Kolumne

Eine halbe Nacht in der Notaufnahme: Ein Erlebnis mit Rentnern, Rockern und Feierwütigen

An diese Berliner Orte begibt sich niemand zum Spaß. Auch unser Kolumnist ist nicht freiwillig nachts in die Notaufnahme geraten, vor Ort wurde er dann ziemlich überrascht.

Die Notaufnahme eines Krankenhauses verspricht auch Hilfe in der Nacht.
Die Notaufnahme eines Krankenhauses verspricht auch Hilfe in der Nacht.Jens Schicke/Imago

Die Notaufnahme ist kein Ort, an den jemand freiwillig geht. Notaufnahme klingt nach Blut, Schmerz und ewiger Warterei. Wir mussten hin: Freitag, 23.30 Uhr, heftigste Schmerzen nach einer ambulanten OP. Also ab in das große Traditionskrankenhaus in Berlin-Lichtenberg. Gleich am Eingang das Schild, das in der Hochphase der Pandemie für wilde Debatten gesorgt hatte: Triage.

Hier sitzen also die Fachleute mit dem skeptischen Blick, die schnell entscheiden müssen, wer zuerst drankommt, eingeteilt nach der Schwere der Verletzung oder des Leidens. Aus Sicht der Patienten geht es immer um Leben und Tod. Gefühlt jedenfalls, denn ein Blick in die Gesichter zeigt, dass hier niemand aus Langeweile sitzt. Und doch sind die Unterschiede groß.

Da ist der Rentner, der schon fünf Stunden hier sitzt, irgendeine Hautgeschichte, nichts Akutes. Da ist der Rocker mit Lederhose, Cowboystiefeln, langem Haar und grimmigem Blick. Schon in die Jahre gekommen, aber noch immer eine imposante Erscheinung. Er läuft völlig schief, als hätte er ein Messer im Rücken – ist aber nur ein Hexenschuss. Er wird immer windschiefer, ein Häufchen Elend. Aber auch er muss warten.

Ganz anders die zwei jungen, bunten Frauen auf der Liege, die es mit den Drogen bei einer Party übertrieben haben und nun am Tropf hängen. Gegenüber ein uralter weißhaariger Mann, der aussieht, als sei er direkt aus einem anatolischen Dorf gekommen. Er versteht kein Wort der Schwester, aber der Enkel übersetzt.

Berliner Notaufnahme: Vier Stunden fühlen sich an wie acht

Das Warten ist eine Tortur, gähnende Langeweile über Stunden, nur unterbrochen vom Stöhnen der Patienten. Dann endlich sind wir dran. Die Schwester spricht ruhig, sachlich, freundlich. Sie ist hilfsbereit, geduldig und mitfühlend. Der Arzt ist jung, klar im Denken und noch klarer bei der Aufklärung. Die Handgriffe sitzen, genau wie die Worte. Sie sind beruhigend, und dazu hat er auch noch Schmerztabletten und die besten Wünsche.

Draußen im Gang rumort es, laute Worte, ein Betrunkener, der in eine Schlägerei verwickelt war. Die hat er verloren, ist frustriert, aber seine Wunde ist ein Witz. Ein Arzt gibt ihm ein Pflaster und komplimentiert ihn mit klaren Worten hinaus.

Es ist bemerkenswert: Diese konzentrierte Ruhe, mit der sie hier jeden Fall abarbeiten, diese professionelle Freundlichkeit. Sie wissen, dass sie sich nicht überlasten dürfen, dass wenigstens sie einen kühlen Kopf bewahren müssen.

Nicht, dass es in der Notaufnahme schön war. Nicht, dass es Spaß gemacht hätte. Nicht, dass sich unsere vier Stunden dort nicht wie acht angefühlt hätten, aber uns wurde geholfen. Es war gut, eine bleibende Erinnerung. Danke. Wir kommen wieder – aber wirklich nur im allerhöchsten Notfall.