Ich habe neulich – nun ja, mmmh, räusper – eine unangenehme Geschichte gehabt, und zwar eine Harnwegsentzündung. Beim Reden darüber ist mir aufgefallen, dass es noch immer eine gewisse Scheu gibt. Leute erzählen munter über ihre Migräne, ihre Rückenschmerzen, ihr Herzpuckern – aber Untenrum-Regionen werden ausgeblendet. Eine Zystitis, eine Balanitis, Hämorrhoiden – das posaunt niemand gern hinaus.
Anders ist es im Berlinischen, über das ich immer wieder schreibe. Es lebt großenteils davon, mit dem Untenrum nicht sehr fein umzugehen. Sogar in der Nazizeit riefen Berliner Kinder auf der Straße provozierende Verse wie: „Sack und Piepel sind Geschwister/ und der Arsch ist Kriegsminister“. Man denke auch an Wörter wie „feiner Pinkel“, „Furzkruke“, „Pissnelke“, „Sackjesicht“, „Klötenkorn“ (Eierlikör), „Pforzmolle“ (Bett) und „Angstwurscht“. Sie finden sich sogar in akademischen Wörterbüchern und Enzyklopädien.
Was mein Opa – Jahrgang 1904 – manchmal so von sich gab, will ich lieber nicht wiedergeben. Sogar der als netter Berliner Folklore-Onkel verklärte Maler und Zeichner Heinrich Zille neigte zum Derben. Er verfertigte viele drastische Untenrum-Bilder, unter anderem in seinen „Hurengesprächen“, in denen unter anderem „Pinselfrieda“, „Bollenjuste“ und „Lutschliese“ eine wichtige Rolle spielten.
Die Urgroßeltern wuchsen mit Angst und Schuldgefühlen auf
Es ist kein Wunder, dass das Berlinische in „besseren Schichten“ verpönt war – und auch noch ist. Mit solchen Darstellungen wollte man nichts zu tun haben. Nein, da näherte man sich dem Ganzen lieber höchst sittlich und akademisch (zumindest offiziell, in die Hinterzimmer und Schmuddel-Schränke ließ man niemanden reingucken).
Ich habe noch ein Büchlein „Die eheliche Pflicht“ von 1879, in dem ein gewisser Dr. Karl Weißbrodt sich an die Aufgabe machte, jungen Eheleuten das Geschehen des Beischlafs „nahezubringen“. Es gab strenge Regeln. Zum Beispiel war zweimaliger Beischlaf in einer Nacht verboten, weil dies die Gesundheit bedrohte, sündhaft und unchristlich war. So sind unsere Urgroßeltern aufgewachsen. Voller Angst und Schuldgefühle.
„Pfui“, „bäh“, „Finger weg!“ – mit solchen Reaktionen, das Untenrum betreffend, sind viele Generationen groß geworden. Die scharfe Trennung zwischen den Sphären – die am Ende erst eine sexuelle Doppelmoral erzeugt – hatte schon der Dichter Kurt Tucholsky treffend formuliert: „Ich, Herr Tiger, bestehe zu meinem Heil aus einem Oberteil und einem Unterteil“, schrieb er im Jahr 1926 im Gedicht „Zwei Seelen“.
Zu den pfinstersten Pfreuden des Pfleisches fühlt es sich hingezogen
Dem Oberteil bescheinigte Tucholsky Reinheit, Tapferkeit, Klarheit, Anständigkeit. „Aber, Dunnerkeil, das Unterteil!/ Feige, unentschlossen, heuchlerisch, wollüstig und verlogen;/ zu den pfinstersten Pfreuden des Pfleisches fühlt es sich hingezogen –/ dabei dumpf, kalt, zwergig, ein greuliches/ pessimistisches Ding: etwas ganz und gar Abscheuliches.“
So was schreckt natürlich ab. Aber Tucholsky redete wenigstens darüber. Und er stellte sich vor, dass es ja auch andersherum sein könnte. Das man „in seinen untern Teilen“ nichts bereuen müsste, davor aber ein heuchlerisches, verlogenes Oberteil hätte. Das fände er viel schlimmer. Und am Ende sagte er: „Was aber Menschen aus einem Gusse betrifft in der schönsten der Welten –:/ der Fall ist äußerst selten.“ Schöner kann man’s nicht auf den Punkt bringen.





