Berlin-Die Talfahrt setzt sich fort. Die Zahl der Taxis in Berlin ist weiter gesunken. Ende September hatten nur noch 6129 Fahrzeuge eine Konzession, teilte die Senatsverkehrsverwaltung auf Anfrage der Berliner Zeitung mit. Zum Vergleich: Ende Dezember 2019, im letzten Jahr vor Corona, waren es noch 8044. Damit ging der Bestand um 23,8 Prozent zurück – um fast ein Viertel. Nachdem die Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) ihren Bestand an Doppeldeckerbussen immer weiter gesenkt haben, befindet sich jetzt eine weitere Großstadt-Ikone auf dem Rückzug. Die Daten zeigen aber auch, dass bei den Fahrdiensten, die als größte Taxikonkurrenz gelten, die Bäume ebenfalls nicht mehr in den Himmel wachsen. Was ist los in Berlins Personenbeförderungsbranche?
Taxis und Großstadt – das gehörte untrennbar zusammen. In Erich Kästners Roman „Emil und die Detektive“ von 1929 verfolgen die jungen Helden einen Dieb mit einer „Autodroschke“ durch Berlin. Zu West-Berliner Zeiten begeistert der Kabarettist Wolfgang Gruner als „Kalle Bräsicke“ und „Fritze Flink“ das Publikum als Taxifahrer mit großer Schnauze und viel Herz. Doch in zeitgenössischen Werken kommen Taxis kaum noch vor – manchmal auch gar nicht mehr. In Leif Randts „Allegro Pastell“, beworben als Liebesgeschichte für das 21. Jahrhundert, sind die Protagonisten Tanja und Jerome in Berlin vor allem mit Uber oder dem Berlkönig der BVG unterwegs.
Gutachter stellen „dramatischen Verdrängungswettbewerb“ fest
Zwar profitierte vor Corona auch die Taxibranche davon, dass es der Berliner Wirtschaft immer besser ging und Messen sowie Tourismus florierten. Bis Ende 2018 stieg die Zahl der Taxikonzessionen in Berlin auf 8373. Insgesamt 3523 Taxiunternehmen waren registriert (1263 mehr als Ende September 2021). Doch schon Jahre zuvor warnten Branchenkenner, dass das Gewerbe in Berlin in eine Schieflage geraten sei.
So konnten sich „flächendeckend rechtswidrige Strukturen entwickeln, die mittels Steuerhinterziehung und Sozialbetrug die öffentlichen Kassen in hohem Maße schädigen und eine beispiellose Wettbewerbsverzerrung hervorbringen“, stellte das Hamburger Beratungsunternehmen Linne + Krause 2016 in einem Gutachten für den Senat fest. Wer sich an die Regeln halte, sei einem „dramatischen Verdrängungswettbewerb“ ausgesetzt, hieß es. Die Schattenwirtschaft floriere, weil die Verwaltung ihre Aufsichtsfunktion nicht wahrgenommen habe.
Und so traf die Corona-Krise, die im Frühjahr 2020 begann, auf eine geschwächte Branche. Weil Messegäste und Touristen nicht kamen, die Schließung von Theatern und Restaurants auch Einheimische zu Hause bleiben ließ, sanken die Einnahmen deutlich. Mit dem Aus des Flughafens Tegel verloren die Berliner Taxibetreiber eine wichtige Einnahmequelle. Ende des vergangenen Jahres waren noch 6898 Taxis in Berlin übrig, die Zahl der Betriebe war auf 2509 gesunken. Die aktuellen Daten belegen nun, dass sich der Rückgang fortgesetzt hat.
Zwar hat sich die Lage etwas entspannt. Doch in der Taxibranche wird kritisiert, dass ihr eine große Flotte von Mietwagen mit Chauffeuren, die einen taxiähnlichen Verkehr anbieten, weiterhin die Kundschaft streitig macht. „Sie konnten ihren Marktanteil mit illegalem Lohn- und Preisdumping ausweiten“, sagt Richard Leipold, der die Berliner Branche kennt und lange Taxiunternehmer war. Die Mietwagenbetreiber seien einem enormen Druck ausgesetzt – zumal die App-Betreiber Uber, FreeNow und Bolt, die ihnen die Aufträge vermitteln, Provisionen von bis zu 25 Prozent fordern.
Mietwagen stießen mit Straßenbahnen zusammen
Kollisionen, an denen Personenbeförderungsunternehmen beteiligt waren, sorgten jüngst für Schlagzeilen. In der Nacht zu Sonntag bog ein Fahrer eines solchen Fahrdienstes in der Landsberger Allee bei Rot auf die Gleise der Straßenbahn ein. Bei dem Zusammenstoß starben der Chauffeur und ein BVG-Fahrgast. Uber und FreeNow teilten mit, dass der Wagen nicht in ihrem Auftrag unterwegs war. Dagegen trug das Auto, das in der Nacht zu Montag unweit vom Hauptbahnhof einer anderen Straßenbahn die Vorfahrt nahm, Werbung für Uber. Der Fahrer verletzte sich leicht.
Auch während der Corona-Krise war die Zahl der Mietwagen in Berlin immer weiter gestiegen. In diesem Jahr allerdings nicht mehr, wie weitere Zahlen zeigen. Ende des vergangenen Jahres waren in Berlin 4589 Fahrzeuge von 698 Unternehmen gemeldet, so der Senat. Ende September 2021 waren es 4581 Fahrzeuge in 685 Unternehmen.
Schlägereien am Flughafen BER: LDS-Fahrer greifen „Klauer“ aus Berlin an
Der Senat äußerte sich auch zu den anhaltenden Taxiproblemen am Flughafen BER, der in Schönefeld außerhalb der Stadtgrenzen von Berlin liegt. Weiterhin wird berichtet, dass ankommende Fluggäste oft lange warten müssen, bis ein Taxi für sie erscheint. Die Stimmung an der „Ladeleiste“ vor dem Terminal 1 ist aufgeheizt. Im Internet kursieren Videos, die aufgebrachte Taxifahrer zeigen, die Kollegen Prügel androhen oder tatsächlich handgreiflich werden. Die Rede ist von „Klauern“ – Taxifahrern ohne Ladeberechtigung am BER, die vor dem Flughafengebäude Passagiere ansprechen.
„Der Landkreis Dahme-Spreewald und das Land Berlin befinden sich weiterhin in Gesprächen, ob und wie die Zahl der derzeit ladeberechtigten Taxen anzuheben ist“, teilte Jan Thomsen, Sprecher der Berliner Verkehrssenatorin Regine Günther (Grüne), der Berliner Zeitung mit. „Derzeit können am BER nur jeweils 300 Taxen des Landkreises Dahme-Spreewald und 300 Taxen des Landes Berlin zugelassen werden.“
300 Taxen aus Berlin: Das ist viel zu wenig, sagen Taxifahrer und Taxiunternehmer aus der Hauptstadt. Ein ordentliche Versorgung sei nur dann sicherzustellen, wenn alle Berliner Taxis das Recht hätten am BER Fahrgäste ohne Bestellung aufnehmen zu dürfen. Richard Leipold empfahl eine Lösung, die dem Verfahren am Flughafen Wien-Schwechat ähnelt, der ebenfalls außerhalb der Stadtgrenze liegt. „Für die Berliner Taxis wird eine Aufstellfläche gemietet, Fahrgäste können dann ein Taxi bestellen“, sagte er. Solche Vorschläge gibt es seit Längerem immer wieder – ohne Resonanz.




