Seit vor genau einem Jahr am Alexanderplatz Bauleute mit schwerem Gerät angerückt waren, um aus dem dortigen Galeria-Warenhaus die nordwestliche Ecke herauszubrechen, geht es auf dem Bau zügig voran. Noch ist man an der Karl-Liebknecht-Straße mit dem 28 Meter tief reichenden Fundament befasst, aber spätestens im Sommer nächsten Jahres soll die erste von insgesamt 33 Etagen eines Büroturms aus dem Straßenniveau wachsen. Zwei Jahre später soll der 134 Meter hohe Bau fertig sein. „Es läuft alles nach Plan und termingerecht“, ist beim Bauherrn zu erfahren.
Davon kann im benachbarten Kaufhaus keine Rede sein. Dort geht der Betrieb trotz der Baumaßnahmen zwar weiter, doch nach Zuversicht sucht man vergeblich. Dafür ist die Krise offensichtlich. Einige Rolltreppen sind gesperrt. Von den beiden Fahrstühlen kann nur einer genutzt werden. Ein Kaufhaus im Notbetrieb, weil die Energiepreise die Betriebskosten in die Höhe treiben und der dringend benötigten Kundschaft angesichts explodierter Lebenshaltungskosten und unsicherer Zukunft die Kauflaune vergangen ist.
Es sind die zwei Welten des österreichischen Signa-Konzerns, die wohl nirgendwo sonst so unmittelbar aufeinanderprallen wie am Berliner Alexanderplatz. Es ist auf der einen Seite das prosperierende Immobilien-Imperium des nicht zuletzt wegen neuerlicher Bestechungsvorwürfe umstrittenen Unternehmers René Benko und andererseits die ebenfalls ihm gehörende Kaufhaus-Kette Galeria. Aufstieg und Fall. Wand an Wand.
Denn während die Immobiliengeschäfte der Signa-Gruppe zuletzt einen Gewinn von einer Milliarde Euro bescherten, befindet sich der aus Karstadt und Kaufhof fusionierte Warenhaus-Riese Galeria erneut in einer wirtschaftlich prekären Situation. Bereits zu Monatsbeginn wandte sich Galeria-Chef Miguel Müllenbach per Brief an die Belegschaft und sprach von einer „bedrohlichen Lage“ für das Unternehmen.
Verlust in dreistelliger Millionenhöhe
Zugleich wurde der Sanierungstarifvertrag einseitig gekündigt. Die Löhne und Gehälter der Mitarbeiter, die eigentlich parallel zum Flächentarifvertrag steigen sollten, sind damit auf dem aktuellen Niveau eingefroren. Zudem wurde ein Einstellungsstopp für Aushilfen im Weihnachtsgeschäft verhängt. Jeder Auftrag, der nicht zwingend nötig ist, soll storniert werden. Inzwischen ist bekannt, dass Galeria im vergangenen Jahr einen Verlust von 620 Millionen Euro anhäufte und abermals um Staatshilfen ersuchen wird. Es wäre das dritte Mal in nicht einmal zwei Jahren. Insgesamt 680 Millionen Euro flossen bereits.
In Berlin betreibt der Galeria-Konzern derzeit zehn seiner bundesweit 131 Warenhäuser. Die Filialen im Hohenschönhausener Lindencenter und in den Gropius-Passagen wurden Ende 2020 geschlossen. Dass seinerzeit nicht noch mehr Häuser dichtmachten, war das Ergebnis einer Einigung zwischen dem Berliner Senat und der Signa-Gruppe. In einem sogenannten Letter of Intent hatten beide Seiten im August 2020 den Erhalt der Filialen Ringcenter, Müllerstraße, Tempelhofer Damm und Wilmersdorfer Straße vereinbart. Demnach darf es dort drei Jahre keine betriebsbedingten Kündigungen geben. Darüber hinaus versprach das Unternehmen, in weitere Vorhaben in Berlin zu investieren. Im Gegenzug sicherte der Senat Signa „enge Kooperation“ bei Bauprojekten zu.

