranken und Lichtsignalen technisch gesichert werden: Hertzstraße, Lessingstraße, Wilhelmsruher Damm, Quickborner Straße, Lübarser Weg, Bahnhofstraße Blankenfelde - sowie am Bahnkilometer 1,7 ein neuer Übergang nur für Fußgänger und Radfahrer. Er wurde vom Land sowie den Bezirken Pankow und Reinickendorf bestellt. Derzeit kreuzt bei Kilometer 3,86 ein Feldweg das Gleis. Dieser Übergang entfällt ersatzlos, heißt es.
Auf Brandenburger Gebiet bleibt es unterm Strich bei neun Bahnübergängen, die ebenfalls alle wie in Berlin technisch gesichert werden. Die heutige Querungsstelle am Kilometer 11,805 wird beseitigt, am Kilometer 9,022 entsteht ein neuer Übergang nur für Fußgänger und Radfahrer. Arbeitstitel: „Weg am Kiessee, Schildow“.
In Brandenburg müssen fast 60 große Bäume gefällt werden
Fast durchgehend wird sich die künftige Strecke im heutigen Trassenbereich befinden. Trotzdem sind Eingriffe in die Umgebung absehbar – schon, um die Baustraßen anlegen zu können. So werden auf Berliner Gebiet 68.780 Quadratmeter Lebensraum für Tiere und Pflanzen beseitigt. In Brandenburg wiederum müssen 57 Bäume mit einem Stammumfang von mindestens 60 Zentimeter gefällt werden. Die Umgebung der Strecke weist eine reiche Flora und Fauna auf – allein auf Berliner Gebiet fünf Fledermaus- und 58 Vogelarten. Die Natur werde aber nur gering beeinträchtigt, heißt es.
Wie sieht es mit dem Schutz der Anwohnern vor Lärm aus? An sechs Berliner und vier Brandenburger Gebäuden seien die zu erwartenden Belastungen so hoch, dass Anspruch auf passiven Schallschutz besteht. Lärmschutzwände sind nicht vorgesehen.
Zeitplan ist kaum noch zu halten
Gegen den Planfeststellungsbeschluss können Betroffene klagen. Beobachter rechnen damit, dass einige Streckenanlieger dies zumindest erwägen werden. Vor allem in Schildow werden Belastungen erwartet, etwa durch Lärm und Erschütterungen der Züge oder weil an Bahnübergängen Wartezeiten entstehen. Andere Anwohner bezweifeln, ob das zuletzt auf über 30 Millionen Euro veranschlagte Projekt notwendig ist. Laut Senat wird mit einem Mehrverkehr von bis zu 1000 Fahrgästen pro Tag gerechnet.
Für das Projekt gebe es ein „hohes öffentliches Interesse“, heißt es in den Unterlagen. Es sei für die „Entwicklung des metropolennahen ländlichen Raums objektiv erforderlich“.





