Seit fast sechs Wochen kommen Tag für Tag Tausende ukrainische Kriegsflüchtlinge in Deutschland an, ein Großteil davon in Berlin. Von den mehr als 300.000 Ukraine-Flüchtlingen, die insgesamt in der Bundesrepublik eintrafen, wurden über 180.000 zuerst in Berlin und Brandenburg aufgenommen. 50.000 bis 60.000 sollen sich Schätzungen zufolge in der Hauptstadt aufhalten.
Am Dienstag hat sich der Berliner Senat nun feste Regeln dafür gegeben, welche Flüchtlinge in der Stadt bleiben können – und welche anderswo unterkommen sollen. Die Kriterien sollen helfen, die Konflikte der vergangenen Tage und Wochen um größere Flüchtlingsgruppen in der Stadt zu entschärfen. Die Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) sagte nach der Senatssitzung: „Berlin kann nicht alles stemmen.“
Giffey und Sozialsenatorin Katja Kipping (Linke) stellten die beschlossenen Kriterien vor und erklärten, wie die Versorgung, Verteilung und Unterbringung der ukrainischen Flüchtlinge vonstattengehen soll. Vor allem bei der Versorgung verfügt Berlin über ein bundesweit einmalig dichtes soziales Netz. Das ist offenbar einer der Gründe dafür, dass die deutsche Hauptstadt bei vielen Flüchtlingen als Zielort der Wahl gilt.
Eines der neuen Kriterien ist laut Senat der Nachweis eines dauerhaften Aufenthalts für mindestens sechs Monate. Dafür bedürfe es einer Meldebescheinigung, einer Bescheinigung des Wohnungsgebers oder eines unbefristeten Mietvertrags beziehungsweise einer Unterkunftsbestätigung, wie Sozialsenatorin Kipping sagte.
Bleiben können außerdem Familienangehörige der Menschen, die diese Kriterien erfüllen – unabhängig davon, ob sie bei ihren bleibeberechtigten Verwandten unterkommen. Dazu zählen laut Kipping unter anderem Eltern, Kinder, Lebenspartner, Enkel und Geschwister. „Uns war es wichtig, wenn Menschen ihre Heimat verlassen, dass man ihnen hier ein bisschen Stückchen Heimat erhalten kann“, sagte sie. Eine Berlin-Zuweisung erhalten auch Menschen, die über einen Arbeits-, Ausbildungs- oder Studienplatz in Berlin verfügen. Das Gleiche gilt für Schwangere und Wöchnerinnen.
Unter den aus der #Ukraine Geflüchteten befinden sich immer mehr Menschen mit besonderer Schutzbedürftigkeit. Der Berliner Senat hat deshalb heute Verfahren beschlossen, diese Menschen zu unterstützen, zu versorgen, zu verteilen und sie unterzubringen.
— Senatskanzlei Berlin (@RegBerlin) April 5, 2022
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Für Schutzbedürftige aus besonders vulnerablen oder von Diskriminierung betroffenen Gruppen wie etwa Homo- und Transsexuelle richtet der Senat eine Transferzone ein. Wer dringend medizinisch versorgt werden muss oder nicht reisefähig ist, kann erst mal bleiben, sagte Kipping. Eine Clearingstelle soll künftig den psychischen wie physischen Zustand der Geflüchteten im Zweifel klären.
Angehörige einer Religionsgemeinschaft sollen zusammenbleiben können, auch wenn sie Berlin später verlassen sollen. Bei Menschen mit Behinderung soll genau hingeschaut werden, dass sie gut untergebracht sind. Berlin richtet für sie einen Fahrdienst „BerlMobil“ ein. Es wird geschaut, dass sie auch bei der Weiterverteilung in andere Länder gut untergebracht sind. Einige ausländische Studenten, die sich aus der Ukraine aufmachen, erfahren nicht selten bei der Flucht an den Grenzen Diskriminierung. Berlin prüft, wie sie besonders geschützt werden können.
Berlin strebt Verteilung nach Königsteiner Schlüssel an
Hintergrund der Beschlussfassung ist, dass sich das Land Berlin seit Wochen vehement für eine Verteilung der Menschen nach dem Königsteiner Schlüssel starkmacht. In dem Verfahren ist festgelegt, wie die Bundesländer an gemeinsamen Finanzierungen zu beteiligen sind. Der Anteil, den ein Land danach tragen muss, richtet sich zu zwei Dritteln nach dem Steueraufkommen und zu einem Drittel nach der Bevölkerungszahl.
Gemäß dieses Schlüssels müsste Berlin 5,2 Prozent aller ukrainischen Flüchtlinge aufnehmen. Weil sich die Ukrainer mit einem 90-tägigen Touristenvisum jedoch frei in Deutschland bewegen können, liegen derzeit keine exakten Zahlen vor. Dennoch ist sicher davon auszugehen, dass die Berlin-Quote aktuell deutlich über 5,2 Prozent liegt. Jetzt, so will es die Berliner Landesregierung, sollen sich andere Bundesländer deutlich stärker engagieren.
Unter anderem deswegen versucht das Landesamt für Flüchtlinge (LAF) seit Tagen größere Flüchtlingsgruppen zu einer Fahrt zum Ankunftszentrum des Landes Berlin im ehemaligen Flughafen Tegel zu bewegen. In dem einstigen Terminal können sich die Menschen registrieren lassen. Das ist eine der unabdingbaren Voraussetzungen für den Erhalt von Sozialleistungen, die über die einmalige Nothilfe-Zahlung hinausgehen, wie sie die Sozialämter in den Bezirken derzeit leisten. Außerdem verleiht nur eine Registrierung Zugang zum regulären Ausbildungs- und Arbeitsmarkt. Auch für die Zuweisung von Kita- oder Schulplätzen ist eine Registrierung notwendig.


