Berlin/Raddusch-Deutschland deindustrialisiert? Es wäre nicht das erste Mal, dass eine Energiekrise zum Niedergang einer Kultur führt. Man muss nicht in die Ferne, zum Beispiel zu den Maya, schweifen, um Beispiele zu finden. Ein Blick in die Vergangenheit der Region Brandenburg reicht, um sich die Endlichkeit von Kulturen vor Augen zu führen, die ihre Ressourcen ohne Rücksicht auf die Grenzen von deren Nutzbarkeit ausbeuteten.
Die frühen Beispiele enden im vollständigen Verschwinden regionaler Kultur. Das zweite Beispiel, die sogenannte Holznoth vor 200 Jahren, zeigt, wie durch Technologie und radikales politisches Umsteuern ein Ausweg aus der Krise gefunden wurde.
Ein Grabtuch aus Sand
Im Braunkohletagebau Jänschwalde fand sich ein frühes Zeugnis des Untergangs: Eine vier Meter hohe Düne hatte sich über ein bronzezeitliches Gräberfeld gelegt – wie ein Grabtuch bedeckte feiner Flugsand die Spuren einer Kultur, von der wenig mehr als Hinweise auf ihre Toten übrig blieb. Die Bewohner hatten sich auf- und davongemacht, als das von ihnen genutzte Lausitzer Land nicht mehr genug zum Überleben hergab: Der Wald war abgeholzt, der Boden ausgelaugt, obwohl der Ackerbau urtümlich war, der Boden nur geritzt wurde.
Aber die Bauern hatten nur genommen, nichts zurückgegeben: keine Düngung, keine Ruhezeiten. Dann strich der Wind über die unfruchtbar gewordenen, kahlen Böden und lagerte den abgetragenen feinen Sand an Hindernissen ab – solchen wie den Hügelgräbern. Über Jahrhunderte blieb daraufhin die Region menschenleer. Doch die Natur kehrte zurück, vor allem die Wälder.
Berichte aus der Römerzeit zeugen von der Wiederholung des Problems: Das eingewanderte, den Germanen zugerechnete Volk der Burgunden und andere Stämme bewirtschafteten die Gegend westlich der Oder exzessiv; wieder setzte Übernutzung von Wald und Boden die Bodenerosion in Gang. In der Nähe der Ortschaft Göritz (Vetschau) wurden sieben, von Flugsand überwehte Häuser aus der germanischen Zeit ausgegraben. Im 4. Jahrhundert wanderten die Burgunden weg Richtung Rhein.

Etwa 300 Jahre hatte das Land nun Ruhe vor den Menschen, dann besiedelten im Zuge der Völkerwanderung Slawen, hier die Lusici, die Region. Sie praktizierten ab dem 6./7. Jahrhundert eine vielfältige, vorrangig auf Ackerbau und Viehzucht gerichtete Wirtschaft. Doch hätte sie womöglich ein ähnliches Schicksal ereilt wie ihre Vorgänger, vermutet Jens Lipsdorf, Archäologe und Leiter der Slawenburg Raddusch nahe Vetschau. Die Ausstellung in diesem eindrucksvollen Bauwerk erzählt auch die Geschichten vom Scheitern und Neubeginn.
Die slawische Bevölkerung erlebte die Alternative zu Kulturabbruch und Umweltflucht: Um das 12. Jahrhundert setzte die deutsche Landnahme ein. Neue Siedler kamen aus Franken, Sachsen und Flandern, brachten neue Kulturtechniken, die das Potenzial der Landnutzung erweiterten.
Von den frühen Ressourcenkrisen wissen wir dank der Archäologie. Die nächste heimische Existenzbedrohung ist aktenkundig, in Schrift- und Kunstwerken verewigt, mit Daten versehen und hat einen Namen: die „Holznoth“.
Am 23. Mai 1799 schärfte die königliche Haupt-Brennholz-Administration den Holzanweisern der Berliner Holzmärkte „auf das ernstlichste“ ein, „keinen Holzempfänger, es sey unter welchem Vorwand es wolle, vor dem anderen zu begünstigen, am wenigsten aber für die Anweisung des Holzes, bei der härtesten Strafe und in wiederholten Fällen bei ohnfehlbarer Cassation weder Biergelder noch Geschenke anzunehmen“.
Der ernste Ton entsprach der Lage auf den vielen Plätzen entlang der Spree, wo sich die Leute, raffinierte Bestechung nicht scheuend, mit Holz versorgten: Der neben ein wenig Torf einzige Brennstoff und wichtigstes Baumaterial war knapp geworden in der Stadt. Und teuer.
Vornehme Kamine, einfache Lehmöfen
Wer über Holz verfügte, stand stark da. Jeder brauchte es – zum Kochen, Heizen, zum Möbel-, Maschinen-, Wagen-, Brücken- , Häuserbau und so fort. Jeder trickste beim Besorgen, wie er konnte, weshalb die nächste Anweisung erging: Die Kähne seien vollständig auszuräumen. Da wurde wohl gern in den Ecken etwas Abgezweigtes für eigene Geschäfte und die des Kapitäns „vergessen“. Der Königshof hatte schon lange zuvor zusätzliche Wächter eingestellt, weil der Holzklau vom Schlosshof überhandnahm.
