Kultur in Berlin

Mit den Augen der Liebe: Ein Abend für Wolfgang Kohlhaase in der Akademie der Künste

Ulrich Matthes liest aus einem Film-Exposé und Freunde von Wolfgang Kohlhaase erinnern sich gemeinsam an den berühmten Ost-Berliner Drehbuchautoren.

Wolfgang Kohlhaase, einer der großen deutschen Drehbuchautoren. Er starb im Oktober letzten Jahres, in der Akademie der Künste wurde seinem Werk in dieser Woche noch einmal gedacht.
Wolfgang Kohlhaase, einer der großen deutschen Drehbuchautoren. Er starb im Oktober letzten Jahres, in der Akademie der Künste wurde seinem Werk in dieser Woche noch einmal gedacht.imago images

Die Schriftstellerin Judith Schalansky hatte als Schülerin einmal die Gelegenheit, dem Regisseur und Drehbuchautor Wolfgang Kohlhaase ihre Schülerzeitung zu zeigen. Die heute 42-Jährige war über zwei Ecken mit ihm verwandt und stand also vor dem großen Künstler, sie nennt das Treffen eine „Audienz“. „Kohlhaase fand wie immer die richtigen Worte“, sagt sie, „aufmunternd und doch ehrlich“. Er habe nach der Lektüre ihrer Schülerzeitung gesagt: „Vieles ist schon weit, manches nicht.“

Das Lachen nach dieser Anekdote, im Grunde alles an diesem Dienstagabend in der Akademie der Künste fühlt sich ein bisschen an wie ein Familientreffen. Gegen 19 Uhr ist das Publikum vollzählig, viele Menschen aus Berlins Kulturszene, die ihre dunklen Mäntel an der Garderobe lassen, aber ihre ausladenden bunten Schals anbehalten. Viele umarmen einander fest und sagen dann Dinge wie: „Ich habe noch im September mit Wolfgang telefoniert!“

Es geht um einen von Deutschlands bekanntesten Drehbuchautoren, den Künstler Wolfgang Kohlhaase. Er starb mit 91 Jahren am 22. Oktober des vergangenen Jahres. Der gebürtige Adlershofer wohnte in seinen letzten Jahren in Mitte, nahe der Station Stadtmitte. Zu Beginn der Veranstaltung im Saal wird noch einmal seine Lebensgeschichte kurz erzählt; er schuf die Drehbücher für große Filme wie „Berlin, Ecke Schönhauser“, „Solo Sunny“ und „Sommer vorm Balkon“.

„Ein einziger Abend mit ihm“, sagt die ostdeutsche Autorin Kerstin Hensel, „konnten sieben Semester Regiestudium ersetzen.“ Er habe so eine klare Sprache gehabt. Sie war bei ihm, weil sie bei einem Drehbuch nicht weiterwusste. „Er konnte zwar mein Problem nicht lösen, aber ich habe so viel in den Stunden mit ihm gelernt.“ Auch sie nennt ein Treffen mit Kohlhaase eine Audienz.

„Wenn Erdöl teurer wird, wird alles teurer“

Leise dringt vom Pariser Platz durch das Fensterglas die Musik eines Gitarristen, während auf der Bühne die Schriftsteller Platz nehmen, alles Begleiter Kohlhaases: Neben Schalansky und Hensel sitzen dort Elisa Primavera-Lévy und Matthias Weichelt. In der Mitte sitzt der Schauspieler Ulrich Matthes und liest nach einigen Worten doch aus dem Film-Exposé „Onkel, hast du Feuer?“, das im Fachjournal Sinn und Form erstmals veröffentlicht wurde.

Der Text ist wie gemacht für eine Bühne, er behandelt in loser Abfolge Momente der Peinlichkeit, die zugleich anrührend sind. Ein Annäherungsversuch zwischen zwei Liebenden, der irgendwie danebengeht, eine Hochzeit, bei der schon die Übergabe der Ringe scheitert, und ein Filmdreh auf Berlins Straßen, bei dem Kinder beinahe zum Rauchen gebracht werden. Eine Person sagt im Text: „Erdöl ist teurer geworden, wenn Erdöl teurer wird, wird alles teurer – und dann wird die Moral schlechter.“

Nur am Rande merkt man, dass es ein Text ist, der in einer Zeit vor rund 50 Jahren spielt, in der DDR. Kohlhaase habe ihn in den 70er-Jahren geschrieben und dann selbst vergessen. Als er ihm aus dem Archiv wieder vorgelegt wurde, staunte er und wollte gleich weiter daran arbeiten. Da war es nicht mehr lange bis zu seinem Tod. Wie viele andere Texte ist auch dieser ohne Anführungsstriche geschrieben. Die Dialoge verwischen so mit der Prosa.

Der Autor Matthias Weichelt spricht auf der Bühne davon, wie auffällig es sei, dass Kohlhaase sich nie unter DDR-Kunst einordnen lassen wollte. Er hat nie ideologisch argumentiert. Das Publikum klatscht zustimmend. Vielmehr sei es ihm immer um eine Vermischung von Alltagsgeschichten mit existenziellen Fragen gegangen. Außerdem gebe es wohl den Terminus DDR-Literatur nur, weil es in den USA so viele Professoren zu diesem Thema gebe.

Ulrich Matthes selbst sagt, er habe Kohlhaase ebenfalls häufig getroffen. Aber immer durch Zufall, meist auf der Berlinale. Er würde diese Treffen aber nie „Audienz“ nennen, dazu sei Wolfgang Kohlhaase „zu zugewandt, zurückhaltend, neugierig und sympathisch“ gewesen. Matthes spürte bei jedem Treffen das enorme Wissen und Selbstbewusstsein, das aber nie in Arroganz umschlug.

„Tschechows Berliner Bruder im Geiste“

Auch Ulrich Matthes hat wie alle am Tisch und sicherlich viele im Publikum eine Anekdote parat von einem Treffen mit „Tschechows Berliner Bruder“, wie er Kohlhaase nennt. „Das muss bei einer Berlinale gewesen sein“, sagt Matthes, „als der Eröffnungsfilm mal wieder so richtig missglückt war.“ Und draußen vor dem Kino standen sie und diskutierten, was alles schlecht war. Wolfgang Kohlhaase sagte nach langem Überlegen: „Kann man besser machen.“

Judith Schalansky meint abschließend auch in dem eben vorgelesenen Text die Liebe Kohlhaases für seine Protagonisten zu erkennen. „Es sind Figuren, die die Anlage zu ihrer eigenen Karikatur in sich tragen, was sie aber nie werden“, sagt sie. Kein Gegenstand, kein Thema sei ihrem Großonkel zweiten Grades zu hoch oder zu niedrig gewesen. Er habe sich immer alles angehört und dann irgendetwas Schlaues, Verdichtetes gesagt. Eine Figur im Text wird zum Beispiel nur mit einem Satz beschrieben: „Er war sichtlich gekämmt.“ Schalansky: „Sofort entsteht doch bei allen ein Bild.“ Kohlhaase, sagt sie, habe immer Augen der Liebe für seine Protagonisten gehabt.