Berlin-In jedem zweiten Gespräch mit mir noch nicht bekannten Menschen werde ich gefragt, woher ich komme. Nicht wegen meines Aussehens, sondern wegen meines Namens. „Miray – das ist aber nicht deutsch, oder?“, heißt die Überleitung oft, bis der darauffolgenden Satz konkreter wird. Meine Antwort lautet bis heute ausnahmslos: „Meine Eltern kommen aus Istanbul.“
Ich weiß, dass ich aus einer sehr privilegierten Stellung heraus schreibe. Diskriminierende Erfahrungen habe auch ich machen müssen, aber nicht so oft und nicht so krass wie viele andere meiner Mitmenschen aus Einwandererfamilien. Vielleicht ist mein gefühltes Privileg der Grund, dass ich mich über die „Woher kommst du“-Frage auch nie geärgert – und sie auch nie kritisch hinterfragt habe. Das liegt vor allem daran, dass ich mich durch die Frage nicht angegriffen fühle. Ich erkenne nur selten eine böse Absicht, wenn ich zum Beispiel merke, dass mein Gegenüber versucht, mich zwanghaft in ein Raster zu stecken, wenn die vermeintlichen Komplimente danach oft lauten: „Du sprichst aber gut Deutsch“ oder „Du siehst aber gar nicht türkisch aus.“
Ich persönlich frage niemanden mehr, woher sie oder er kommt, weil ich vor Jahren von meiner Interviewpartnerin – eine Kulturschaffende aus der afrikanischen Diaspora – harsch darauf hingewiesen wurde, dass die Frage rassistisch sei. Sie setzte sich mit ihrer Arbeit stark für ihre Herkunft ein, für die kulturelle Vermittlung, war mit meiner „Woher kommst du“-Frage trotzdem nicht einverstanden. Sie erklärte: Dadurch, dass sie Schwarze sei, werde sie mit der Frage ständig daran erinnert, in der deutschen Gesellschaft eine „Fremde“ zu sein. Sie fühlte sich ausgrenzt – für sie spiele es auch keine Rolle, ob die Frage aus reinem Interesse heraus gestellt werde.
Seither habe ich es sein gelassen – vielleicht ist es der einzig richtige Weg. Die Abstammungsfrage komplett aus dem Kopf löschen, das eigene Interesse unterdrücken und stattdessen immer wieder vor Augen führen, dass jeder Mensch anders ist. Jeder Mensch anders fühlt und eine andere (negative) Erfahrung gemacht hat.
Wenn ich über andere Menschen aus sogenannten migrantischen Communitys schreibe, benutze ich oft Ausdrucksweisen wie „Migrationshintergrund“ oder „migrantische Bevölkerung“. Pauschalisierend von migrantischen Communitys zu sprechen, ist aber eigentlich falsch – auch darüber wurde ich letztens aufgeklärt. Denn Türken, geflüchtete Menschen aus Afghanistan, Polinnen, Spanier, Bosnier, US-Amerikaner, Koreanerinnen, Afrikanerinnen – sie alle kann und darf man nicht als eine Gruppe zusammenfassen. Den Ausdruck „Wurzel“ finde ich am schrägsten, als spräche ich nicht von Menschen, sondern von Bäumen.
Und selbst „Migrationshintergrund“ trifft längst nicht mehr zu. Die meisten Menschen mit einer „ausländischen Abstammung“, die 20, 30, 40 Jahre alt sind, haben keine Einwanderungserfahrung, ihre Eltern, Großeltern oder gar Urgroßeltern haben eine. Ich, zweite Generation, habe auch keinen Migrationshintergrund – mein Papa und meine Mama sind nach Mannheim migriert. Ich bin in Ludwigshafen geboren und wurde mit 18 eingebürgert. So wie ich, haben ganz viele einen deutschen Pass, sind also Deutsche. „Menschen aus Einwandererfamilien“ oder eindrucksvoller: „Menschen mit internationaler Geschichte“ sind dagegen von der Beschreibung her korrekt – zumindest am korrektesten.
Was ich bereits erleben musste: Wenn ich auf die Frage, woher ich komme, mit „Ich bin Deutsche“ antworte, wird oft nachgehakt: „Aber woher kommst du wirklich?“ Denn eingebürgerte Deutsche werden häufig nicht als echte Deutsche wahrgenommen. Was auch immer das sein mag.