Es waren Zeichen der sogenannten Holznoth, die Mitte des 18. Jahrhunderts viele deutsche Lande erfasst hatte: Jahrhundertelanges Übernutzen ohne Nachpflanzung und steigende Bevölkerungszahlen hatten in die Mangelkrise geführt. Hinzu kam der ineffiziente Einsatz. Vornehme Leute heizten mit Kaminen, die als repräsentativ galten und zugleich Licht spendeten.
Ärmere Haushalte nutzten primitive Lehmöfen wie im Mittelalter. Wie selbst in einem städtischen Bürgerhaushalt wie dem des Nadlermeisters Johann Christian Knoblauch auf offenem Feuer gekocht wurde, lässt sich in Berlin im Knoblauchhaus besichtigen: eine gemauerte Platte, auf dem die Holzscheite brannten, darüber der Abzug durch einen hölzernen Schornstein.
Die Staatsmacht reagierte nicht nur mit Strafandrohung auf die Krise. Friedrich II., größter Waldbesitzer Preußens, mahnte 1764 per Edikt, jeder, der Wald besitze, sollte nicht vergessen, was er der Nachwelt und dem Staat schuldig sei.
Innovation dank Altem Fritz
Konkret und modern ging der Alte Fritz 1763 mit einem amtlichen Preisausschreiben über „einen Stubenofen, so am wenigsten Holz verzehret“ vor. Die Erfindung des Preisträgers Johann Paul Baumer wurde als „Berliner Kachelofen“ berühmt: mit mehreren Zügen, Brennkammern, Rost, regulierbarer Luftzufuhr und Rauchgasklappe.
Das half, änderte aber nichts Grundsätzliches. Um 1800 waren die Wälder um Berlin abgeschlagen, das Holz musste nun aus der Lausitz herbeigeschafft werden und wurde so teuer, dass man die Ansiedlung von Industrie in Berlin überhaupt infrage stellte.
Weder Wind noch Wasser reichten aus
Denn eines war klar: Weder Wasser- noch Windmühlen oder mit Muskelkraft betriebene Göpel konnten ausreichend Energie für die anbrechende Industrialisierung liefern – obwohl Berlin voll mit diesen Kraftmaschinen war.
Die Existenz des Mühlendamms mit seinen Korn-, Walk-, Stampf- und Schneidemühlen, gelegen zwischen Cölln und Berlin quer in der Spree, war entscheidend dafür, dass hier überhaupt eine Stadt wuchs. Sie blieben bis 1887 in Betrieb.
Hinzu kamen rund 150 Windmühlen in Berlin und auf den Anhöhen drumherum. Rund 30 davon standen am Prenzlauer Berg, acht Getreidemühlen drehten sich am Rand des Windmühlenbergs, der ursprüngliche Name des Bezirks.
Als Energiequelle spurlos aus der Stadt verschwunden sind die Göpel: von im Kreise gehenden Pferden, Ochsen, Eseln, aber auch von Menschen oder Hunden betriebene Kraftmaschinen. Sie drehten eine senkrecht stehende Welle; Riemen oder Wellen übertrugen die Kraft auf die Arbeitsmaschinen wie Pumpen oder Fördergeräte. Hunde wurden gern für Göpel zum Schlagen von Milch zu Butter eingesetzt. Bis 1820 arbeiteten Göpel überall in der Stadt. Besonders beliebt waren sie in kleinen und mittleren Unternehmen noch lange – trotz der aufkommenden Dampfmaschinen. Die waren einfach zu stark.
Die fossile Energiewende
1799 nahm der Baumwollfabrikant Sieburg die erste Berliner Dampfmaschine für seine Spinnerei in Betrieb. Sie war zu teuer. Verbilligtes Holz verweigerte der König. 1801 kehrte die Manufaktur zum Pferdegöpel zurück. Kohle spielte in Berlin um 1800 noch kaum eine Rolle, geringe Mengen kamen aus England über die Ostsee und den Oder-Hafen Swinemünde. Noch 1846 stammten 100 Prozent der nach Berlin eingeführten Steinkohle aus England.
Das änderte sich rasant. Kohlebefeuerte Dampfmaschinen machten die Eisenproduktion billiger, Eisenbahnen wurden gebaut, der Kohletransport (vor allem aus Schlesien) wurde profitabel, Eisen ersetzte Holz vielfach als Baustoff, Kohle den alten Brennstoff. Aus Kohle wurde zudem Gas hergestellt; 1826 ging die Gasbeleuchtung bei Unter den Linden in Betrieb und löste Stück für Stück die trübseligen Öllampen-Laternen ab.
Es dampfte und rußte fortan allenthalben. Das Zeitalter des hemmungslosen Verbrauchs neu erschlossener Ressourcen brach in Berlin gerade zu dem Zeitpunkt an, als in den Wäldern die Nachhaltigkeit einzog: 1804 schrieb der preußische Oberlandforstmeister Georg Ludwig Hartig: „Es lässt sich keine dauerhafte Forstwirtschaft denken und erwarten, wenn die Holzabgabe aus den Wäldern nicht auf Nachhaltigkeit berechnet ist.
Jede weise Forstdirektion muss daher die Waldungen des Staates ohne Zeitverlust taxieren lassen und sie zwar so hoch als möglich, doch so zu benutzen suchen, daß die Nachkommenschaft wenigstens ebensoviel Vorteil daraus ziehen kann, als sich die jetzt lebende Generation zueignet.“ Die Umstände erzwangen die Wende: Die Waldbewirtschaftung in Preußen und damit in Brandenburg wurde zum Vorbild für viele Forstverwaltungen.




