Die Feier zur Einschulung etabliert sich fest im Familienkalender, am Sonnabend war die Stadt voller Kinder mit Schultüte im Arm und Verwandtschaft im Schlepptau. 37.050 Erstklässler zählt Berlin im neuen Jahrgang, so viele wie noch nie. Und der Tag bietet wie kaum ein anderer Anlass, den Erwachsenen ein ums andere Mal Tränchen der Rührung in die Augen zu treiben.
Von jetzt an haben ihre Kleinen, gerade eben noch Babys, eine eigene Aufgabe, einen Lebensbereich, in dem sie sich ihre eigene Zukunft gestalten. Die Eltern müssen eine neue Balance zwischen Begleiten und Loslassen finden – irgendwo zwischen Helikopter-, Rasenmäher-, U-Boot- und Rabeneltern.
Ein großer Tag ist der Übertritt in die Schule, das ist klar. In der DDR war es immer Anlass für ein Fest. Ein Papa aus Thüringen sagt: „Da kam sogar die Westverwandtschaft.“ Eine Mama aus Bayern hat ihren eigenen Schuleinstieg einfach als ersten Schultag erlebt, jetzt freut sie sich schon aus Prinzip und Lebensfreude über jede Familienfeier. Eine Schultüte hatte die Bayerin auch, eine runde. Der Papa hatte eine eckige; die gabs nur im Osten und dort hieß sie in der Regel auch Zuckertüte.

In der Grundschule am Planetarium im Prenzlauer Berg waren am Sonnabend Tüten jeder Art vertreten: runde, eckige, selbst gebastelte. Mäßig dimensionierte, riesengroße. Mit Einhorn, Weltraumraketen, Schmetterlingen. Heiter und gelassen war die Stimmung; nur die Kinder wurden immer aufgeregter, je öfter die Omas oder großen Cousinen fragten: „Na, bist Du aufgeregt?“
Die Neuen hätten keinen besseren Start haben können im tollen Zeiss-Planetarium in der Nachbarschaft ihrer Schule: In drei Klassen mit jeweils 22 oder 23 Kindern, bunt gemischt wie ihr Stadtteil, werden sie in den nächsten sechs Jahren gemeinsam lernen. Unter der riesigen Kuppel saß um 9 Uhr die 1a im Halbkreis in der ersten Reihe in den großen Polstersesseln. Die Gäste füllten den Saal fast vollständig.
Das Akkordeonorchester der Musikschule Fröhlich spielte, dann ging das Licht aus und das Planetarium begrüßte seine neuen Nachbarn, die Erstklässler, erstklassig mit einer Reise zu den Sternen, die Begeisterung wecken sollte für Erkundung, Eroberung und das Lernen. Sie endete mit einem Blick auf den blauen Planeten, schön und verletzlich.
Lust auf Schule machen
„Was für ein großer Tag“, mit diesen Worten begrüßte Schulleiterin Patricia Scannapieco ihre Neuen, „wir freuen uns auf euch. Ihr seid die Wichtigen.“ Freundlich, den Kindern zugewandt machte sie voller Wärme Mut und vor allem: Lust auf Schule.
Die Erwachsenen ermunterte sie, „ganz viel Vertrauen in ihre Kinder und die Lehrer“ zu setzen: „Kinder sind unsere Schätze. Sie wollen sich anstrengen, sie zeigen ihr Bestes.“ Sie versteht die Schule als „Schatzgräber“, und in diesem Sinne soll das Leitmotiv der Schule wirken. Es stammt, wie kann es anders sein, von Galileo: „Man kann einen Menschen nichts lehren, man kann ihm nur helfen, es in sich selbst zu entdecken.“
Die Erstklässler starten in diesem Jahr unter günstigeren Voraussetzungen als ihre Vorgänger. Zwei Pandemiejahre machten nicht nur die Einschulungsfeiern unmöglich, sie erschwerten auch das Lernen. Corona-Schließungen soll es nur noch im äußersten Notfall geben, hat die Politik versprochen. Schulen haben Lüfter angeschafft, 21.000 Geräte in ganz Berlin. Die heißen Fragen wie die nach der Maskenpflicht sind zigfach durchdiskutiert, womöglich haben praktische Erfahrungen den Eifer gemildert.
Aber Spuren sind geblieben. Dieser Tage sagte Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) der Zeitung Die Welt, dass etwa 20 Prozent der Grundschüler nicht mehr die Mindeststandards in der Mathematik, im Lesen und Zuhören erreichen. In Orthografie seien es 30 Prozent. Der Zuwachs dieser Schüler gegenüber 2016 liege bei teilweise fast zehn Prozentpunkten. Und vor der Pandemie war ja – gerade in Berlin – auch nicht alles Gold. Nach wie vor rangiert Berlin an hinteren Stellen der wichtigen Bildungsrankings.
Astrid-Sabine Busse (SPD) erlebte am Sonnabend ebenfalls ihre erste Einschulung als Berliner Schulsenatorin. Sie nahm an der Feier der Klasse 1b an der Schule am Sandsteinweg im Berliner Ortsteil Buckow teil.
Praktische Tipps der Schulsenatorin
Als langjährige Leiterin einer Grundschule legt sie Wert auf ein gut begleitetes Ankommen der jüngsten Schülerinnen und Schüler in der Schule. „Die Einschulung ist natürlich der ganz große Tag für die Kleinen“, sagte die Senatorin der Berliner Zeitung. Sie macht auf die Verantwortung der Eltern aufmerksam und hat auch praktische Tipps parat: „Eltern sollten ihre Kinder in der ersten Schulzeit besonders intensiv begleiten: Zusammen die Schulmappe packen, sich Bücher und Hefte gemeinsam ansehen und auf Ordnung achten. Dazu gehört es auch, ein leckeres und gesundes Frühstück mitzugeben. Ich gehe zudem davon aus, dass Eltern vorab bereits den Schulweg mit ihrem Kind abgegangen sind.“
Zur allgemeinen Erleichterung beginnt das Schuljahr ohne Test- und Maskenpflicht, Grundschüler bleiben von Energiesparmaßnahmen wie Absenken der Temperatur in Klassenräumen verschont. Aber Baustellen gibt es jede Menge, und nicht alle sind so erfreulich wie die an der Grundschule am Planetarium, wo der neue Erweiterungsbau endlich vorangehen soll.
Es fehlen Lehrer!
875 Vollzeitstellen für Lehrer sind in diesem Jahr unbesetzt. Auch Quereinsteiger kommen kaum noch hinzu, das Reservoir geeigneter Kandidaten geht zur Neige. In einem großen Kraftakt ist es gelungen, bereits über 5000 schutzsuchende Kinder und Jugendliche aus der Ukraine in die Berliner Schulen aufzunehmen. Etwa 1000 warten noch auf einen Platz. Unglücklich sind auch jene Kinder, die keinen Schulplatz in Wohnortnähe fanden und nun zum Teil weite Wege zurücklegen müssen.