Wenngleich die Vereinbarung nach wie vor heftig umstritten ist, zuweilen sogar als Ausverkauf der Stadt an einen Immobilien-Tycoon bezeichnet wird, nennt Conny Weißbach den Letter of Intent „großartig“. Die Vereinbarung sei nicht in Hinterzimmern, sondern auf Druck der Mitarbeiter und von der Straße entstanden, sagt die Gewerkschafterin, die bei Verdi Berlin-Brandenburg den Fachbereich Handel leitet. „Ohne die Vereinbarung hätten wir heute in Berlin mit Sicherheit vier Galeria-Filialen weniger“, sagt die Verdi-Funktionärin.
Dass das Unternehmen nun erneut in Schieflage geraten ist, macht viele der knapp 1900 Berliner Galeria-Beschäftigten wütend. Andere sind nur enttäuscht. Einerseits, weil sie seit Jahren auf Lohn verzichten und sich mit Löhnen zufriedengeben, die um zwölf Prozent unter dem Flächentarifvertrag liegen. Vor allem aber wissen sie, dass Energiepreise und Inflation längst nicht die alleinigen Ursachen für die anhaltenden Probleme bei Galeria sind.
Verdi für Neuauflage des Letter of Intent in Berlin
Ein Großteil der unter dem programmatischen Namen Galeria 2.0 angekündigten Veränderungen wurde laut Weißbach nicht angepackt. Die Online-Angebote seien kompliziert und funktionierten nicht. Die kleineren Häuser würden noch immer zentral gesteuert und hätten kaum Spielraum, um ihr Sortiment eigenständig an die Bedürfnisse der umliegenden Kieze anpassen zu können. Zudem sei das Einkaufserlebnis weiterhin schlecht. „Wenn es so wenig Beschäftigte gibt, dass die Kunden zum Bezahlen in eine andere Etage müssen, ist es kein Wunder, dass man sie verliert“, sagt Conny Weißbach und nennt dies „Warenhaus auf niedrigstem Niveau“.
Dennoch ist die Gewerkschafterin dafür, dass der Staat noch ein weiteres Mal mit frischem Geld einspringt. Natürlich denke sie dabei an den Erhalt der Arbeitsplätze, aber nicht ausschließlich. „Ich glaube an das Konzept Warenhaus und hoffe, dass es Benko nicht nur um die Immobilien geht“, sagt Weißbach. Dafür werde aber auch Benko investieren müssen. Komme kluges Management hinzu, sei langfristiger Erfolg möglich.
Das Kaufhaus ist nicht tot.
Dass auch Nils Busch-Petersen eine dritte Staatshilfe befürwortet, ist nicht überraschend. Vom Regionalchef des Handelsverbandes Deutschland ist nichts anderes zu erwarten. Das Geld sei zwingend notwendig, sagt er, in Berlin aber auch gut angelegt. Denn Warenhäuser seien von elementarer Bedeutung für die Vitalität der vielen Zentren der Stadt und die besten Nachbarn, die sich kleine Händler wünschen können. Und dann verweist er darauf, dass es vom Handel derzeit vier Großbaustellen in Berlin gebe. Er nennt den Kudamm, den Hermannplatz, den Alex und das Kadewe. „Alles Warenhäuser“, sagt Busch-Petersen. „Das Kaufhaus ist nicht tot.“
Aber sind Signa und Benko die Richtigen? Busch-Petersen kennt den Berliner Einzelhandel seit Jahrzehnten, hat etliche Großunternehmer inklusive der vermeintlichen Kaufhaus-Retter namens Middelhoff, Berggruen und Hudson’s Bay aus Kanada kommen und gehen sehen. „Die haben alle nur genommen“, sagt Berlins oberster Handelsvertreter. Benko sei der erste Eigentümer, der investiert.
Conny Weißbach von Verdi hätte da lieber noch mehr Sicherheit. Sie wünscht sich eine Neuauflage des Letter of Intent zwischen der Stadt und dem Investor und hat allen Grund dazu. Denn in einigen Berliner Galeria-Filialen machen sich die Beschäftigten unabhängig von der aktuellen Entwicklung große Sorgen. Schließlich läuft der vereinbarte Kündigungsschutz im August nächsten Jahres aus.



